Nicht jede Kündigung ist zulässig. ➠ Lassen Sie sich beraten.Die
Kündigung stellt die schärfste Sanktion dar, die ein
Arbeitgeber aussprechen kann. Üblicherweise setzt sie ein nachweisbares Fehlverhalten des
Arbeitnehmers voraus. Es gibt jedoch Konstellationen, in denen der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer kündigt, obwohl die Pflichtverletzung nicht zweifelsfrei bewiesen ist. Gründet sich die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses auf den bloßen schwerwiegenden Verdacht einer Verfehlung, spricht man von einer Verdachtskündigung. Diese ist in der Rechtsprechung als eigenständiger Kündigungsgrund anerkannt. Es handelt sich dabei in der Regel um eine
außerordentliche, fristlose Kündigung nach
§ 626 Abs. 1 BGB. Nach der ständigen Rechtsprechung kann nicht nur die vollendete Tat, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schweren Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung bilden.
Obwohl die Verdachtskündigung in der Praxis nahezu ausschließlich als außerordentliche Kündigung erfolgt, ist sie nach Auffassung der Rechtsprechung auch als
ordentliche verhaltensbedingte Kündigung denkbar (vgl. BAG, 12.02.2015 - Az:
6 AZR 845/13; LAG Berlin-Brandenburg, 06.11.2009 - Az:
6 Sa 1121/09). In der Praxis dominiert aber der Ausspruch als außerordentliche Kündigung, da es regelmäßig um äußerst schwerwiegende Vertragsverstöße geht, bei denen eine Abmahnung entbehrlich ist. Im Rahmen der Interessenabwägung kann im Einzelfall aber auch eine ordentliche Kündigung ausreichen, wenn z.B. die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der
Kündigungsfrist zumutbar ist.
Die Kündigung wird in diesen Fällen nicht auf die Tat selbst, sondern darauf gestützt, dass bereits der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Verfehlung das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen unwiederbringlich zerstört hat. Der Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar.
Abgrenzung zur Tatkündigung
Die Verdachtskündigung ist strikt von der Tatkündigung zu unterscheiden. Bei der Tatkündigung ist der Arbeitgeber davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer die Pflichtverletzung begangen hat, und stützt die Kündigung auf diese erwiesene Tat. Im
Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber die Tatbegehung vollumfänglich nachweisen. Bei der Verdachtskündigung hingegen stützt der Arbeitgeber die Kündigung auf den Verdacht als solchen. Er muss demnach im Prozess nicht die Tat selbst, sondern lediglich die Tatsachen beweisen, die den dringenden Verdacht begründen.
Dem kündigenden Arbeitgeber obliegt der Nachweis der den dringenden Verdacht begründenden Tatsachen bei der Verdachtskündigung. Dabei trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast auch für das Nichtvorliegen von Tatsachen, die die Handlung des Gekündigten als gerechtfertigt erscheinen lassen (ArbG Weiden/Oberpfalz, 29.01.2020 - Az:
3 Ca 329/19). Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (LAG Niedersachsen, 13.09.2018 - Az:
6 Sa 324/18).
Sollte sich ein Arbeitgeber erstinstanzlich ausschließlich auf den Tatvorwurf stützen, kann er unter Umständen im Berufungsverfahren dennoch auf die Verdachtskündigung ausweichen, sofern der zugrundeliegende Sachvortrag nicht präkludiert ist (LAG Düsseldorf, 19.02.2019 - Az:
3 Sa 559/17).
Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung
Da eine Kündigung aufgrund eines bloßen Verdachts einen erheblichen Eingriff darstellt, hat die Rechtsprechung sehr hohe Hürden für deren Wirksamkeit etabliert. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn drei kumulative Grundvoraussetzungen erfüllt sind. Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, ist die Kündigung unwirksam.
Erstens muss ein dringender und schwerwiegender Verdacht vorliegen, der auf objektive Tatsachen gestützt ist. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen keinesfalls aus (vgl. LAG Hamm, 11.03.2020 - Az:
6 Sa 1182/19; LAG Hamm, 13.05.2020 - Az:
6 Sa 1930/19; ArbG Chemnitz, 01.10.2021 - Az:
10 Ca 662/21). Der Verdacht muss „dringend“ sein, was bedeutet, dass eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen muss, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat (vgl. LAG Hamm, 11.03.2020 - Az:
6 Sa 1182/19; LAG Köln, 28.02.2018 - Az:
11 Sa 612/17). Ein entscheidendes Kriterium ist dabei, ob die bekannten Umstände nach allgemeiner Lebenserfahrung ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sind, das eine Kündigung nicht rechtfertigen würde (vgl. LAG Hamm, 13.05.2020 - Az:
6 Sa 1930/19; LAG Mecklenburg-Vorpommern, 28.03.2023 - Az:
5 Sa 128/22). Sind nach Würdigung der Tatsachen auch andere Täter denkbar, so kann nicht mehr von einem dringenden Tatverdacht ausgegangen werden (ArbG Cottbus, 05.11.2008 - Az:
7 Ca 455/08). Für das Vorliegen eines dringenden Verdachtes kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an (LAG Hamm, 11.03.2020 - Az:
6 Sa 1182/19).
Zweitens muss der Verdacht selbst geeignet sein, das Vertrauensverhältnis nachhaltig zu zerstören und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Dies setzt voraus, dass die im Verdacht stehende Handlung eine erhebliche Verfehlung darstellt, beispielsweise eine strafbare Handlung oder eine andere schwerwiegende Vertragsverletzung. Typischerweise handelt es sich um Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers, wie Diebstahl, Unterschlagung oder Betrug (LAG Düsseldorf, 28.06.2019 - Az:
6 Sa 994/18). Die Unterschlagung einer im Eigentum des Arbeitgebers stehenden Sache stellt ebenso wie der dringende Verdacht einer solchen Tat an sich einen wichtigen Grund dar (LAG Düsseldorf, 19.02.2019 - Az:
3 Sa 559/17). Aber auch andere schwerwiegende Pflichtverletzungen, wie der Verdacht der sexuellen Belästigung (ArbG Rheine, 22.01.2024 - Az:
2 Ca 1256/23) oder die massive Gefährdung von Dritten, können einen solchen Verdacht begründen (LAG Köln, 28.02.2018 - Az:
11 Sa 612/17). Selbst wenn es sich um Gegenstände von geringem Wert handelt, kann der damit verbundene Vertrauensbruch eine Kündigung rechtfertigen. So wurde der Verdacht der widerrechtlichen Aneignung von 5 Euro Fundgeld (LAG Berlin-Brandenburg, 06.11.2009 - Az:
6 Sa 1121/09) und der Verdacht der Unterschlagung von einmalig 14,99 Euro (LAG Düsseldorf, 17.01.2012 - Az:
17 Sa 252/11) als möglicher Kündigungsgrund erörtert, wobei im letzteren Fall der dringende Tatverdacht vom Gericht verneint wurde.
In bestimmten Fällen, etwa bei weniger gravierenden Verdachtsmomenten, kann eine
Abmahnung vor einer Verdachtskündigung erforderlich sein. Die Abmahnung ist regelmäßig entbehrlich, wenn aufgrund des Vertrauensverlusts eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst für die Dauer der Kündigungsfrist unzumutbar erscheint. In Zweifelsfällen sollte der Arbeitgeber im Rahmen der Anhörung und Interessenabwägung den Abmahnungsbedarf sorgfältig prüfen.
Drittens muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen unternommen haben, um den Sachverhalt aufzuklären. Die Kündigung darf nur das letzte Mittel (ultima ratio) sein. Zu dieser Aufklärungspflicht gehört zwingend, dem betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben. Diese Anhörung des Arbeitnehmers ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung (vgl. LAG Köln, 28.02.2018 - Az:
11 Sa 612/17; ArbG Erfurt, 17.11.2021 - Az:
4 Ca 863/21).
Ordnungsgemäße Anhörung des Arbeitnehmers
Die Anhörung dient dazu, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zu geben, den Verdacht zu entkräften oder entlastende Tatsachen vorzubringen. Damit dies möglich ist, muss der Arbeitgeber den Betroffenen mit den konkreten Verdachtsmomenten konfrontieren und darf ihn nicht lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung belasten. Es muss dem Arbeitnehmer deutlich gemacht werden, dass der Arbeitgeber aufgrund spezifischer Tatsachen einen Verdacht hegt und beabsichtigt, darauf möglicherweise eine Kündigung zu stützen (LAG Berlin-Brandenburg, 06.11.2009 - Az:
6 Sa 1121/09).
Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer die wesentlichen Erkenntnisse offenlegen, die ihm im Anhörungszeitpunkt vorliegen. Rührt der Verdacht beispielsweise aus einem umfangreichen Revisionsbericht, genügt es nicht, den Arbeitnehmer nur pauschal auf diesen Bericht zu verweisen. Der Arbeitnehmer hat in einem solchen Fall Anspruch auf eine nachvollziehbare schriftliche Darstellung der konkreten Vorwürfe, um sich vorbereiten zu können (LAG Hessen, 04.09.2003 - Az:
9 Sa 1399/02). Verletzt der Arbeitgeber diese Aufklärungspflicht, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht berufen (LAG Hessen, 04.09.2003 - Az:
9 Sa 1399/02).
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