Nicht jede Kündigung ist zulässig. ➠ Lassen Sie sich beraten.Die Vorlage einer unechten oder irreführenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund „an sich“ für eine
außerordentliche Kündigung darzustellen. Durch das bewusste Einreichen einer Bescheinigung, die fälschlich einen ärztlichen Kontakt suggeriert, wird die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt. Der durch ein solches Verhalten ausgelöste Vertrauensbruch ist erheblich.
Die vom
Arbeitnehmer eingereichte Bescheinigung erweckte im zu entscheidenden Fall nach Inhalt und äußerer Gestaltung den Eindruck einer ärztlich ausgestellten Bescheinigung. Die Angabe „Fernuntersuchung nur mittels Fragebogen“ sowie das Formularmuster entsprachen dem bekannten Vordruck „Muster 1b“ und suggerierten eine medizinisch fundierte Feststellung. Nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (§§ 4, 5 AU-RL) darf eine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit jedoch nur nach ärztlicher Untersuchung – persönlich, per Video oder nach telefonischer Anamnese – erfolgen. Ohne jeglichen ärztlichen Kontakt liegt keine Untersuchung im Sinne dieser Richtlinie vor. Diese Vorgaben spiegeln den anerkannten Stand medizinischer Erkenntnisse wider (vgl. BAG, 28.06.2023 - Az:
5 AZR 335/22).
Da der Arbeitnehmer jedoch wusste, dass kein Arztkontakt stattgefunden hatte, und ihm die Hinweise auf der Website den geringeren Beweiswert der angebotenen Bescheinigung verdeutlichten, war die bewusste Vorlage der Bescheinigung eine Täuschungshandlung. Bereits das Erschleichen einer solchen Bescheinigung kann nach ständiger Rechtsprechung einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen (vgl. BAG, 29.06.2017 - Az:
2 AZR 597/16).
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war damit vorliegend erschüttert. Nach allgemeinen Beweisgrundsätzen trägt zwar grundsätzlich der
Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das unentschuldigte Fehlen. Wird jedoch der Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttert, trifft den Arbeitnehmer die Pflicht, substantiiert zu seiner tatsächlichen Erkrankung vorzutragen und gegebenenfalls behandelnde Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Eine solche substantiierte Darlegung erfolgte nicht. Damit war die Bescheinigung nicht geeignet, eine
Arbeitsunfähigkeit ordnungsgemäß nachzuweisen.
In der Interessenabwägung überwog das Beendigungsinteresse der Arbeitgeberin. Eine
Abmahnung war nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung ist eine solche nur dann geboten, wenn künftig eine Verhaltensänderung erwartet werden kann oder der Pflichtverstoß nicht schwer wiegt. Bei einem gravierenden Vertrauensbruch, wie der bewussten Täuschung über den ärztlichen Ursprung einer Bescheinigung, ist eine Abmahnung entbehrlich (vgl. BAG, 20.05.2021 - Az:
2 AZR 596/20).
Auch die vom Arbeitnehmer behauptete tatsächliche Erkrankung konnte den Kündigungsgrund nicht entkräften, da die Täuschung über die Art der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit unabhängig von einer möglichen tatsächlichen Krankheit die Kündigung rechtfertigt. Maßgeblich war allein, dass durch die Bescheinigung eine unzutreffende ärztliche Feststellung suggeriert wurde.
Die außerordentliche Kündigung war damit gemäß
§ 626 Abs. 1 BGB wirksam. Eine hilfsweise ordentliche Kündigung bedurfte keiner weiteren Prüfung.