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Außerordentliche Kündigung wegen sexueller Belästigung

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 8 Minuten

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Eine Entblößung der Genitalien eines anderen unter Missachtung seines Rechts auf Selbstbestimmung, wem gegenüber und in welcher Situation er sich unbekleidet zeigen möchte, stellt ein sexuell bestimmtes Verhalten iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Die Beklagte produziert Automobile. Der Kläger war bei ihr seit 2014, zuletzt in der Fertigung, beschäftigt. In der Nachtschicht vom 1./2. Mai 2019 näherte er sich einem am sog. Ritzpräger eingesetzten Leiharbeitnehmer und zog diesem unvermittelt mit beiden Händen die Arbeits- und die Unterhose herunter.

Der Leiharbeitnehmer beschwerte sich darüber bei seiner Arbeitgeberin und blieb in der folgenden Nachtschicht der Arbeit fern.

Hierzu führte das Gericht aus:

Nach den nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger einem Leiharbeitnehmer in der Nachtschicht des 1./2. Mai 2019 nicht nur die Arbeitshose, sondern auch die Unterhose heruntergezogen, so dass dieser für mehrere Sekunden im Genitalbereich entblößt im sog. Takt gestanden hat. Er war den Blicken von mehreren Arbeitskollegen und deren Gelächter ausgesetzt.

Das vom Landesarbeitsgericht festgestellte Verhalten des Klägers ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden.

Es handelt sich um eine erhebliche Verletzung seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB. Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass ihre Arbeitnehmer mit den in ihrem Betrieb eingesetzten Leiharbeitnehmern respektvoll umgehen und gedeihlich zusammenarbeiten. Sie ist nach § 12 Abs. 1 und 3 AGG verpflichtet, auch diese vor sexuellen Belästigungen zu schützen.

Der Kläger bedrängte den Leiharbeitnehmer während der Arbeitszeit und hielt ihn dadurch, ebenso wie die den Vorfall beobachtenden Kollegen, von der Arbeit ab. Das Entblößen seiner - des Leiharbeitnehmers - Genitalien stellte überdies einen erheblichen und entwürdigenden Eingriff in seine Intimsphäre und damit eine Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG dar. Zugleich kann es sich dabei um eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehandelt haben.

Auch eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG ist gem. § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist. Sie liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird.

Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem oder mehreren anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen.

Die absichtliche Berührung der primären oder sekundären Geschlechtsmerkmale eines anderen ist bereits deshalb sexuell bestimmt iSd. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt. Ein sexualbezogener Übergriff liegt auch dann vor, wenn die Genitalien eines anderen nicht berührt, aber unter Missachtung seines Rechts auf Selbstbestimmung, wem gegenüber und in welcher Situation er sich unbekleidet zeigen möchte, entblößt werden. Auch ein solches Verhalten hat das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand.

Bei anderen Handlungen, für die dies nicht ohne Weiteres zutrifft, wie beispielsweise Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund der mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben. Eine solche kann auch darin bestehen, den Betroffenen unter Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung sexualbezogen zu beschämen.

Geht es dagegen um ein Verhalten, das das Geschlechtliche im Menschen unmittelbar zum Gegenstand hat, genügt für das „Bewirken“ iSv. § 3 Abs. 4 AGG der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit verlangt - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war.

Das Entblößen der Genitalien des Leiharbeitnehmers in der Nachtschicht vom 1./2. Mai 2019 kann danach eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dargestellt haben. Allerdings hat der Kläger behauptet, er habe nicht beabsichtigt, dem Leiharbeitnehmer auch die Unterhose herunterzuziehen. Sollte dies zutreffen, könnte es an einem iSv. § 3 Abs. 4 AGG sexuell bestimmten Verhalten des Klägers fehlen. Es läge zwar auch dann ein erheblicher Übergriff vor, dieser wäre aber womöglich nicht auf eine sexualbezogene Beschämung des Leiharbeitnehmers gerichtet gewesen, wenn auch dies indes nicht ausgeschlossen ist.


BAG, 20.05.2021 - Az: 2 AZR 596/20

ECLI:DE:BAG:2021:200521.U.2AZR596.20.0

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