Der Aufgabenbereich „
Wohnungsangelegenheiten“ umfasst nicht nur die
Kündigung durch den Betreuer, sondern auch die Abwehr von
Kündigungen, die der Vermieter gegenüber dem
Betreuten ausspricht.
Hierbei ist zunächst ein formeller Aspekt von höchster Wichtigkeit: Wurde für den Betreuten ein
Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Wohnungsangelegenheiten angeordnet (
§ 1825 BGB, früher § 1903 BGB), muss die Kündigungserklärung des Vermieters dem
Betreuer zugehen, um wirksam zu werden. Eine Zustellung nur an den Betreuten selbst ist unwirksam. Es reicht auch nicht aus, wenn der Betreuer nur eine Abschrift oder Durchschrift der Kündigung erhält. Die Kündigung muss formell an den Betreuer als gesetzlichen Vertreter gerichtet sein (AG Idar-Oberstein, 21.06.2018 - Az:
303 C 784/17).
Inhaltlich erfolgen Kündigungen oft wegen vertragswidrigen Verhaltens, das in der Erkrankung des Betreuten begründet liegt. Gründe können erhebliche
Störungen des Hausfriedens sein, etwa durch nächtliches Schreien, Beleidigungen oder aggressives Verhalten (LG Heidelberg, 15.04.2011 - Az:
5 S 119/10; AG Berlin-Schöneberg, 16.03.2011 - Az:
103 C 528/10) oder durch extreme
Lärmbelästigung. Auch die Gefährdung der Mietsache, etwa durch Verursachung eines Brandes (LG München I, 12.02.2021 - Az:
14 S 10193/20) oder die Verweigerung des
Zutritts für die Wartung von Rauchwarnmeldern (LG Konstanz, 08.12.2017 - Az:
A 11 S 83/17), kann eine Kündigung rechtfertigen.
Weniger eindeutig ist die Rechtslage bei „Vermüllung“ oder Verwahrlosung. Das bloße Zustellen der Wohnung mit Gegenständen („Messie-Syndrom“) rechtfertigt für sich genommen meist keine
fristlose Kündigung, solange die Substanz des Gebäudes nicht erheblich gefährdet ist (LG Karlsruhe, 22.05.2019 - Az:
9 S 2/19). Es kann jedoch eine schuldhafte, nicht unerhebliche Pflichtverletzung darstellen, die eine ordentliche Kündigung nach
§ 573 BGB begründet.
Betreuer sollten in Fällen des Messie-Syndroms präventiv tätig werden – z.B. durch Einbindung sozialer Dienste, Hausbesuche und Kooperation mit dem Vermieter, um Kündigungen zu vermeiden. Nur wenn die Situation nicht beherrschbar und die Substanz des Gebäudes gefährdet ist, kann die Einschaltung des Gerichts zwecks vorübergehender
Unterbringung geboten sein.
Auch Geruchsbelästigungen durch Müll allein reichen oft nicht für eine fristlose Kündigung aus.
Ein zentraler Punkt in diesen Fällen ist die Frage der Schuldfähigkeit. Oft handelt der Betreute aufgrund seiner psychischen Erkrankung schuldunfähig. Dies hindert die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung nach
§ 543 BGB jedoch nicht. Das Verschulden ist zwar im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, ist aber keine zwingende Voraussetzung. Erreicht die Störung oder Gefährdung ein Ausmaß, das dem Vermieter und den Mitbewohnern objektiv unzumutbar ist, kann die Kündigung wirksam sein. Die sozialen Lasten, die aus der Erkrankung resultieren, sind von der Allgemeinheit zu tragen, nicht vom einzelnen Vermieter oder den Nachbarn (LG Heidelberg, 15.04.2011 - Az:
5 S 119/10).
Härtegründe und Vollstreckungsschutz
Selbst wenn eine Kündigung durch den Vermieter wirksam ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig die sofortige Räumung - hier bestehen Mechnismen zum Schutz des Mieters.
Bereits bei der Prüfung der Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung nach der Generalklausel des § 543 Abs. 1 BGB (z.B. wegen Beleidigungen durch einen Betreuten) müssen schwerwiegende persönliche Härtegründe des Mieters berücksichtigt werden (BGH, 09.11.2016 - Az:
VIII ZR 73/16). Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass Aspekte wie hohes Alter, Demenz und die Angewiesenheit auf eine bestimmte Pflegeperson in der gewohnten Umgebung in die Abwägung einfließen müssen. Diese Prüfung darf nicht erst in das spätere Vollstreckungsverfahren verschoben werden. Drohen schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr, sind die Gerichte verfassungsrechtlich gehalten, dies bei der Abwägung zu berücksichtigen. Andere Gerichte sehen dies jedoch differenziert: Bei den speziellen Kündigungsgründen des § 543 Abs. 2 BGB (z.B. erhebliche Gefährdung der Mietsache) soll eine Berücksichtigung persönlicher Härtegründe grundsätzlich nicht stattfinden (LG München I, 12.02.2021 - Az:
14 S 10193/20).
Ist die Kündigung rechtskräftig festgestellt und liegt ein Räumungstitel vor, bleibt als letztes Mittel der Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO. Eine Räumung kann untersagt werden, wenn sie eine Härte darstellt, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Hierbei ist insbesondere das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) zu beachten. Die Hürden hierfür sind hoch. Gerichte verlangen substantiierte, aktuelle Nachweise. Vage Behauptungen einer Suizidgefahr oder Atteste, die keine Umzugsunfähigkeit belegen, reichen nicht aus (LG München II, 14.02.2022 - Az:
12 T 4785/21).
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Praxis jedoch korrigiert (BVerfG, 13.04.2022 - Az:
2 BvR 447/22). Im selben Fall hob es die Entscheidung des LG München II auf und gewährte eine einstweilige Aussetzung der Zwangsvollstreckung. Die Verfassungsrichter rügten, dass das Landgericht ein vorliegendes psychiatrisches Gutachten ignoriert hatte, welches dem Betreuten ein progredientes dementielles Syndrom, Wahnvorstellungen und die Unfähigkeit, einen Umzug selbst zu bewältigen oder sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, bescheinigte. Angesichts dieser ärztlich festgestellten, konkreten Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der psychischen und physischen Gesundheit sei der Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG verletzt worden.