In einem Mehrfamilienhaus kommt es zwangsläufig zu Berührungspunkten zwischen den verschiedenen Mietparteien. Besondere Konfliktpotenziale bergen dabei die Gemeinschaftsflächen, allen voran das
Treppenhaus.
Rechtlich gesehen handelt es sich beim Treppenhaus nicht um einen Wohnraum oder einen zur Disposition der einzelnen Mieter stehenden Raum, sondern um eine Verkehrsfläche. Dasselbe gilt für den Hausflur. Diese Bereiche dienen primär dem Zweck, den Mietern und ihren Besuchern den sicheren und ungehinderten Zugang zu den einzelnen Wohnungen sowie zu den sonstigen Gemeinschaftseinrichtungen wie Keller, Dachboden oder Waschküche zu ermöglichen. Sie sind zwar Teil der Mietsache, jedoch zur gemeinschaftlichen Nutzung durch alle Hausbewohner bestimmt. Da sich hier niemand länger als notwendig aufhalten darf, ist auch das Spielen im Treppenhaus grundsätzlich nicht zulässig.
Wann liegt eine Zweckentfremdung vor?
Die Nutzung des Treppenhauses oder des Hausflurs als erweiterte Spielfläche stellt eine solche Zweckentfremdung dar. Das Treppenhaus darf nicht als Spielplatz verwendet werden. Dies gilt unabhängig von der Art des Spiels, sei es Fangen, Verstecken oder das Verweilen mit Spielzeug. Ein gleiches gilt für die Verwendung von Rollschuhen, Inline-Skates oder Fahrrädern im Treppenhaus bzw. Hausflur. Auch das Fahren mit Bobbycars, Rollern oder ähnlichen Kinderfahrzeugen ist in diesen Bereichen nicht gestattet. Solche Aktivitäten sind ebenso wenig zulässig wie das Spielen mit oder in einem
Fahrstuhl. Derartige Nutzungen überschreiten den
vertragsgemäßen Gebrauch der Gemeinschaftsflächen erheblich. Sie können nicht nur zu einer erhöhten und übermäßigen Abnutzung des Gemeinschaftseigentums führen, sondern auch eine erhebliche Lärmbelästigung für die Mitbewohner darstellen und die Sicherheit anderer Hausbewohner gefährden, etwa wenn Fluchtwege blockiert oder Personen durch fahrende Kinder gefährdet werden.
Unterscheidung zwischen notwendiger Nutzung und dauerhaften Spielen
Von dieser unzulässigen Zweckentfremdung muss jedoch die normale und notwendige Nutzung des Treppenhauses durch Kinder klar unterschieden werden. Es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem reinen Durchqueren des Treppenhauses und dem dauerhaften Verweilen zu Spielzwecken. Der mit dem Spielen verbundene Lärm muss nämlich im Gegensatz zum Lärm bei der reinen Benutzung des Treppenhauses nicht hingenommen werden. Während das Spielen als Zweckentfremdung unzulässig ist, gehört die normale Nutzung des Treppenhauses durch Kinder – auch wenn diese naturgemäß geräuschvoll sein kann – zum vertragsgemäßen Gebrauch einer Wohnung. Kinder können und müssen das Treppenhaus benutzen, um die Wohnung zu verlassen oder zu betreten, und es kann von ihnen nicht dasselbe Maß an Rücksichtnahme und Geräuschvermeidung erwartet werden wie von Erwachsenen.
Duldungspflicht bei unvermeidbarem Kinderlärm
Bei der bloßen Benutzung des Treppenhauses durch Kinder ist auch ein gewisser – kurzzeitiger - Lärmpegel hinzunehmen. Die Rechtsprechung stellt klar, dass der von Kindern beim Durchqueren des Treppenhauses mit der Mutter verursachte Lärm- und Geräuschpegel von jedem Mitmieter hinzunehmen ist. Gerichte betonen immer wieder die Notwendigkeit einer erhöhten Toleranz gegenüber Lärm, der als Begleiterscheinung kindlichen und jugendlichen Freizeit- und Bewegungsverhaltens entsteht. Solcher
Kinderlärm ist als Lebensäußerung oft unvermeidbar und der Wohngemeinschaft regelmäßig zumutbar. Eine
Mietminderung aufgrund solcher Geräusche ist daher in der Regel ausgeschlossen. Dies wurde beispielsweise deutlich in einer Entscheidung des Landgerichts München I, wonach eine Mietminderung ausgeschlossen ist, wenn ein Kleinkind regelmäßig in den frühen Morgenstunden beim Verlassen der Wohnung im Treppenhaus schreit (vgl. LG München I, 24.02.2005 - Az:
31 S 20796/04). Auch Laufgeräusche im Treppenhaus – selbst dann, wenn diese häufig auftreten – dürften von den Mitbewohnern hinzunehmen sein, da es sich hierbei um durch altersgerechtes kindliches Verhalten ausgelöste Störungen handeln dürfte.
Sozialadäquates Verhalten und die Rolle der Eltern
Maßstab ist in diesem Zusammenhang die sogenannte Sozialadäquanz. Störungen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise als Folge typischen, altersbedingten und sozialadäquaten Verhaltens von Kindern anzusehen sind, müssen von den Mitbewohnern toleriert werden. Dies gilt für Lärm, der aus der Wohnung dringt, aber auch für Geräusche, die im Treppenhaus entstehen. Gleichzeitig obliegt den Erziehungsberechtigten eine Verantwortung. Sie müssen dafür sorgen, dass das Spielen an sich außerhalb des Treppenhauses stattfindet. Grundsätzlich sind Eltern und andere mit der Erziehung von Kindern betraute Personen verpflichtet, Kinder zu einem rücksichtsvollen Verhalten bezüglich ihrer Bewegungen und akustischen Äußerungen anzuhalten. Diese Pflicht zur Rücksichtnahme gilt bei jeder Art von Lärm, auch bei Kinderlärm. Es geht hierbei um eine Balance zwischen dem Recht des Kindes auf Entfaltung und dem Ruhebedürfnis der Nachbarn.
Grenzen der Toleranz gegenüber Kinderlärm
Die geforderte erhöhte Toleranz gegenüber Kinderlärm findet dort ihre Grenze, wo der Lärm nicht mehr sozialadäquat ist oder wo den Eltern eine schuldhafte Pflichtverletzung beziehungsweise eine Aufsichtspflichtverletzung vorzuwerfen ist (vgl. LG Bad Kreuznach, 03.07.2001 - Az:
1 S 21/01). Eine solche Pflichtverletzung liegt jedoch nicht bei jedem lauten Geräusch vor. Wenn Eltern einem natürlichen Bewegungs-, Spiel- und Mitteilungsdrang von Kleinkindern nicht Einhalt gebieten, kann ihnen dies nicht per se als schuldhaftes Verhalten zur Last gelegt werden. Das Landgericht Bad Kreuznach bewertete in seiner Entscheidung beispielsweise eine lautstarke Diskussion zwischen Eltern und ihrem vierjährigen Sohn im Treppenflur, weil dieser seine Schuhe nicht anziehen wollte, als hinnehmbar. Ein solches Ereignis mache deutlich, dass Kleinkinder einen eigenen Willen haben, den Eltern nicht unter allen Umständen brechen sollten, auch wenn dadurch Lärm verursacht wird. Die Grenze zur schuldhaften Pflichtverletzung wäre jedoch überschritten, wenn Eltern es bewusst zulassen, dass Kinder das Treppenhaus exzessiv als Spielort nutzen oder dort absichtlich und wiederholt erheblichen Lärm verursachen, der über die normale Nutzung weit hinausgeht.
Kinderlärm im Treppenhaus als Kündigungsgrund?
Eine
Abmahnung oder gar eine
Kündigung allein wegen Lärms im Treppenhaus unterliegt hohen Anforderungen. Das Landgericht Bad Kreuznach wies im oben genannten Fall eine
fristlose Kündigung des Vermieters zurück, die unter anderem auf die Verursachung von Lärm im Treppenflur beim Verlassen der Wohnung oder der Rückkehr in dieselbe durch die Kinder der Mieter gestützt wurde. Das Gericht befand, dass die behaupteten Lärmbelästigungen, zu denen laut Beschwerdebriefen anderer Mieter auch Geschrei, Blubbern und Weinen im Flur zählten, nicht als so gravierend angesehen werden können, dass sie eine fristlose Kündigung wegen
Störung des Hausfriedens rechtfertigen würden. Nach Ansicht des Gerichts handele es sich vielmehr um den üblichen und normalen Ausdruck eines natürlichen Bewegungs-, Spiel- und Mitteilungsdranges von Kleinkindern im entsprechenden Alter. Kinder als solche sind keine Störung, und die damit natürlich verbundenen Beeinträchtigungen müssen vom Vermieter und den Mitmietern hingenommen werden.
Bedeutung der Hausordnung und das Rücksichtnahmegebot
Eine wichtige Orientierung für das Zusammenleben im Haus bietet in der Regel die
Hausordnung, sofern diese wirksam in den
Mietvertrag einbezogen wurde. Enthält die Hausordnung Klauseln, die Mieter dazu anhalten, darauf zu achten, dass Kinder bei ihren Spielen auf Hausbewohner Rücksicht nehmen, so konkretisiert dies das allgemeine mietvertragliche Rücksichtnahmegebot. Zwar kann auch eine Hausordnung das Recht von Kindern auf eine altersgerechte Entfaltung nicht vollständig unterbinden oder das Lärmen bei der normalen Nutzung des Treppenhauses verbieten. Sie setzt aber einen Rahmen und verdeutlicht die Unzulässigkeit einer Zweckentfremdung. Es gilt der Grundsatz, dass Kinderlärm aus Nachbarwohnungen oder von Gemeinschaftsflächen nicht in jeglicher Form, Dauer und Intensität von Mitmietern hingenommen werden muss, nur weil er von Kindern stammt.
Ausnahme bei Hellhörigkeit des Gebäudes?
In der Praxis spielt bei Lärmkonflikten auch die bauliche Substanz des Hauses eine nicht unerhebliche Rolle. Insbesondere bei Altbauten, die beispielsweise über Dielenböden verfügen, ist es gerichtsbekannt, dass diese bei einem Rennen von Kindern schwingen und sich dies in angrenzende Wohnungen überträgt. Laufgeräusche über einen Dielenboden im Altbau sind oft deutlich wahrnehmbar. Dies gilt für Geräusche aus den Wohnungen ebenso wie für Geräusche aus dem Treppenhaus. Zeugen in einem Verfahren vor dem Landgericht Berlin (LG Berlin, 19.02.2019 - Az:
63 S 303/17) gaben etwa an, Lärmwahrnehmungen auf solche aus dem Treppenhaus beschränken zu können. Ein Mieter, der sich durch Lärm gestört fühlt und eine Mietminderung oder andere Maßnahmen vom Vermieter begehrt, muss jedoch im Streitfall beweisen, dass die Geräuschkulisse das normale Maß des in einer Mietwohnung sozial Zumutbaren übersteigt. Gelegentliche „Spitzen“, etwa bei einem heftigen Streit oder wenn Kinder im Treppenhaus rennen, gelten oft noch als sozialadäquat und begründen keinen
Mangel der Mietsache, selbst wenn sie von den Betroffenen als subjektiv störend empfunden werden.
Konsequenzen bei unzulässigem Spielen
Wird der Grundsatz, dass das Treppenhaus nicht als Spielplatz genutzt werden darf, dauerhaft und beharrlich missachtet, und übersteigt der damit verbundene Lärm das Maß des Hinnehmbaren und Sozialadäquaten deutlich, müssen Mitmieter dies nicht dulden. Der Vermieter ist in solchen Fällen als Vertragspartner aller Mieter verpflichtet, für die Einhaltung des Hausfriedens und des vertragsgemäßen Gebrauchs der Mietsache zu sorgen. Wird der Grundsatz der Rücksichtnahme nicht beachtet, kann eine Abmahnung gegen die Mieter bzw. die Erziehungsberechtigten ausgesprochen werden. In extremen Fällen, bei einer beharrlichen und schwerwiegenden Störung des Hausfriedens trotz erfolgter Abmahnung, können auch gravierendere Schritte bis hin zur Kündigung des Mietverhältnisses führen, auch wenn die Hürden hierfür, wie dargelegt, in der Praxis sehr hoch sind.