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Kurve geschnitten oder zu knapp überholt: Die rechtlichen Folgen des „Schneidens“ im Straßenverkehr

Verkehrsrecht | Lesezeit: ca. 11 Minuten

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Der Straßenverkehr erfordert von allen Teilnehmern ein hohes Maß an ständiger Vorsicht und gegenseitiger Rücksichtnahme. Hektik, Unachtsamkeit oder auch bewusste Aggressivität führen jedoch immer wieder zu gefährlichen Situationen. Ein besonders risikoreiches und rechtlich komplexes Verhalten ist das sogenannte „Schneiden“. Dieser Begriff umfasst im Wesentlichen zwei typische Sachverhalte: das zu knappe Einscheren nach einem Überholvorgang und das Abkürzen des Fahrwegs in Kurven. Während beides auf den ersten Blick als Kavaliersdelikt erscheinen mag, können die rechtlichen Konsequenzen erheblich sein und von einem Bußgeld bis hin zu einer strafrechtlichen Verurteilung mit Entziehung der Fahrerlaubnis reichen.

Schneiden anderer Verkehrsteilnehmer: Ordnungswidrigkeit oder Nötigung?

Die wohl bekannteste Form des Schneidens ereignet sich im Zusammenhang mit Überholmanövern. Ein Fahrzeugführer überholt einen anderen und schert unmittelbar vor diesem wieder ein, ohne den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten. Als Faustregel für einen hinreichenden Abstand gilt der Wert des halben Tachostandes in Metern. Ein zu dichtes Wiedereinscheren stellt zunächst einen Verstoß gegen die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) dar, insbesondere gegen § 5 Abs. 4 Satz 3 StVO, der vorschreibt, dass beim Wiedereinordnen eine Gefährdung des überholten Verkehrsteilnehmers ausgeschlossen sein muss.

Juristisch entscheidend ist jedoch die Abgrenzung zwischen einer bloßen Ordnungswidrigkeit und einer Straftat. Nicht jedes knappe Einscheren erfüllt bereits den Tatbestand derNötigung im Straßenverkehr gemäß § 240 des Strafgesetzbuches (StGB). Damit ein solches Verhalten strafrechtliche Relevanz erlangt, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Nötigung setzt eine vorsätzliche und rechtswidrige Handlung voraus, bei der ein anderer Mensch durch Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gezwungen wird.

Im Straßenverkehr wird das bewusste, extrem dichte Auffahren oder eben das absichtliche, gefährdende Schneiden als eine Form der Gewaltanwendung durch das Fahrzeug gewertet. Der Täter nutzt sein Fahrzeug dabei als Werkzeug, um seinen Willen durchzusetzen. Für die Annahme einer strafbaren Nötigung ist es jedoch zwingend erforderlich, dass der schneidende Fahrer mit Vorsatz handelt, also die Behinderung des anderen Verkehrsteilnehmers zumindest billigend in Kauf nimmt. Fahrlässigkeit, etwa durch eine Fehleinschätzung der Geschwindigkeit oder des Abstandes, genügt hierfür nicht.

Ein weiteres Kriterium ist die Intensität der durch das Schneiden ausgelösten Reaktion des anderen Fahrers. Zwingt das Manöver den geschnittenen Verkehrsteilnehmer zu einer starken, brüsken Bremsung, um eine unmittelbar drohende Kollision zu vermeiden, ist die Schwelle zur Nötigung regelmäßig überschritten. Musste der Betroffene eine konkrete Gefahr für sich, sein Fahrzeug oder andere Insassen durch ein massives Bremsmanöver abwenden, liegt der Nötigungstatbestand nahe. Muss der Geschnittene hingegen lediglich leicht vom Gas gehen oder nur sanft abbremsen, um den Sicherheitsabstand wiederherzustellen, wird in der Regel keine strafbare Nötigung vorliegen. In solchen Fällen verbleibt es bei einer Ordnungswidrigkeit wegen unzureichenden Abstands oder Gefährdung beim Überholen.

Eine Ausnahme kann dann gelten, wenn der schneidende Fahrer selbst in einer Zwangslage handelte. Sah er sich beispielsweise gezwungen, abrupt einzuscheren, weil er von einem nachfolgenden Fahrzeug massiv bedrängt wurde oder weil unvorhersehbarer Gegenverkehr auftauchte, kann der Vorsatz oder die Rechtswidrigkeit der Tat entfallen. Dies bedarf jedoch einer sorgfältigen Prüfung des konkreten Einzelfalls.

Wird eine Nötigung im Straßenverkehr durch das Gericht bejaht, hat dies gravierende Konsequenzen. Es handelt sich um eine Straftat, die im Fahreignungsregister mit drei Punkten eingetragen wird. Zudem ist regelmäßig mit einem Fahrverbot von bis zu drei Monaten zu rechnen. In schwerwiegenden Fällen, insbesondere bei einer erheblichen Gefährdung oder wenn der Täter bereits einschlägig vorbelastet ist, kann das Gericht auch die Fahrerlaubnis entziehen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung festlegen, die von sechs Monaten bis zu fünf Jahren reichen kann. Hinzu kommt eine Geldstrafe, die sich an den Einkommensverhältnissen des Täters bemisst - in Extremfällen droht sogar eine Freiheitsstrafe.

Schneiden der Fahrbahn: Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot mit Haftungsfolgen

Eine andere, im Alltag häufig zu beobachtende Form des Schneidens ist das Abkürzen in Kurven. Aus Bequemlichkeit oder um eine höhere Geschwindigkeit beibehalten zu können, ziehen viele Fahrzeugführer ihre Kurven nicht im regulären Bogen, sondern fahren über die gedachte oder markierte Mittellinie auf die Gegenfahrbahn oder den für den Gegenverkehr bestimmten Bereich der Fahrbahn. Dieses Verhalten stellt einen Verstoß gegen das in § 2 Abs. 2 StVO normierte Rechtsfahrgebot dar, das von jedem Fahrzeugführer verlangt, grundsätzlich möglichst weit rechts zu fahren.

Ein solcher Verstoß wird mit einem Bußgeld sowie einem Punkt im Fahreignungsregister geahndet, sofern es zu einer Gefährdung oder einem Unfall kommt. Weitaus gravierender können jedoch die zivilrechtlichen Folgen im Falle einer Kollision sein. Die Rechtsprechung sieht im Schneiden von Kurven regelmäßig ein erhebliches Mitverschulden, das die Haftungsverteilung maßgeblich beeinflusst – selbst dann, wenn der Unfallgegner ebenfalls einen Verkehrsverstoß begangen hat.

Ein Urteil des Landgerichts Saarbrücken verdeutlicht dies. In dem verhandelten Fall kollidierte ein vorfahrtsberechtigter Linksabbieger mit einem wartepflichtigen Fahrzeug. Der Anscheinsbeweis sprach zunächst gegen den Wartepflichtigen. Allerdings hatte der Vorfahrtsberechtigte beim Abbiegen die Kurve so stark geschnitten, dass er die linke Fahrbahn des Querverkehrs berührte. Das Gericht stellte klar, dass das Vorfahrtsrecht zwar durch das Abbiegen nicht verloren geht, es aber nicht rücksichtslos ausgeübt werden darf. Der Abbieger muss seinen Bogen so nehmen, dass er auf seiner Fahrbahnhälfte bleibt. Aufgrund des Kurvenschneidens wurde dem eigentlich Vorfahrtsberechtigten eine Mithaftung von einem Drittel angelastet (LG Saarbrücken, 12.05.2017 - Az: 13 S 137/16).

In einem anderen, noch drastischeren Fall entschied das Landgericht sogar auf eine Mithaftung von 70 % zu Lasten des Kurvenschneiders. Dieser hatte als Linksabbieger die Kurve derart stark geschnitten, dass er fast vollständig auf der Fahrspur des Wartepflichtigen mit diesem kollidierte, noch bevor dieser überhaupt die Schnittlinie zur vorfahrtsberechtigten Straße erreicht hatte. Das Gericht wertete dies als einen derart groben Verkehrsverstoß, dass die eigentliche Vorfahrtsverletzung des Unfallgegners dahinter zurücktrat (LG Saarbrücken, 27.04.2018 - Az: 13 S 165/17).

Sonderfall Kreisverkehr: Auch hier gilt das Rechtsfahrgebot

Besondere praktische Relevanz hat das Rechtsfahrgebot auch im Kreisverkehr. Viele Autofahrer neigen dazu, insbesondere in einspurigen Kreiseln eine möglichst gerade Linie zu fahren und die Kreisbahn bis zum äußersten linken Rand oder sogar über die bauliche Mittelinsel hinweg zu „schneiden“. Das Oberlandesgericht Hamm hat in einer Entscheidung klargestellt, dass ein solches Verhalten unzulässig ist.

Das Gericht führte aus, dass das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO auch im einspurigen Kreisverkehr Geltung beansprucht. Der Sinn und Zweck eines Kreisverkehrs bestehe darin, die Geschwindigkeit der Fahrzeuge zu reduzieren und ein gefahrloses Einfädeln zu ermöglichen. Dieses Ziel werde unterlaufen, wenn Verkehrsteilnehmer die Kreisbahn schneiden, um sich einen Geschwindigkeitsvorteil gegenüber einfahrenden Fahrzeugen zu verschaffen. Zwar stehe einem Fahrer im Kreisverkehr ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, doch die Benutzung des äußersten linken Fahrbahnrandes ohne triftigen Grund (wie etwa Hindernisse am rechten Rand) überschreite diesen Spielraum. Im zu entscheidenden Fall führte dieses Verhalten zu einer Haftungsquote von zwei Dritteln zu Lasten des Fahrers, der die Kreisbahn geschnitten hatte, obwohl unklar blieb, wer zuerst in den Kreisel eingefahren war (OLG Hamm, 18.11.2003 - Az: 27 U 87/03).
Stand: 20.09.2025
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