Ist Ihr Bußgeldbescheid anfechtbar? ➠ Jetzt überprüfen!Sicherheit im Straßenverkehr hat für den Gesetzgeber oberste Priorität - zur Gewährleistung der Insassensicherheit ist die Anschnallpflicht, auch Gurtpflicht gesetzlich in
§ 21a der Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgenommen worden. Obwohl die Regelung auf den ersten Blick einfach erscheint, werfen die Details in der Praxis durchaus Fragen auf. Wann genau muss der Gurt angelegt sein? Welche gesetzlich normierten Ausnahmen gibt es? Und welche, rechtlichen Konsequenzen drohen bei einem Verstoß – nicht nur in Form eines Bußgeldes, sondern insbesondere im Falle eines Unfalls?
Gesetzliche Grundlage und Regelbußgeld
Die Anschnallpflicht ergibt sich aus § 21a Abs. 1 S. 1 StVO. Dort heißt es unmissverständlich: „Vorgeschriebene Sicherheitsgurte müssen während der Fahrt angelegt sein.“ Diese Pflicht gilt für alle Insassen eines Fahrzeugs, also sowohl für den Fahrer als auch für sämtliche Mitfahrer.
Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wird als
Ordnungswidrigkeit geahndet. Wer einen vorgeschriebenen Sicherheitsgurt während der Fahrt nicht angelegt hat, muss gemäß
Bußgeldkatalog Ziffer 100 mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 30 Euro rechnen.
Gurtpflicht besteht jedoch dann nicht, wenn ein entsprechender Sicherheitsgurt nicht vorhanden ist, ein bestehender Gurt kaputt gegangen ist oder sich dieser aufgrund eines Defekts nicht anlegen lässt. Ein Bußgeld kann deshalb bei einem defekten Gurt nicht verhängt werden, weil dieser nicht benützt wird - wohl aber, weil eben dieser Gurt kaputt war. Es sollte daher grundsätzlich immer sichergestellt werden, dass die Gurte funktional sind und auch zum Einsatz kommen.
Ausnahmen von der Anschnallpflicht
Obwohl die Gurtpflicht eine grundlegende Regel darstellt, hat der Gesetzgeber in § 21a Abs. 1 S. 2 StVO bestimmte Situationen und Personengruppen definiert, für die eine Ausnahme gilt. Diese Ausnahmen sind eng auszulegen und an spezifische Voraussetzungen geknüpft.
Eine Ausnahme besteht für Taxifahrer und Führer von Mietwagen, allerdings nur während der Fahrgastbeförderung. Der Gesetzgeber geht hier von einer besonderen Gefährdungslage für das Fahrpersonal aus, etwa durch Übergriffe von Fahrgästen, bei denen ein angelegter Gurt ein schnelles Verlassen des Fahrzeugs behindern könnte.
Ebenfalls ausgenommen sind Personen beim sogenannten „Haus-zu-Haus-Verkehr“. Dies betrifft beispielsweise Paketzusteller oder Postboten, die in ihrem zugewiesenen Bezirk regelmäßig in sehr kurzen Abständen anhalten und das Fahrzeug verlassen müssen. Die ständige Wiederholung des An- und Abschnallens wird in diesem Zusammenhang schlicht und einfach als unpraktikabel angesehen.
Eine praxisrelevante Ausnahme betrifft Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit. Hierzu zählen explizit das Rückwärtsfahren sowie Fahrten auf Parkplätzen. Der Gesetzgeber unterstellt bei derart geringen Geschwindigkeiten ein erheblich reduziertes Verletzungsrisiko. Dass diese Ausnahme auch im fließenden Verkehr zur Anwendung kommen kann, hat das Amtsgericht Lüdinghausen in einem Fall bestätigt, bei dem ein Autofahrer einen
Kreisverkehr unangeschnallt mit Schrittgeschwindigkeit befuhr (AG Lüdinghausen, 30.05.2016 - Az:
19 OWi 92/16). Das Gericht entschied, dass der Ausnahmetatbestand erfüllt sei, da es allein auf die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit ankomme und nicht darauf, ob an der betreffenden Stelle üblicherweise schneller gefahren wird.
Weitere Ausnahmen gelten für den öffentlichen Personenverkehr. In Kraftomnibussen, in denen die Beförderung stehender Fahrgäste zugelassen ist, besteht keine generelle Gurtpflicht. Das Betriebspersonal in Bussen sowie das Begleitpersonal von besonders betreuungsbedürftigen Personengruppen sind ebenfalls von der Pflicht befreit, wenn ihre dienstliche Tätigkeit ein Verlassen des Sitzplatzes erfordert. Schließlich dürfen auch Fahrgäste in Reisebussen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen ihren Sitzplatz kurzzeitig verlassen, ohne sich jedes Mal an- und abschnallen zu müssen.
Befreiung von der Gurtpflicht aus gesundheitlichen Gründen
Neben den gesetzlichen Ausnahmen kann in Einzelfällen eine behördliche Befreiung von der Gurtpflicht aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden. Die Hürden hierfür sind jedoch außerordentlich hoch, wie die Rechtsprechung immer wieder bestätigt. Das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen hat hierzu klargestellt, dass eine Befreiung nur in besonders dringenden Fällen und unter strengen Anforderungen an den Nachweis der Notwendigkeit zulässig ist (OVG Niedersachsen, 26.02.2015 - Az:
12 LA 137/14).
Laut dem Gericht rechtfertigen physische oder psychische Beeinträchtigungen, die durch das Anlegen des Gurtes auftreten, in der Regel keine Ausnahme. Selbst gewichtigere subjektive Beeinträchtigungen, wie etwa eine psychisch bedingte Abneigung gegen den Gurt, sind dem Betroffenen bei der Abwägung der Risiken zuzumuten. Ein Anspruch auf Befreiung besteht nur dann, wenn die Benutzung des Gurtes aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar ist, weil mit der Nutzung konkret ernsthafte, ärztlich bestätigte Gesundheitsschäden verbunden sind, denen nicht auf andere Weise vorgebeugt werden kann. Der überragende Nutzen des Sicherheitsgurtes für die Allgemeinheit und den Einzelnen wiegt in der Abwägung schwerer als die meisten individuellen Unannehmlichkeiten.
Missachtung der Gurtpflicht: Weitreichende Folgen bei bei einem Unfall
Die wohl gravierendste Konsequenz der Missachtung der Gurtpflicht zeigt sich nicht beim Verwarnungsgeld, sondern nach einem
Verkehrsunfall. Die Rechtsprechung vertritt einhellig die Auffassung, dass ein nicht angeschnallter Fahrzeuginsasse, der bei einem Unfall verletzt wird, ein erhebliches Mitverschulden an seinen eigenen Verletzungen trägt. Dies führt nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu einer Kürzung seiner Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche, selbst wenn er den Unfall nicht verursacht hat.
Die Höhe der Kürzung variiert je nach Einzelfall, bewegt sich aber in der Regel zwischen 20 und 30 Prozent. In Fällen, in denen der Gurtverstoß besonders schwer wiegt oder die Haftung des Unfallverursachers vergleichsweise gering ist, können auch Kürzungen von 50 Prozent oder mehr in Betracht kommen.
Interessant ist hierbei die Berechnungsmethode, die das Oberlandesgericht München aufgestellt hat (OLG München, 19.01.2022 - Az:
10 U 4672/13). Es ist nicht so, dass jene Verletzungen, die bei angelegtem Gurt vermieden worden wären, einfach vom Schadensersatz ausgenommen werden. Vielmehr müssen zunächst alle unfallbedingten Verletzungen erfasst und bewertet werden. Erst auf der zweiten Stufe, bei der Bildung einer einheitlichen Haftungsquote, wird das Mitverschulden durch den Gurtverstoß berücksichtigt und führt zu einer prozentualen Minderung der gesamten Ansprüche.
Selbst wenn ein Anschnallen objektiv nicht möglich war, weil beispielsweise in einem für fünf Personen zugelassenen Fahrzeug nur vier Gurte vorhanden waren, kann den nicht angeschnallten fünften Passagier eine Mithaftung treffen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe sah in einem solchen Fall eine Mithaftung von 20 Prozent als gerechtfertigt an, da die Mitfahrt unter diesen Umständen zumindest teilweise auf eigene Gefahr erfolge (OLG Karlsruhe, 09.07.1999 - Az:
10 U 55/99).
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