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Gewerbeuntersagung gegenüber einem Friseursalonbetreiber, der Corona-Vorschriften missachtet?

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 9 Minuten

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Der sinngemäße Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Oktober 2020 gegen die Untersagungsverfügung des Antragsgegners vom 7.Oktober 2020 wiederherzustellen bzw. – hinsichtlich der Androhung unmitttelbaren Zwangs – anzuordnen, ist zulässig und begründet.

Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse am Vollzug der unter Ziff. 1 des Bescheids vom 7. Oktober 2020 angeordneten Untersagung der Ausübung des Gewerbes „Herrenfriseur“ sowie jeglicher Erbringung körpernaher Dienstleistungen, bei denen ein physischer Kundenkontakt stattfindet, befristet für den Zeitraum, in dem für die Erbringung derartiger Dienstleistungen Einschränkungen seitens des Landes Brandenburg zur Bekämpfung des Sars-CoV-2-Virus bestehen.

Der angegriffene Bescheid ist zum für die Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt als rechtswidrig zu beurteilen. Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ist die Ausübung eines Gewerbes von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in Bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Es ist bereits fraglich, ob von einer Unzuverlässigkeit des Antragstellers auszugehen ist.

Bei mehreren Vorortkontrollen (am 10., 12., 15., 26. August und am 14.,16. und 18. September 2020) stellten Mitarbeiter des Ordnungsamtes des Antragsgegners fest, dass Mitarbeiter und Kunden keinen Mund-Nasen-Schutz trugen, bei der letzten Kontrolle wurde auch festgestellt, dass die Liste zur Erfassung der Kundendaten unvollständig (es fehlten Telefonverbindungen bzw. E-Mail-Adressen) geführt war. Nach der seinerzeit geltenden SARS-CoV-2-Umgangsverordnung (vom 12. Juni 2020, GVBl.II/20, Nr. 49) hatten alle Personen ab dem vollendeten sechsten Lebensjahr in Einrichtungen zur Erbringung von Dienstleistungen, bei denen ein physischer Kundenkontakt stattfindet, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2).

Als Betreiber des Friseursalons hatte der Antragsteller nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 der SARS-CoV-2-Umgangsverordnung u.a. das Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung sowie das Erfassen von Personendaten in einem Anwesenheitsnachweis gemäß Absatz 2 zum Zwecke der Kontaktnachverfolgung sicherzustellen. Inhaltsgleiche Verpflichtungen bestehen nach der zum gegenwärtigen Zeitpunkt geltenden SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – SARS-CoV-2-EindV (vom 30. Oktober 2020, GVBl. II, Nr. 103), welche am 2. November 2020 in Kraft getreten ist und die o.g. SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 12. Juni 2020 außer Kraft gesetzt hat (§ 25 SARS-CoV-2-EindV). Auch danach haben Friseure auf der Grundlage eines individuellen Hygienekonzepts durch geeignete organisatorische Maßnahmen das verpflichtende Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung durch alle Personen (§ 9 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 3) sowie das Erfassen von Personendaten in einem Kontaktnachweis nach § 6 Absatz 2 zum Zwecke der Kontaktnachverfolgung (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 Abs. 3 Nr. 3) sicherzustellen; die Teilnehmenden haben ihre Personendaten vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben.

Gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Friseurladen wurde nach den vorliegenden Unterlagen mehrfach verstoßen, was der Antragsteller als einen zu laschen Umgang mit der Maskenpflicht auch einräumt. Ob dies und die Verletzung des Gebots zum Führen eines vollständigen Kontaktnachweises schon die Annahme einer Unzuverlässigkeit des Antragstellers begründet, erscheint zweifelhaft. Zwar kann nach ständiger Rechtsprechung auch eine Vielzahl kleinerer Gesetzesverletzungen, die jeweils für sich betrachtet, noch keine ausreichende Grundlage für eine Gewerbeuntersagung bieten würden, in ihrer Häufung eine Gewerbeuntersagung rechtfertigen, wenn sie einen Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lassen.

Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Antragsteller zwar eingeleitet, ein Bußgeld jedoch bislang nicht verhängt wurde. Dafür, dass es sich um Bagatellverstöße handeln könnte, spricht auch der Umstand, dass der Antragsgegner am 24. September 2020 nur einen Mitarbeiter des Antragstellers mit einem Verwarnungsgeld in Höhe von 50 Euro verwarnt hat. Die Frage, ob die dem Antragsteller zur Last gelegten Gesetzesverstöße seine Unzuverlässigkeit begründen, kann letztlich offen bleiben, da die Gewerbe-untersagung nicht zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb des Antragstellers Beschäftigten erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der vom Gericht in vollem Umfang nachprüfbar ist.

Die (Voll-)Untersagung ist äußerstes Mittel zur Abwehr der sich aus der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ergebenden Gefährdungen. Die Gewerbeuntersagung stellt einen erheblichen Eingriff in die durch § 1 GewO geschützte Gewerbefreiheit und das durch Art. 12 GG garantierte Grundrecht der Berufsfreiheit dar; sie ist das letzte Mittel, Gewerbetreibende zu einem den Interessen der Allgemeinheit Rechnung tragenden Verhalten zu bewegen. Wenn die Verwaltungsbehörde durch ein milderes Vorgehen – z.B. durch eine polizeiliche oder ordnungsbehördliche Auflage an den Gewerbetreibenden – den Gefährdungen wirksam begegnen kann, muss sie dieses weniger eingreifende Mittel anwenden. Diesen Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs hat der Antragsgegner verletzt, indem er zum Schutze der Gesundheit der Allgemeinheit und der Angestellten des Antragstellers vor den Gefahren, die aus der Verbreitung des Covid-Virus herrühren, die Fortführung des Friseurbetriebs verboten hat, ohne zu prüfen, ob den Gesundheitsgefahren nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen wirksam begegnet werden könnte. So hätte er z.B. die sich aus den genannten Verordnungen ergebenden Gebote zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und die vollständige Erfassung der Kundendaten in einem Kontaktnachweis durch Ordnungsverfügungen gegenüber dem Antragsteller konkretisieren und – bei Nichtbefolgung – gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchsetzen können. Erst die Erfolglosigkeit derartiger Maßnahmen berechtigt den Antragsgegner zur vollständigen Untersagung des Gewerbebetriebs. Dass ihm – wie er vorträgt – wenig Personal zur Überwachung und Durchsetzung von Zwangsmitteln zur Verfügung steht, entbindet den Antragsgegner nicht von der Beachtung des Grundsatzes der Erforderlichkeit.

Aus den dargelegten Gründen ist auch die Erweiterung der Untersagung auf einzelne andere Gewerbe, hier die Erbringung körpernaher Dienstleistungen, bei denen ein physischer Kundenkontakt stattfindet, nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO rechtswidrig.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs nach §§ 16, 28, 34 VwVGBbg anzuordnen, da mangels sofortiger Vollziehbarkeit oder Unanfechtbarkeit der Gewerbeuntersagungsverfügung die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach § 3 VwVGBbg nicht vorliegen.


VG Potsdam, 06.11.2020 - Az: 3 L 1001/20

ECLI:DE:VGPOTSD:2020:1106.3L1001.20.00

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