Arbeitnehmer fühlen sich oft ungerecht behandelt, wenn der Kollege am Schreibtisch gegenüber mehr verdient oder eine Sonderzahlung erhält, die an einem selbst vorbeigeht. Doch nicht jede Ungleichbehandlung ist juristisch verboten.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz wird in seiner Reichweite oft missverstanden. Er verbietet dem
Arbeitgeber willkürliche Differenzierungen bei der Behandlung der
Arbeitnehmer auf den Gebieten, die seinem
Weisungsrecht unterliegen oder bei denen er freiwillige Leistungen erbringt. Dieser gewohnheitsrechtlich anerkannte Grundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen in vergleichbarer Lage als auch eine sachfremde Differenzierung zwischen ganzen Gruppen von Arbeitnehmern.
Typische Anwendungsbereiche aus der Rechtsprechung sind Gratifikationen, der Zugang zu sozialen Einrichtungen, die Anordnung von
Kurzarbeit, Torkontrollen oder auch
Rauchverbote im Betrieb. Allerdings bedeutet Gleichbehandlung nicht, dass alle Mitarbeiter identisch behandelt werden müssen. Vielmehr geht es um die Frage, ob es für eine Ungleichbehandlung einen sachlichen Grund gibt oder ob diese willkürlich erfolgt.
Vertragsfreiheit und die Gleichbehandlung
Ein häufiger Irrtum besteht in der Annahme, dass alle Mitarbeiter für die gleiche Arbeit auch zwingend den gleichen
Lohn erhalten müssen. Dies ist so pauschal nicht korrekt. Im Bereich der Vergütung gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat. Werden Arbeitsbedingungen, wie etwa die Lohnhöhe, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer individuell ausgehandelt, greift der Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich nicht ein.
Wenn der Arbeitgeber also einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besserstellt – etwa weil diese besser verhandelt haben –, können sich andere Arbeitnehmer hierauf nicht zur Begründung gleichartiger Ansprüche berufen. Es fehlt in diesem Fall an einem kollektiven Bezug, also einer vom Arbeitgeber selbst gesetzten Regel. Ein Anspruch besteht erst dann, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem generalisierenden Prinzip gewährt und dabei bestimmte Voraussetzungen festlegt. Zahlt der Chef also eine Prämie nach einem erkennbaren Schema, darf er einzelne Mitarbeiter nur davon ausnehmen, wenn dies den sachlichen Kriterien des verfolgten Zwecks entspricht.
Ein Beispiel hierfür liefert die Rechtsprechung zur individuellen Entgeltvereinbarung: Weichen Parteien bewusst von einer Entgelttabelle ab, ohne dass dem ein generalisierendes Prinzip zugrunde liegt, kann sich der Arbeitnehmer später nicht auf eine Anpassung berufen, nur weil andere Mitarbeiter pauschal mehr erhalten haben (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, 01.12.2021 - Az:
3 Sa 118/21).
Tabu-Thema Gehalt und die Gleichbehandlung
Damit Arbeitnehmer überhaupt feststellen können, ob sie Opfer einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung geworden sind, ist Transparenz erforderlich. Viele
Arbeitsverträge enthalten Klauseln, die Arbeitnehmern verbieten, mit Kollegen über die Höhe ihres Gehalts zu sprechen. Solche Klauseln sind jedoch regelmäßig unwirksam. Eine arbeitsvertragliche Klausel, die den Arbeitnehmer zur Verschwiegenheit über seine Vergütung gegenüber Arbeitskollegen verpflichtet, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen.
Die Rechtsprechung argumentiert hier deutlich: Die einzige Möglichkeit für den Arbeitnehmer festzustellen, ob er Ansprüche aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz hat, ist das Gespräch mit Kollegen. Könnte der Arbeitgeber solche Gespräche verbieten, würde er dem Arbeitnehmer das erfolgversprechende Mittel nehmen, seine Rechte durchzusetzen (vgl. LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.10.2009 - Az:
2 Sa 183/09). Zudem verstoßen solche Verbote gegen die Koalitionsfreiheit, da sie auch die Kommunikation mit
Gewerkschaften behindern würden.
Auch der
Betriebsrat hat hier weitreichende Kontrollrechte. Die Listen über Bruttolöhne und Gehälter dürfen dem Betriebsrat nicht anonymisiert vorgelegt werden. Nur durch die Nennung von Namen kann das Gremium prüfen, ob eine innerbetriebliche Lohngerechtigkeit besteht und der Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten wird (vgl. LAG Hamm, 19.09.2017 - Az:
7 TaBV 43/17).
Beweislast und der „Gender Pay Gap“
Die Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen ist ein besonders heißes Eisen. Männer und Frauen haben bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Anspruch auf gleiches Entgelt. Klagt eine Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt, und ist ihr Gehalt geringer als das eines männlichen Kollegen, der die gleiche Arbeit verrichtet, begründet dies regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts (vgl. BAG, 23.10.2025 - Az:
8 AZR 300/24).
Der Arbeitgeber kann sich dann nicht einfach darauf berufen, der männliche Kollege habe besser verhandelt oder sei „leistungsstärker“, ohne dies beweisen zu können. Kann der Arbeitgeber die Vermutung der Benachteiligung nicht widerlegen, muss er der Frau das gleiche Gehalt zahlen. Interessant ist hierbei, dass es für die Vermutungswirkung ausreicht, wenn die Arbeitnehmerin darlegt, dass ein einzelner vergleichbarer männlicher Kollege mehr verdient; statistische Durchschnittswerte oder Medianentgelte der Vergleichsgruppen sind für diese Vermutungswirkung ohne Bedeutung.
Grundsätzlich liegt die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz beim Arbeitnehmer. Er muss vergleichbare Arbeitnehmer nennen, die bessergestellt werden. Ist dies geschehen, muss der Arbeitgeber substantiiert darlegen, wie die Gruppen abgegrenzt sind und warum der Kläger nicht dazugehört (vgl. BAG, 25.01.2023 - Az:
10 AZR 29/22).
Willkürverbot bei Sozialplänen und Stichtagsregelungen
Bei
betriebsbedingten Kündigungen und Betriebsschließungen kommen oft
Sozialpläne zum Einsatz, die
Abfindungen regeln. Auch hier haben die Betriebsparteien zwar Gestaltungsspielräume, müssen aber den Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Pauschalierungen und Stichtagsregelungen sind zulässig, solange sie sich am Zweck der Überbrückungsfunktion orientieren.
Ein prominenter Fall betraf die Verzögerung des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER). Ein Sozialplan sah Abfindungen für Mitarbeiter vor, die zu einem bestimmten Stichtag beschäftigt waren. Mitarbeiter, die erst danach befristet eingestellt wurden, gingen leer aus. Das Bundesarbeitsgericht hielt diese Ungleichbehandlung für gerechtfertigt. Die befristet eingestellten Mitarbeiter wussten von Anfang an um die bevorstehende Schließung des Flughafens Tegel und hatten keine berechtigte Erwartung auf Dauerarbeitsplätze. Daher war der Ausschluss von den Sozialplanleistungen sachlich begründet, da ihnen keine vergleichbaren wirtschaftlichen Nachteile drohten (vgl. BAG, 30.01.2024 - Az:
1 AZR 62/23).
Anders verhält es sich, wenn Stichtagsregelungen willkürlich gewählt werden und Mitarbeiter benachteiligen, die früher ausscheiden. Eine Regelung, die Abfindungen kürzt, weil Mitarbeiter „vorzeitig“ per Eigenkündigung gehen, obwohl der Arbeitsplatzverlust ohnehin feststeht, kann gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, 26.04.2013 - Az:
8 Sa 1901/12).
Differenzierung nach Gewerkschaftszugehörigkeit
Ein oft diskutiertes Thema ist die Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern.
Tarifverträge können durchaus vorsehen, dass bestimmte Sonderzahlungen nur Mitarbeitern gewährt werden, die zu einem bestimmten Stichtag Mitglied der Gewerkschaft waren. Eine solche „Binnendifferenzierung“ ist zulässig und verletzt nicht die negative Koalitionsfreiheit der Nicht-Mitglieder. Den Tarifparteien steht hier ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BAG, 15.04.2015 - Az:
4 AZR 796/13). Auch sogenannte Senioritätsregelungen, die den beruflichen Aufstieg regeln, können durch Tarifverträge geändert werden, solange dabei ein sachlich vertretbarer Grund besteht und keine willkürliche Gruppenbildung erfolgt (vgl. LAG Düsseldorf, 11.08.2023 - Az:
10 Sa 421/22).
Krankheit und Behinderung: Keine Benachteiligung in der Probezeit
Der Grundsatz der Gleichbehandlung und der Schutz vor Diskriminierung greifen tief in die betriebliche Organisation ein. Dies gilt insbesondere für
schwerbehinderte Menschen. Arbeitgeber sind verpflichtet, angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Dies gilt auch in der
Probezeit.
Der Europäische Gerichtshof entschied im Fall eines Gleisarbeiters, der aufgrund eines Herzschrittmachers nicht mehr im Gleisbereich arbeiten durfte, dass der Arbeitgeber prüfen muss, ob eine anderweitige Beschäftigung möglich ist. Eine Entlassung allein aufgrund der Ungeeignetheit für die ursprüngliche Tätigkeit ist unzulässig, wenn eine Versetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz möglich und zumutbar wäre (vgl. EuGH, 10.02.2022 - Az:
C-485/20).
Verletzt der Arbeitgeber Verfahrenspflichten – etwa die fehlende Einbindung der Schwerbehindertenvertretung –, begründet dies regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass ausschließlich andere Gründe für die Maßnahme ausschlaggebend waren (vgl. ArbG Köln, 20.12.2023 - Az:
18 Ca 3954/23).
Betriebliche Standorte und Sonderzahlungen
Auch über Standortgrenzen hinweg kann der Gleichbehandlungsgrundsatz relevant werden. Gewährt ein Unternehmen mit mehreren Filialen eine Lohnerhöhung, darf es einzelne Standorte nicht willkürlich ausnehmen. Zwar können unterschiedliche Leistungsanforderungen oder wirtschaftliche Erfolge der einzelnen Filialen eine Differenzierung rechtfertigen, dies erfordert jedoch einen unternehmensweiten Vergleich und eine transparente Begründung. Der bloße Verweis auf lokale Gegebenheiten ohne sachliche Basis genügt nicht (vgl. BAG, 03.12.2008 - Az:
5 AZR 74/08).
Umgekehrt ist es zulässig, höhere Prämien für Arbeitnehmer zu zahlen, denen in bestimmten Betrieben eine höhere Flexibilität abverlangt wird – etwa durch abweichende Arbeitszeitregelungen. Werden Mitarbeiter an anderen Standorten weniger flexibel eingesetzt, liegt ein sachlicher Grund für die geringere Prämie vor (vgl. BAG, 18.09.2007 - Az:
3 AZR 639/06).
Gleichbehandlungsgrundsatz kann sich selbst auf die Teilnahme an der Weihnachtsfeier auswirken
Der Gleichbehandlungsgrundsatz betrifft auch das betriebliche Miteinander. Werden Mitarbeiter von der Arbeit freigestellt – etwa im Rahmen einer
Kündigungsschutzklage oder eines
Aufhebungsvertrages –, kann sich die Frage stellen, ob sie noch an der
Weihnachtsfeier oder dem Betriebsausflug teilnehmen dürfen. Das Arbeitsgericht Köln entschied zugunsten eines leitenden Angestellten, der trotz Freistellung bis zum Renteneintritt an Firmenfeiern teilnehmen wollte. Der Ausschluss von solchen Veranstaltungen bedarf eines Sachgrundes. Eine einvernehmliche Freistellung allein reicht hierfür nicht aus. Ein legitimer Sachgrund wäre beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer in der Vergangenheit den Betriebsfrieden auf solchen Feiern gestört hätte (vgl. ArbG Köln, 22.06.2017 - Az:
8 Ca 5233/16).