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Verfallsklauseln im Arbeitsvertrag: Wenn Ansprüche plötzlich wertlos sind

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 14 Minuten

Im Arbeitsleben drehen sich arbeitsrechtliche Streitigkeiten oftmals um die pünktliche und korrekte Zahlung des Gehalts sowie anderer Leistungen. Doch was viele Arbeitnehmer nicht wissen: Selbst berechtigte Ansprüche, wie Lohnnachzahlungen, Überstundenvergütungen oder Spesen, können verfallen, wenn sie nicht rechtzeitig geltend gemacht werden. Verantwortlich hierfür sind sogenannte Ausschluss- oder Verfallsklauseln, die in vielen Arbeits- und Tarifverträgen zu finden sind. Diese Klauseln schaffen schnell Rechtssicherheit, bergen für uninformierte Vertragsparteien jedoch auch Risiken, da sie die gesetzlichen Verjährungsfristen drastisch verkürzen.

Welche Grundregeln gelten?

Eine gesetzliche Regelung für Ausschlussfristen existiert nicht; sie werden stattdessen in Arbeitsverträgen, Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen individuell vereinbart. Ihr Zweck ist es, Rechtsklarheit und -frieden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer herzustellen. Beide Seiten sollen sich darauf verlassen können, dass nach Ablauf einer bestimmten Frist keine alten Forderungen mehr geltend gemacht werden können. Im Gegensatz zur gesetzlichen Verjährungsfrist, die ein Gericht nur berücksichtigt, wenn sich eine Partei darauf beruft, müssen Ausschlussfristen von den Arbeitsgerichten von Amts wegen beachtet werden.

Handelt es sich um eine einzelvertragliche Regelung, muss die Partei, die sich darauf beruft, die Klausel darlegen und beweisen, meist durch Vorlage des Arbeitsvertrages. Bei tariflichen Ausschlussfristen ist die Situation noch strenger: Sie gelten auch dann, wenn sie den Vertragsparteien gar nicht bekannt sind. Arbeitgeber sind jedoch nach dem Nachweisgesetz verpflichtet, in der Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen auf die anwendbaren Tarifverträge hinzuweisen. Kommt ein Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, kann er sich unter Umständen nicht auf die tarifvertraglichen Ausschlussfristen berufen (vgl. BAG, 17.04.2002 - Az: 5 AZR 89/01). Die Unkenntnis über solche Fristen führt in der Praxis leider immer wieder zum endgültigen Verlust an sich berechtigter Ansprüche.

Verfallsklauseln: Form, Frist und Inhalt

Damit eine Ausschlussklausel wirksam ist, muss sie bestimmten Anforderungen genügen. Insbesondere bei Formulararbeitsverträgen, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten, findet eine strenge inhaltliche Kontrolle durch die Gerichte statt.

Eine entscheidende Rolle spielt die Dauer der Frist. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass eine Frist zur erstmaligen Geltendmachung von Ansprüchen nicht unangemessen kurz sein darf. Eine Frist von weniger als drei Monaten ist hierbei regelmäßig als unwirksam anzusehen. Ist die Frist zu kurz, fällt die gesamte Klausel ersatzlos weg und es gilt die gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren. Eine Anpassung der Frist auf ein zulässiges Maß durch das Gericht findet nicht statt.

Viele Klauseln sind zweistufig aufgebaut: In der ersten Stufe muss der Anspruch gegenüber der Gegenseite geltend gemacht werden. Wird der Anspruch daraufhin nicht erfüllt, muss er in einer zweiten Stufe gerichtlich durch eine Klage verfolgt werden. Auch für diese zweite Stufe hat das Bundesarbeitsgericht eine Mindestfrist von drei Monaten für angemessen erachtet.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft die Form der Geltendmachung. Für Arbeitsverträge, die nach dem 30. September 2016 geschlossen wurden, ist eine Klausel unwirksam, die eine strengere Form als die Textform (z. B. per E-Mail oder Fax) vorschreibt. Die früher übliche Forderung nach „Schriftform“ (mit eigenhändiger Unterschrift) verstößt gegen § 309 Nr. 13 BGB und führt zur Unwirksamkeit der Klausel. Für Altverträge gelten diese strengen Vorgaben noch nicht.

Darüber hinaus sind Klauseln unwirksam, wenn sie intransparent sind oder eine Vertragspartei unangemessen benachteiligen. So erklärte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eine Klausel für wirksam, die beiderseitige Ansprüche erfasste. Eine einseitige Klausel, die nur zum Verfall von Ansprüchen des Arbeitnehmers führt, wäre hingegen wegen einseitiger Benachteiligung unwirksam (LAG Berlin-Brandenburg, 04.10.2018 - Az: 14 Sa 552/18).

Ab wann läuft die Frist zur Anspruchsgeltendmachung?

Eine der schwierigsten Fragen in der Praxis ist die Bestimmung des Fristbeginns. Die Klauseln knüpfen diesen oft an die „Fälligkeit“ des Anspruchs. Doch wann genau ein Anspruch fällig wird, ist nicht immer offensichtlich, insbesondere bei Schadensersatzansprüchen. So musste sich Bundesarbeitsgericht mit einem speziellen Fall befassen, in dem ein Autoverkäufer einem Kunden einen Neuwagen ohne vollständige Bezahlung und ohne gesicherte Finanzierung überlassen hatte. Das Fahrzeug verschwand und die Arbeitgeberin versuchte monatelang, den Kunden und das Fahrzeug ausfindig zu machen, bevor sie ihren Mitarbeiter auf Schadensersatz in Anspruch nahm. Das Gericht entschied, dass der Schadensersatzanspruch der Arbeitgeberin verfallen war. Die dreimonatige Ausschlussfrist begann spätestens zu dem Zeitpunkt zu laufen, als für die Arbeitgeberin erkennbar wurde, dass eine Inanspruchnahme des Kunden keine realistische Erfolgsaussicht mehr bot. Dies war der Fall, als sie sich entschloss, den Kunden zu verklagen, obwohl dessen Aufenthaltsort unklar war. Die erst Monate später erfolgte Geltendmachung gegenüber dem Mitarbeiter war daher verspätet (BAG, 07.06.2018 - Az: 8 AZR 96/17). Dieser Fall zeigt, dass die Fälligkeit und damit der Fristbeginn stark von den Umständen des Einzelfalls abhängen.

Wie Ansprüche korrekt geltend gemacht werden

Um eine Frist zu wahren, muss der Anspruch korrekt geltend gemacht werden. Aus Beweisgründen sollte dies immer schriftlich oder in Textform geschehen, auch wenn die Klausel eine mündliche Geltendmachung zuließe. Das Schreiben sollte den Anspruch klar benennen, den Grund darlegen und die geforderte Summe beziffern.

Ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass die Einreichung einer Klage bei Gericht genügt, um eine außergerichtliche, einstufige Ausschlussfrist zu wahren. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu entschieden, dass es auf den Zugang des Geltendmachungsschreibens beim Anspruchsgegner selbst ankommt. Die Regelung des § 167 ZPO, wonach eine Klageeinreichung zur Wahrung von Verjährungsfristen auf den Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht zurückwirkt, ist auf tarifliche Ausschlussfristen nicht anwendbar. Im entschiedenen Fall ging die Klage zwar fristgerecht bei Gericht ein, wurde dem Arbeitgeber aber erst nach Fristablauf zugestellt. Der Anspruch war damit verfallen (BAG, 16.03.2016 - Az: 4 AZR 421/15).

Eine Ausnahme kann jedoch dann bestehen, wenn die Parteien über den Anspruch verhandeln. Führen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Vergleichsverhandlungen, ist die Ausschlussfrist für die Dauer der Verhandlungen gehemmt. Der Zeitraum der Verhandlungen wird also nicht in die Frist eingerechnet. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 203 Satz 1 BGB (BAG, 20.06.2018 - Az: 5 AZR 262/17).

Interessanterweise muss ein Anspruch, den der Arbeitgeber bereits anerkannt hat, nicht nochmals geltend gemacht werden. Hat der Arbeitgeber beispielsweise in einer Gehaltsabrechnung einen Betrag vorbehaltlos ausgewiesen, gilt dies als Anerkenntnis. Ein späterer Verweis auf eine Ausschlussfrist ist dann treuwidrig. Eine Klausel ist jedoch nicht allein deshalb intransparent, weil sie solche Fälle nicht explizit ausnimmt (LAG Baden-Württemberg, 24.08.2021 - Az: 19 Sa 7/21).

Nicht jeder Anspruch unterliegt vereinbarten Ausschlussfristen!

Trotz ihrer weiten Verbreitung können Ausschlussklauseln nicht alle denkbaren Ansprüche erfassen. Bestimmte Rechte sind dem vertraglichen Verfall entzogen.

Ansprüche auf den Mindestlohn sind nach § 3 Satz 1 MiLoG unabdingbar. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass eine arbeitsvertragliche Ausschlussklausel, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach der Pflegearbeitsbedingungen-Verordnung erfasst, unwirksam ist. Weil die Klausel den Mindestlohn nicht ausnahm, war sie insgesamt intransparent und somit vollständig nichtig. Sie konnte auch nicht für andere Ansprüche aufrechterhalten werden (BAG, 24.08.2016 - Az: 5 AZR 703/15). Diese Rechtsprechung wurde konsequent weiterentwickelt: Auch der Anspruch auf Annahmeverzugslohn kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns nicht durch eine Ausschlussfrist verfallen, da der Arbeitnehmer so gestellt werden muss, als hätte er gearbeitet (BAG, 13.07.2022 - Az: 5 AZR 412/21).

Ebenso sind Ansprüche, die aus einer vorsätzlichen Handlung des Arbeitgebers resultieren, dem Verfall durch eine arbeitsvertragliche Klausel entzogen. Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Das Bundesarbeitsgericht leitet daraus ab, dass arbeitsvertragliche Klauseln so auszulegen sind, dass sie vorsätzliche Schädigungen von vornherein nicht erfassen (BAG, 20.06.2013 - Az: 8 AZR 280/12).

Im Einzelnen wurden Ausschlussfristen für die folgenden Fälle ausgeschlossen:
  • Ansprüche auf den Mindestlohn
  • Ansprüche wegen Eingriffs in Ihre Persönlichkeitsrechte
  • Anspruch auf eine vergleichsweise vereinbarte Abfindung
  • Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung
  • Sozialansprüche
  • Gesetzliche Ansprüche auf Urlaub und Urlaubsabgeltung
  • Ansprüche auf vertragsgemäße Beschäftigung
  • Ansprüche wegen Versorgungsschäden
  • Sonstige selbstständige Ansprüche

Sonderfälle: Urlaubsabgeltung und tarifliche Regelungen

Der Umgang mit Urlaubsansprüchen ist nicht immer einfach. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Anspruch auf Urlaubsabgeltung – also die finanzielle Abgeltung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub – als reiner Geldanspruch grundsätzlich Ausschlussfristen unterliegen kann. Dem stehen weder das Bundesurlaubsgesetz noch europarechtliche Vorgaben entgegen (BAG, 24.05.2022 - Az: 9 AZR 461/21). Allerdings ist die Situation differenziert zu betrachten, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten bezüglich des offenen Urlaubs nicht nachgekommen ist. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Pflicht aus dem Nachweisgesetz, den Arbeitnehmer über seinen Urlaubsanspruch zu informieren, und der Urlaub verfällt deshalb, kann ein Schadensersatzanspruch entstehen. Dieser Schadensersatzanspruch unterliegt dann wiederum der tarifvertraglichen Ausschlussfrist (LAG Baden-Württemberg, 03.02.2025 - Az: 9 Sa 34/24).

Im Bereich des öffentlichen Dienstes hat das Bundesarbeitsgericht zudem klargestellt, dass auch spezielle tarifliche Ansprüche den allgemeinen Ausschlussfristen des Tarifvertrags unterliegen. So verfallen beispielsweise Zahlungsansprüche, die sich aus einem erfolgreichen Höhergruppierungsantrag nach dem TVÜ-Bund ergeben, wenn sie nicht fristgerecht nach § 37 Abs. 1 TVöD geltend gemacht werden. Die spezielle Antragsfrist für die Höhergruppierung verdrängt die allgemeine Geltendmachungsfrist für die daraus resultierenden Zahlungen nicht (BAG, 18.09.2019 - Az: 4 AZR 42/19).

Im Zweifel sollte ein Anwalt konsultiert werden!

Angesichts der Komplexität und der gravierenden Folgen von Verfallsklauseln ist bei Unsicherheiten stets eine genaue Prüfung der jeweiligen vertraglichen oder tariflichen Regelungen und zumindest die Einholung einer Rechtsberatung dringend zu empfehlen.
Stand: 24.08.2025
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