Das
Anbahnungsverhältnis, das mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen beginnt, begründet für beide Seiten,
Arbeitgeber und Bewerber, bereits vorvertragliche Pflichten. Beide Vertragspartner sind im Bewerbungsprozess zur gegenseitigen Aufklärung verpflichtet. Diese Pflichten ergeben sich aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben. Wird diese
Aufklärungspflicht verletzt, sei es durch aktives Täuschen oder pflichtwidriges Verschweigen, kann dies weitreichende Konsequenzen haben. Im Raum stehen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung, aber auch Schadensersatzansprüche können drohen.
Aufklärungspflichten des Arbeitgebers
Den Arbeitgeber treffen im Bewerbungsverfahren erhebliche Informationspflichten. Er muss den Bewerber über die Umstände aufklären, die für dessen Entscheidung, den Vertrag abzuschließen, von maßgeblicher Bedeutung sein können. Dies betrifft zunächst alle Anforderungen des in Frage stehenden Arbeitsplatzes, insbesondere wenn diese über das übliche Maß hinausgehen. Selbstverständlichkeiten müssen dabei nicht gesondert aufgeführt werden. Weiterhin muss der Arbeitgeber den Bewerber über die wirtschaftliche Situation des Unternehmens, geplante Betriebsübernahmen aber auch geplante örtliche Versetzungen informieren. Bestehen besondere Gefahren, die sich aus dem Abschluss des Arbeitsvertrages ergeben und die nicht offensichtlich sind, ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf diese hinzuweisen.
Unterlässt der Arbeitgeber schuldhaft eine notwendige Aufklärung, haftet er dem Bewerber gegenüber. Ein Schadensersatzanspruch kann in diesem Fall auch noch nach Vertragsschluss in Betracht kommen. Die Beweislast für die Verletzung der Aufklärungspflicht liegt dabei grundsätzlich beim
Arbeitnehmer.
Im Schadensfall ist für den Bewerber zu beachten, dass nach § 254 BGB ein Mitverschulden seine Ansprüche mindern kann. Hatte der Bewerber eigene Anhaltspunkte für Risiken – beispielsweise aus Presseberichten zur wirtschaftlichen Lage – und hat sie ignoriert, kann dies anspruchsmindernd wirken.
Besonders relevant wird die Aufklärungspflicht des Arbeitgebers, wenn der Bewerber für die neue Stelle eine bestehende, ungekündigte Position aufgibt. Zeichnen sich bereits zum Zeitpunkt der Bewerbung ernsthafte Probleme bei der Gehaltszahlung oder gar drohende betriebsbedingte Kündigungen ab, muss der Stellenbewerber im Vorstellungsgespräch hierauf hingewiesen werden. Versäumt der Arbeitgeber dies, macht er sich schadensersatzpflichtig, wenn dem neuen Mitarbeiter bereits bei Arbeitsaufnahme oder kurz danach aus eben diesen wirtschaftlichen Gründen wieder gekündigt wird. Denn dem Arbeitgeber obliegt die Pflicht, den Arbeitnehmer über solche Umstände aufzuklären, die zu einer vorzeitigen Beendigung des
Arbeitsverhältnisses führen können. Hat der Arbeitgeber Anlass zu Zweifeln, ob er in naher Zukunft Löhne und Gehälter auszahlen kann, muss er darauf hinweisen, sofern diese Zahlungsschwierigkeiten nicht als allgemein bekannt vorausgesetzt werden können (vgl. LAG Hamm, 14.01.2005 - Az:
10 Sa 1278/04).
Grenzen der Informationsbeschaffung
Neben der direkten Befragung versuchen Arbeitgeber mitunter, sich Informationen auf anderem Wege zu beschaffen. Die eigenmächtige Nutzung von Suchmaschinen zur Informationsgewinnung über Bewerber ist jedoch datenschutzrechtlich höchst problematisch. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dürfen personenbezogene Daten nur verarbeitet werden, wenn hierfür eine rechtliche Grundlage vorliegt. Ruft ein Arbeitgeber eigenständig Informationen über eine Google-Suche ab, liegt diese Grundlage im Bewerbungsverfahren regelmäßig nicht vor. Eigene Recherchen im Internet sind ohne ausdrückliche Einwilligung unzulässig.
Arbeitgeber dürfen Informationen, die Bewerber freiwillig in öffentlich-beruflichen Netzwerken (wie XING oder LinkedIn) eingestellt haben, grundsätzlich
heranziehen. Bei rein privaten Profilen, Foren oder gesperrten Inhalten fehlt hingegen regelmäßig die Datengrundlage. Die Grenze zwischen persönlicher/beruflicher Sphäre ist im Einzelfall anhand der jeweiligen Privatsphäre-Einstellungen und Kontext der Datenveröffentlichung zu prüfen.
Liegt ein Verstoß gegen die DSGVO vor, können Betroffene nach Art. 82 DSGVO Anspruch auf Ersatz sowohl materieller als auch immaterieller Schäden haben. Für die Höhe der Entschädigung sind Faktoren wie die Sensibilität der Daten und die Reichweite der Verarbeitung maßgeblich (vgl. BAG, 05.06.2025 - Az:
8 AZR 117/24).
Offenbarungspflichten des Bewerbers
Auch den Bewerber trifft eine Pflicht zur Aufklärung, jedoch in deutlich geringerem Umfang als den Arbeitgeber. Eine Offenbarungspflicht, also die Pflicht, bestimmte Umstände ungefragt mitzuteilen, besteht nur in engen Grenzen. Das Verschweigen nicht nachgefragter Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht.
Offenbarungspflichtig sind Umstände, die die Erfüllung des
Arbeitsvertrags von vornherein unmöglich machen oder zumindest für die Eignung für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind. Dies betrifft beispielsweise eine in Kürze anzutretende Haftstrafe, da die Arbeitsleistung dann nicht erbracht werden kann. Ebenso relevant sind bestehende
Wettbewerbsverbote, sofern diese die neue Arbeitsleistung rechtlich oder tatsächlich beeinträchtigen. Auch bestimmte Erkrankungen, wie beispielsweise Alkoholismus, können offenbarungspflichtig sein, wenn sie die Eignung für die Tätigkeit ausschließen. Eine
Schwerbehinderung muss dann ungefragt offenbart werden, wenn sie die Ausführung der konkret geschuldeten Tätigkeit einschränkt oder unmöglich macht. Tut der Bewerber dies nicht, kann er sich schadensersatzpflichtig machen.
Entscheidet sich ein Bewerber nach einer Zusage für eine andere Stelle, ist dies ebenfalls unverzüglich mitzuteilen.
Fragerecht des Arbeitgebers und das „Recht zur Lüge“
Übt der Arbeitgeber sein
Fragerecht aus, ist der Bewerber bei zulässigen Fragen verpflichtet, diese wahrheitsgemäß zu beantworten. Die Angabe von tatsächlich nicht vorhandenen Qualifikationen ist ebenfalls nicht zulässig.
Zulässig sind Fragen im Allgemeinen dann, wenn der Arbeitgeber ein berechtigtes und zu billigendes Interesse an der Beantwortung der Frage hat, das im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz steht.
Die Grenzen für Fragen im Vorstellungsgespräch ergeben sich nicht allein aus dem Persönlichkeitsrecht und Datenschutz, sondern auch aus dem Benachteiligungsverbot des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Unzulässige Fragen nach z.B. Schwangerschaft, Religionszugehörigkeit, Herkunft etc. sind grundsätzlich nicht statthaft. Eine Benachteiligung aus solchen Gründen kann Entschädigungsansprüche nach
§ 15 AGG nach sich ziehen.
Folgenlos bleibt es hingegen, wenn ein Bewerber auf eine nicht zulässige Frage des Arbeitgebers eine falsche Antwort gibt. Dies wird umgangssprachlich als „Recht zur Lüge“ bezeichnet. Verneint ein Bewerber eine unzulässige Frage wahrheitswidrig, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis später nicht auf diese Falschaussage stützen.
Grenzen des Fragerechts
Es besteht kein allgemeines Fragerecht des Arbeitgebers nach Vorstrafen und Ermittlungsverfahren jedweder Art. Der Arbeitgeber darf den Stellenbewerber grundsätzlich nicht nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragen. Eine solche unspezifizierte Frage verstößt gegen Datenschutzrecht und die Wertentscheidungen des Bundeszentralregistergesetzes (BZRG).
Zulässig ist die Frage nach Vorstrafen oder anhängigen Verfahren nur dann, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“, also bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheinen lässt. Dies ist der Fall, wenn solche Verfahren Zweifel an der persönlichen Eignung des Arbeitnehmers für die konkrete Stelle begründen können. Eine Frage des Arbeitgebers ohne jede gegenständliche Beschränkung nach möglichen Vorstrafen und Anzeigen jeder Art geht jedoch über dessen schutzwürdiges Informationsinteresse hinaus (vgl. ArbG Bonn, 20.05.2020 - Az:
5 Ca 83/20). Der Bewerber ist in diesem Fall rechtlich nicht zu einer wahrheitsgemäßen Antwort verpflichtet.
Eine weitere Einschränkung betrifft getilgte Verurteilungen. Verurteilungen, die im Bundeszentralregister bereits getilgt sind oder der Tilgung unterliegen, braucht ein Stellenbewerber auf die pauschale Frage nach Vorstrafen nicht anzugeben (vgl. BAG, 20.03.2014 - Az:
2 AZR 1071/12) .
Fragen nach dem Gesundheitszustand sind ebenfalls stark reglementiert. Die gesundheitliche Eignung des Bewerbers darf vom Arbeitgeber zwar grundsätzlich erkundet werden, jedoch darf niemand wegen einer Behinderung diskriminiert werden. Die bloße Frage nach psychischen Erkrankungen bei einem Bewerbungsgespräch stellt aber für sich genommen noch keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot dar (vgl. LAG München, 08.07.2008 - Az:
8 Sa 112/08). Es kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, dass der Arbeitgeber von einer Behinderung ausgeht, wenn nach einer Erkrankung gefragt wird, die potentiell zu einer Behinderung führen kann.
Bei der Frage nach einer Schwerbehinderung ist die Rechtslage komplex. Ob die Frage nach einer Schwerbehinderung vor der Einstellung überhaupt zulässig ist, ist seit Inkrafttreten des SGB IX und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) stark umstritten (vgl. BAG, 07.07.2011 - Az:
2 AZR 396/10).
Unabhängig von der Zulässigkeit der Frage muss ein schwerbehinderter Mensch, der den besonderen Schutz und die Förderung nach dem SGB IX in Anspruch nehmen will, seine Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich im Bewerbungsschreiben mitteilen. Dies gilt insbesondere im öffentlichen Dienst, wo eine Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch bestehen kann. Es liegt in der Entscheidung des Betroffenen, ob er die Schwerbehinderung berücksichtigt haben will oder nicht. Wählt er dies, muss der Hinweis deutlich erfolgen, etwa im Anschreiben oder hervorgehoben im Lebenslauf. Eine unauffällige Information oder eine bloße Kopie des Schwerbehindertenausweises, die einem großen Konvolut von Anlagen beigefügt wird, ist keine ausreichende Information des Arbeitgebers (vgl. BAG, 18.09.2014 - Az:
8 AZR 759/13). Die Mitteilung muss zudem bei jeder einzelnen Bewerbung erneut erfolgen.
Folge einer Täuschung: Anfechtung des Arbeitsvertrages
Hat ein Bewerber eine zulässige Frage falsch beantwortet oder eine offenbarungspflichtige Tatsache verschwiegen, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung
anfechten. Dies führt dazu, dass der Arbeitsvertrag von Anfang an (ex tunc) nichtig war. Neben der Anfechtung kann auch eine
Kündigung in Betracht kommen, beide Gestaltungsrechte bestehen nebeneinander. Eine Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich die Täuschung im Arbeitsverhältnis weiterhin auswirkt oder ein Anfechtungsgrund so stark nachwirkt, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist.
Für eine wirksame Anfechtung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Erstens muss die Täuschung arglistig erfolgen. Arglist liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder dass durch das Verschweigen irrige Vorstellungen beim Arbeitgeber entstehen. Fahrlässigkeit, selbst grobe Fahrlässigkeit, genügt nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber.
Zweitens muss die Täuschung beim Arbeitgeber einen Irrtum hervorgerufen haben. Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber die Wahrheit kannte – etwa, weil diese offentsichtlich war (vgl. BAG, 18.10.2000 - Az:
2 AZR 380/99).
Drittens muss die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags ursächlich (kausal) gewesen sein. Der Arbeitgeber muss also den Vertrag gerade wegen der Falschangabe abgeschlossen haben (vgl. BAG, 07.07.2011 - Az:
2 AZR 396/10).