Billiger als eine fehlerhafte Berechnung: ➠ Unterhaltsberechnung über AnwaltOnlineDer
Kindesunterhalt dient der Sicherstellung des Lebensbedarfs des Kindes und ist Ausdruck der elterlichen Verantwortung. Im Rahmen der
Unterhaltspflicht ist zumindest der Mindestunterhalt zu leisten. Dieser sichert das soziokulturelle Existenzminimum des Kindes und ist in
§ 1612a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gesetzlich verankert. Doch was geschieht, wenn das Einkommen des unterhaltspflichtigen Elternteils nicht ausreicht, um diesen Betrag zu zahlen? Verpflichtet in diesem Fall die gesteigerte Erwerbsobliegenheit Eltern dazu, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um den Mindestunterhalt ihrer minderjährigen Kinder zu gewährleisten?
Grundsatz: Jeder ist für sein Einkommen selbst verantwortlich
Im Unterhaltsrecht gilt der Grundsatz, dass jeder Erwachsene für sein eigenes Auskommen verantwortlich ist. Reicht das tatsächliche Einkommen eines Elternteils nicht aus, um den geforderten Kindesunterhalt zu leisten, muss er sich grundsätzlich so behandeln lassen, als ob er ein höheres Einkommen erzielen würde, sofern ihm dies möglich und zumutbar ist. Diese Verpflichtung, die eigene Arbeitskraft bestmöglich einzusetzen, wird als Erwerbsobliegenheit bezeichnet.
Gegenüber minderjährigen Kindern wird diese allgemeine Obliegenheit jedoch erheblich verschärft. Gemäß
§ 1603 Abs. 2 BGB sind Eltern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu verwenden, um den Unterhalt ihrer Kinder sicherzustellen. Diese gesteigerte Erwerbsobliegenheit wurzelt in der besonderen Verantwortung der Eltern für das Wohl ihrer Kinder. Das Oberlandesgericht Brandenburg hat dies in einer Entscheidung (OLG Brandenburg, 07.02.2008 - Az:
9 WF 27/08) treffend formuliert: Die Eltern trifft eine rechtliche und sittliche Pflicht, ihre Kinder am Leben zu erhalten, die ihre Grenze allein in der Unmöglichkeit findet. In der Praxis bedeutet dies, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil nicht einfach auf sein geringes Einkommen verweisen kann. Er muss vielmehr aktiv darlegen und beweisen, dass er alles in seiner Macht Stehende unternommen hat, um seine Einkommenssituation zu verbessern.
Wann wird fiktives Einkommen angerechnet?
Wenn ein Unterhaltspflichtiger seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nicht nachkommt, rechnen die Gerichte ihm ein sogenanntes fiktives Einkommen zu. Es wird also nicht das tatsächliche, sondern ein theoretisch erzielbares Einkommen für die Unterhaltsberechnung herangezogen. Die Zurechnung fiktiver Einkünfte ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 18.06.2012 - Az:
1 BvR 774/10 u.a.) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Zurechnung eines fiktiven Einkommens setzt jedoch zwei Dinge voraus: Erstens muss der Unterhaltspflichtige sich subjektiv nicht ausreichend um eine besser bezahlte Arbeit bemüht haben. Zweitens muss für ihn objektiv die reale Chance bestehen, ein höheres Einkommen zu erzielen. Dabei sind persönliche Faktoren wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung und Gesundheitszustand ebenso zu berücksichtigen wie die Lage am Arbeitsmarkt. Einem 55-jährigen ungelernten Arbeiter in einer strukturschwachen Region kann nicht das gleiche fiktive Einkommen zugerechnet werden wie einem 30-jährigen gesunden Akademiker in einer Metropole. Dennoch liegt die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen einer realen Beschäftigungschance allein beim Unterhaltspflichtigen (vgl. OLG Brandenburg, 06.06.2019 - Az:
10 UF 139/17).
Ein pauschaler Verweis auf die Arbeitsmarktlage oder das Versenden einiger weniger Bewerbungen reicht hierfür nicht aus. Die Gerichte verlangen intensive und dokumentierte Bemühungen. Das Amtsgericht Bad Kissingen (AG Bad Kissingen, 04.08.2021 - Az:
002 F 185/21) stellte klar, dass ein Unterhaltspflichtiger nicht einfach behaupten kann, seine Bemühungen seien ausreichend. Er muss detailliert darlegen, was er konkret unternommen hat, um eine besser bezahlte Stelle zu finden. Dazu gehört auch die Bereitschaft, eine Tätigkeit im Rahmen der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit von bis zu 48 Stunden pro Woche, gegebenenfalls durch Aufnahme einer Nebentätigkeit, auszuüben. Der Bundesgerichtshof hat bestätigt, dass vom Unterhaltsschuldner neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit auch die Ausübung einer zumutbaren Nebentätigkeit verlangt werden kann, um den Mindestunterhalt sicherzustellen (BGH, 24.09.2014 - Az:
XII ZB 111/13).
Muss die eigene Lebensplanung hinter dem Kindesunterhalt zurückstehen?
Die gesteigerte Erwerbsobliegenheit führt dazu, dass die persönliche Lebensplanung des unterhaltspflichtigen Elternteils hinter den Interessen des Kindes zurücktreten muss. So entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass das Interesse an einer Erstausbildung nicht Vorrang hat, wenn der Unterhaltspflichtige bereits mehrere Ausbildungen abgebrochen hat und in der Lage wäre, eine Tätigkeit auszuüben, die den Mindestunterhalt sichert (OLG Hamm, 24.04.2015 - Az:
12 UF 225/14).
Auch der Wunsch nach einem erweiterten Umgang mit dem Kind rechtfertigt es nicht, die eigene Arbeitszeit zu reduzieren und dadurch die Leistungsfähigkeit zu schmälern. Das Kammergericht Berlin urteilte, dass ein Elternteil, der einen über das übliche Maß hinausgehenden Umgang pflegt, unterhaltsrechtlich nicht berechtigt ist, seine Erwerbstätigkeit so weit zu reduzieren, dass er nicht mehr den vollen Mindestunterhalt leisten kann. Die finanzielle Absicherung des Kindes hat hier Vorrang (KG, 11.12.2015 - Az:
13 UF 164/15).
Was vom Einkommen abgezogen werden darf – und was nicht
Welche Ausgaben bei der Ermittlung des für den Unterhalt relevanten Einkommens abzugsfähig unterliegt strengen Maßstäben, wenn es um die Sicherung des Mindestunterhalts geht.
Berufsbedingte Fahrtkosten können beispielsweise dann nicht berücksichtigt werden, wenn die Wegstrecke zur Arbeit kurz ist und auch zu Fuß zurückgelegt werden könnte. Das Oberlandesgericht Saarbrücken sah bei einer Entfernung von 1,2 Kilometern keine Notwendigkeit, Fahrtkosten anzuerkennen (vgl. OLG Saarbrücken, 31.10.2024 - Az:
6 UF 30/24).
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