Erbstreitigkeiten vermeiden: Erstellen oder prüfen Sie ein ➠ Testament!Mit der Errichtung eines
Testaments legt der Erblasser fest, wie sein Vermögen nach dem Tod verteilt werden soll. Hierbei gilt der Grundsatz der
Testierfreiheit, also das Recht, frei über sein Erbe zu bestimmen. Doch der Letzte Wille ist nicht unantastbar. Das Gesetz erkennt an, dass auch bei der Testamentserrichtung Fehler unterlaufen können, der Wille des Erblassers durch äußere Umstände beeinflusst wurde oder sich wesentliche Gegebenheiten geändert haben, von denen der Erblasser keine Kenntnis hatte. In solchen Fällen eröffnet das Erbrecht die Möglichkeit der Testamentsanfechtung.
Gesetzliche Anfechtungsgründe
Das Gesetz sieht einen abschließenden Katalog von Gründen vor, die eine Anfechtung rechtfertigen können. Persönliche Enttäuschung über den Inhalt einer letztwilligen Verfügung oder die reine Überzeugung, eine andere Verteilung des Nachlasses wäre gerechter gewesen, genügen hierfür nicht. Die maßgeblichen Gründe finden sich in den §§ 2078 und 2079 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Ein wesentlicher Anfechtungsgrund ist der Irrtum des Erblassers gemäß § 2078 BGB. Hierbei unterscheidet das Gesetz zwischen verschiedenen Arten des Irrtums. Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn der Erblasser zwar eine bestimmte Erklärung abgeben wollte, sich aber über deren rechtliche Bedeutung irrte. Er verwendet beispielsweise einen juristischen Fachbegriff wie „Vorerbe“ oder „Nacherbe“, ohne dessen rechtliche Konsequenzen zu verstehen, und wollte eigentlich eine andere Regelung treffen.
Beim Erklärungsirrtum wollte der Erblasser etwas anderes schreiben, als er tatsächlich niedergeschrieben hat. Klassische Beispiele sind das Verschreiben oder Vergreifen in der Summe eines Vermächtnisses.
Besonders praxisrelevant ist der sogenannte Motivirrtum. In diesem Fall geht der Erblasser bei der Abfassung seines Testaments von einem falschen Sachverhalt aus, der für seine Verfügung entscheidend war. Er setzt beispielsweise eine Person als Alleinerben ein, weil er irrtümlich glaubt, diese habe ihm in einer Notsituation geholfen. Stellt sich diese Annahme als falsch heraus, kann das Testament anfechtbar sein. Ebenso kann ein Irrtum über zukünftige Ereignisse zur Anfechtung berechtigen, wenn die Erwartung des Erblassers, dieses Ereignis werde eintreten oder nicht eintreten, kausal für seine Verfügung war. Entscheidend ist stets, dass der Erblasser bei Kenntnis der wahren Sachlage die Verfügung nicht oder zumindest nicht in dieser Form getroffen hätte.
Ein weiterer Anfechtungsgrund nach § 2078 BGB liegt vor, wenn der Erblasser zur Abfassung des Testaments durch eine widerrechtliche Drohung oder eine arglistige Täuschung bestimmt wurde. Wird der Erblasser beispielsweise unter Druck gesetzt, eine bestimmte Person zu begünstigen, oder wird ihm bewusst fälschlicherweise vorgespiegelt, ein gesetzlicher Erbe habe sich ihm gegenüber illoyal verhalten, um diesen von der Erbfolge auszuschließen, kann die darauf basierende Verfügung angefochten werden.
Anfechtung wegen Übergehen eines Pflichtteilsberechtigten
Einer der häufigsten und praktisch bedeutsamsten Anfechtungsgründe ist in § 2079 BGB geregelt: das Übergehen eines zur Zeit des Erbfalls vorhandenen
Pflichtteilsberechtigten. Das Gesetz vermutet hier, dass der Erblasser den Pflichtteilsberechtigten nicht enterbt hätte, wenn er von dessen Existenz oder Pflichtteilsberechtigung gewusst hätte. Pflichtteilsberechtigt sind in erster Linie die Abkömmlinge (Kinder, Enkel), der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern des Erblassers, sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind.
Dieser Anfechtungsgrund greift typischerweise in zwei Konstellationen: Entweder war dem Erblasser die Existenz eines Pflichtteilsberechtigten bei der Testamentserrichtung nicht bekannt (z. B. ein unbekanntes uneheliches Kind), oder der Pflichtteilsberechtigte ist erst nach der Testamentserrichtung geboren oder pflichtteilsberechtigt geworden (z. B. durch Geburt eines Kindes).
Die Rechtsprechung hat dieses Anfechtungsrechts in zahlreichen Entscheidungen präzisiert. Das Oberlandesgericht Hamm hatte beispielsweise über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Mann während seiner ersten Ehe ein
gemeinschaftliches Testament errichtete, in dem er seine damalige Frau zur Alleinerbin einsetzte. Die Eheleute vereinbarten sogar, dass das Testament auch im Falle einer
Scheidung weitergelten solle. Nach der Scheidung heiratete der Mann erneut. Ohne das alte Testament wirksam zu widerrufen, verstarb er. Seine zweite Ehefrau focht das Testament erfolgreich an. Das Gericht stellte fest, dass sie als neue, zum Zeitpunkt des Erbfalls vorhandene Pflichtteilsberechtigte im alten Testament übergangen wurde. Zwar sollte das Testament die Scheidung überdauern, es gab jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser seine erste Frau auch für den Fall seiner Wiederverheiratung und der damit verbundenen neuen Unterhaltspflichten als Alleinerbin einsetzen wollte (OLG Hamm, 28.10.2014 - Az:
15 W 14/14).
Die Anfechtung nach § 2079 BGB ist jedoch ausgeschlossen, wenn positiv festgestellt werden kann, dass der Erblasser die Verfügung auch bei Kenntnis der Sachlage genau so getroffen hätte. Die Beweislast hierfür liegt bei demjenigen, der das Testament verteidigen will. Das Oberlandesgericht München hat hierzu klargestellt, dass ein bloßes Untätigbleiben des Erblassers, nachdem er von dem neuen Pflichtteilsberechtigten erfahren hat, nicht ausreicht, um einen solchen Willen anzunehmen. Das Gericht muss vielmehr den hypothetischen Willen des Erblassers zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung ermitteln und auf den späteren Zeitpunkt der Kenntniserlangung projizieren, um zu beurteilen, ob der Erblasser die Verfügung „geflissentlich“, also bewusst und gewollt, hat bestehen lassen (OLG München, 19.09.2024 - Az:
33 W 1507/24 e).
Eine wirksame Anfechtung wegen Übergehens eines Pflichtteilsberechtigten hat gravierende Folgen: Sie führt grundsätzlich zur Nichtigkeit der gesamten letztwilligen Verfügung. Einzelne Teile des Testaments bleiben nur dann wirksam, wenn feststellbar ist, dass der Erblasser diese auch bei Kenntnis des weiteren Pflichtteilsberechtigten so getroffen hätte (OLG Stuttgart, 14.05.2018 - Az:
8 W 302/16).
Anfechtung bei gemeinschaftlichen Testamenten und Erbverträgen
Besondere Komplexität entfaltet das Anfechtungsrecht bei gemeinschaftlichen Testamenten von Ehegatten, insbesondere dem sogenannten „
Berliner Testament“ und bei
Erbverträgen. Oftmals setzen sich Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen, dass nach dem Tod des Längerlebenden der gemeinsame Nachlass an die Kinder fallen soll. Solche Verfügungen sind häufig wechselbezüglich, das heißt, die eine Verfügung wurde nur deshalb getroffen, weil auch die andere getroffen wurde. Nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten entfalten diese wechselbezüglichen Verfügungen eine Bindungswirkung für den Überlebenden.
Diese Bindung kann jedoch durchbrochen werden. Heiratet der überlebende Ehegatte erneut, entsteht mit dem neuen Ehepartner ein neuer Pflichtteilsberechtigter. Dies eröffnet dem überlebenden Ehegatten die Möglichkeit, seine eigenen, bindend gewordenen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament gemäß § 2281 in Verbindung mit § 2079 BGB anzufechten.
Die Konsequenzen einer solchen Anfechtung sind weitreichend. Das Oberlandesgericht München hat in einer Entscheidung klargestellt, dass die erfolgreiche Anfechtung der eigenen Schlusserbeneinsetzung (zugunsten der Kinder) auch die Einsetzung des anfechtenden Ehegatten als Alleinerbe durch den erstverstorbenen Partner unwirksam machen kann. Voraussetzung ist, dass beide Verfügungen wechselbezüglich waren, also miteinander „stehen und fallen“ sollten. Ob eine solche Wechselbezüglichkeit vorliegt, muss durch Auslegung des Testaments ermittelt werden. Lässt sich kein eindeutiger Wille feststellen, greift die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB, die im Zweifel von einer Wechselbezüglichkeit ausgeht, wenn sich Ehegatten gegenseitig bedenken (OLG München, 24.07.2017 - Az:
31 Wx 335/16).
Anfechtung wegen Testierunfähigkeit
Neben den genannten Anfechtungsgründen kann ein Testament auch deshalb unwirksam sein, weil der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung
testierunfähig war. Nach § 2229 Abs. 4 BGB ist testierunfähig, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist insbesondere bei fortgeschrittener Demenz oder anderen schweren psychischen Erkrankungen der Fall.
Die Testierunfähigkeit führt nicht zu einer Anfechtbarkeit, sondern zur Nichtigkeit des Testaments von Anfang an. In der Praxis muss die Testierunfähigkeit jedoch im gerichtlichen Verfahren, etwa im Erbscheinverfahren, geltend gemacht und bewiesen werden, weshalb die Vorgehensweise einer Anfechtung ähnelt. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, das das Gericht dann, wenn substanzielle Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit vorliegen - wie etwa ärztliche Berichte oder Sachverständigengutachten, die auf erhebliche kognitive Einschränkungen hindeuten - verpflichtet ist, diesen Vorwürfen nachzugehen und gegebenenfalls Beweis zu erheben. Ignoriert ein Gericht solche substantiierten Einwände, verletzt es den Anspruch des möglichen Erben auf rechtliches Gehör (BGH, 15.06.2010 - Az:
IV ZR 21/09).
Wie erfolgt die Anfechtung eines Testaments konkret?
Zur Anfechtung berechtigt ist nur derjenige, dem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zugutekäme. Dies ist in der Regel der gesetzliche Erbe, der ohne das Testament erben würde, oder ein Erbe, der in einem früheren, durch das angefochtene Testament aufgehobene Testament bedacht wurde. Ein reiner Vermächtnisnehmer, der lediglich einen bestimmten Gegenstand aus dem Nachlass erhalten soll, ist in der Regel nicht beschwerde- und damit nicht anfechtungsberechtigt (OLG Stuttgart, 14.05.2018 - Az:
8 W 302/16).
Die Anfechtung muss durch eine Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht erfolgen. Dies kann formlos geschehen, sollte aus Beweisgründen aber schriftlich erfolgen.
Entscheidend ist die Einhaltung der Anfechtungsfrist. Diese beträgt gemäß § 2082 BGB ein Jahr. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Sie beginnt also nicht zwangsläufig mit dem Tod des Erblassers, sondern erst, wenn der Berechtigte die Umstände kennt, die den Irrtum, die Täuschung oder das Übergehen des Pflichtteilsberechtigten begründen. Unabhängig von dieser Kenntnis ist eine Anfechtung jedoch ausgeschlossen, wenn seit dem Erbfall 30 Jahre vergangen sind.