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Testierfähigkeit und Testierunfähigkeit: was gilt beim Verfassen eines Testaments?

Familienrecht | Lesezeit: ca. 14 Minuten

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Ein Testament ist nur wirksam, wenn die testierende Person im Moment der Errichtung testierfähig ist. Doch was bedeutet das genau? Und wie wird festgestellt, ob jemand testierunfähig war? Wer mit dem Gedanken spielt, ein Testament zu errichten, oder als Angehöriger Zweifel an der Wirksamkeit eines Nachlassdokuments hat, sollte die gesetzlichen Voraussetzungen und die rechtliche Bewertung von Testierfähigkeit genau kennen.

Welche Grundsätze gelten?

Die Testierfähigkeit ist in § 2229 BGB geregelt. Danach kann grundsätzlich jede volljährige Person und jeder Minderjährige ab Vollendung des 16. Lebensjahres ein Testament errichten.

Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann jedoch kein Testament errichten.

Die Vorschrift stellt auf die freie und bewusste Willensbildung ab. Entscheidend ist daher, ob der Erblasser im Moment der Testamentserrichtung in der Lage war, die Tragweite seiner Verfügung zu erfassen.

Geschäftsfähigkeit ist nicht erforderlich!

Ein weitverbreiteter Irrtum ist die Annahme, dass nur eine voll geschäftsfähige Person auch testierfähig ist. Tatsächlich geht das Gesetz einen anderen Weg: Selbst geschäftsunfähige Personen können testierfähig sein, wenn sie im konkreten Moment der Testamentserrichtung die nötige Einsichtsfähigkeit besitzen.

Die Rechtsprechung betont, dass Testierfähigkeit ein eigenständiger Begriff ist, der losgelöst von der Geschäftsfähigkeit zu beurteilen ist. Die Anforderungen sind hoch, aber nicht unerreichbar. Maßgeblich ist die kognitive Fähigkeit zur eigenständigen Bewertung der eigenen Lebenssituation, der familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Auswirkungen der Verfügung.

Wann ist Testierfähigkeit zu bejahen?

Das Gesetz geht davon aus, dass der Erblasser normalerweise testierfähig ist. Daher ist die Testierunfähigkeit im Streitfall nachzuweisen. Wer ein Testament wegen Testierunfähigkeit anfechten will, trägt also die Darlegungs- und Beweislast. Es reicht nicht aus, pauschal auf ein hohes Alter, eine Demenzdiagnose oder ein merkwürdiges Verhalten des Erblassers hinzuweisen.

Zur Bejahung der Testierfähigkeit genügt es jedoch nicht, dass der Erblasser eine allgemeine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung des Testaments und von dem Inhalt seiner letztwilligen Anordnung hatte. Er muss vielmehr auch in der Lage sein, sich über die Tragweite dieser Anordnungen und ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen sowie über die Gründe, die für und gegen ihre sittliche Berechtigung sprechen, ein klares Urteil zu bilden und nach diesem Urteil frei von Einflüssen etwaiger interessierter Dritter zu handeln (OLG Hamm, 05.02.2020 - Az: I-15 W 453/17).

Haben mehrere sachverständige Befunde, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Errichtung der letztwilligen Verfügung erstellt worden sind, das Ergebnis, dass die Geschäfts- bzw. Testierfähigkeit zu bejahen ist, jedenfalls aber nicht zweifelsfrei verneint werden kann, ist für die Erbfolge von der Testierfähigkeit auszugehen (OLG München, 31.10.2014 - Az: 34 Wx 293/14).

Wann liegt eine Testierunfähigkeit vor?

Wenn eine Person nicht testierfähig ist, besteht es keine Möglichkeit, ein Testament zu errichten, sodass zwangsläufig nach dem Tod die gesetzliche Erbfolge eintritt, wenn kein früheres gültiges Testament besteht. Ein im Zustand der Testierunfähigkeit errichtetes Testament ist ex tunc, also von Anfang an, unwirksam.

Testierunfähigkeit wird angenommen, wenn die betroffene Person aufgrund krankhafter psychischer Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite der eigenen Verfügung zu erkennen oder entsprechend zu handeln. Dies betrifft insbesondere:
  • Demenz (z. B. Alzheimer-Krankheit)
  • Schwere Depressionen mit Realitätsverlust
  • Schizophrene Psychosen
  • Akute Verwirrtheitszustände (Delir)
  • Geistige Behinderungen mit fehlender Einsichtsfähigkeit
  • Alkoholabhängigkeit mit Verlust der unbeeinflussbaren Willensbildung
Entscheidend ist stets der konkrete Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Selbst bei einer diagnostizierten Demenz ist nicht automatisch von Testierunfähigkeit auszugehen. Auch eine an Demenz erkrankte Person kann also durchaus noch in der Lage sein, ein Testament wirksam zu errichten. Es kommt darauf an, ob sich die betreffende Person trotz ihrer Erkrankung noch ein klares Urteil über die Tragweite ihrer Anordnungen bilden kann und in der Lage ist, frei von Einflüssen Dritter zu entscheiden. Insoweit ist zu unterschieden zwischen leichtgradiger, mittelschwerer und schwerer Demenz. Befindet sich die Erkrankung noch in einem leichtgradigen Stadium, ist regelmäßig noch nicht von einer Testierunfähigkeit auszugehen (LG Frankenthal, 18.07.2024 - Az: 8 O 97/24).

Die Anordnung einer Betreuung führt weder zu einer Beweislastumkehr noch zu einer Vermutung gegen die Geschäftsfähigkeit und damit gegen die Testierfähigkeit.

Um die Wirksamkeit eines Testaments zu überprüfen, kann die Einsichtnahme in medizinische Unterlagen entscheidend sein, wenn Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers bestehen, sodass die Krankenunterlagen dem Gericht vorzulegen sind (OLG Hamm, 13.06.2024 - Az: 10 W 3/23).

Bloßen Fremdeinschätzungen medizinischer Laien kommt nach der Rechtsprechung grundsätzlich kein Gewicht bei der Beurteilung der Testierfähigkeit zu. Derartige Einschätzungen von Zeugen können die fachärztliche Beurteilung des gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht entkräften (OLG Hamm, 26.04.2024 - Az: 10 W 114/23).

Da die Testierunfähigkeit als Ausnahmetatbestand von der im Gesetz als Normalfall angesehenen Testierfähigkeit ausgestaltet ist, hat die Testierunfähigkeit nach allgemeinen Grundsätzen derjenige zu behaupten und im Bestreitensfall zu beweisen, der sich auf die Abweichung vom Normalzustand beruft. Im Interesse der Rechtssicherheit sind an den Beweis einer Testierunfähigkeit sehr strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere muss der Ausschluss der freien Willensbildung in vollem Umfang bewiesen werden, das Vorliegen einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit begründet keine tatsächliche Vermutung für einen solchen Ausschluss (AG Neuss, 12.04.2017 - Az: 132 VI 46/16).

Welche Rolle spielen medizinische Gutachten?

In vielen Fällen wird nach dem Tod des Erblassers die Frage der Testierfähigkeit zum Streitpunkt im Erbscheinsverfahren oder bei der Anfechtung eines Testaments. Dann kommt es regelmäßig zu einer retrospektiven Prüfung – also zur Beurteilung der psychischen Verfassung des Verstorbenen zum damaligen Zeitpunkt.

Zur Klärung wird häufig ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt. Dabei müssen medizinische Unterlagen, Pflegeberichte, Zeugenaussagen und ggf. frühere notarielle oder handschriftliche Verfügungen ausgewertet werden. Ziel ist es, das geistige Leistungsvermögen zur fraglichen Zeit möglichst exakt zu rekonstruieren.

Allerdings gilt: Die abschließende rechtliche Würdigung obliegt nicht dem Arzt, sondern dem Gericht. Ein Gutachten ist ein wichtiges Beweismittel, aber keine abschließende Entscheidung.

Fremdeinfluss und die freie Willensbildung

Ein weiteres häufiges Problem im Zusammenhang mit Testierunfähigkeit ist die Beeinflussung durch Dritte. Dabei geht es nicht mehr nur um die geistige Gesundheit, sondern um die Frage, ob der Wille wirklich frei gebildet wurde.

Wird ein Testament unter unzulässigem Einfluss – etwa durch psychischen Druck, Drohungen, Täuschung oder dauerhafte Abhängigkeit – errichtet, kann dies ebenfalls zur Unwirksamkeit führen. In der Praxis ist dies schwer nachzuweisen, insbesondere wenn die Beteiligten nicht mehr leben oder keine objektiven Belege vorliegen.

Auch hier kommt es auf eine differenzierte Betrachtung an: Ein gewisses Maß an familiärer Einflussnahme (z. B. Überredung oder Bitten) ist rechtlich zulässig. Nur wenn die testierende Person nicht mehr in der Lage war, sich innerlich frei zu entscheiden, liegt ein relevanter Willensmangel vor.

So hat das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden, dass ein Testament unwirksam ist, wenn der Erblasser seine unbeeinflussbare Willensbildung aufgrund langjähriger Alkoholabhängigkeit verloren hat (BayObLG, 11.02.2004 - Az: 1 ZBR 6/03). Denn die Unfreiheit der Erwägungen und der Willensbildung braucht nicht darin zu Tage zu treten, dass der Erblasser sich keine Vorstellung von der Tatsache der Errichtung eines Testaments und von dessen Inhalt oder von der Tragweite seiner letztwilligen Anordnungen, insbesondere von ihrer Auswirkung auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu machen vermag; sie kann sich vielmehr darauf beschränken, die Motive für die Errichtung einer letztwilligen Verfügung entscheidend zu beeinflussen.

Sind zum Zeitpunkt der Testamentserstellung die Erkenntnisfähigkeit und Willensbildung erheblich eingeschränkt, kann der Erblasser kein wirksames Testament abfassen. Insoweit ist auch in solchen Fällen von Testierunfähigkeit auszugehen.

Welche Bedeutung hat ein notarielles Testament?

Ein notarielles Testament hat gegenüber dem eigenhändigen Testament in mehrfacher Hinsicht Vorteile – auch im Hinblick auf die Testierfähigkeit.

Denn der Notar prüft im Rahmen seiner Amtspflichten die Geschäftsfähigkeit und insbesondere auch die Testierfähigkeit der Beteiligten. Zwar ersetzt dies kein ärztliches Gutachten, doch wirkt eine fachkundige Beurteilung durch den Notar als Indiz für die Fähigkeit zur freien und bewussten Willensbildung.

In Zweifelsfällen kann ein Notar das Testament auch ablehnen oder nur nach zusätzlicher ärztlicher Begutachtung beurkunden. Wer also mit möglichen Zweifeln an der eigenen geistigen Gesundheit konfrontiert ist, etwa bei beginnender Demenz, sollte frühzeitig über ein notarielles Testament nachdenken.

Was passiert, wenn das Testament unwirksam ist?

Wird ein Testament aufgrund nachgewiesener Testierunfähigkeit für unwirksam erklärt, greift entweder ein früheres wirksames Testament oder – falls kein solches existiert – die gesetzliche Erbfolge. Die Verfügung fällt also ersatzlos weg.

Dies kann erhebliche Folgen für Erben und Pflichtteilsberechtigte haben. Wer eine wirksame Nachlassregelung treffen will, sollte also nicht nur die Form wahren, sondern auch die eigene Einsichtsfähigkeit dokumentieren, gerade bei bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen.
Stand: 06.08.2025
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