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Acht Punkte in Flensburg: Führt das zwingend zum Führerscheinentzug?

Verkehrsrecht | Lesezeit: ca. 14 Minuten

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Das Fahreignungs-Bewertungssystem, umgangssprachlich als „Punktesystem“ bekannt, soll die Sicherheit auf den Straßen gewährleisten, indem es die Fahrerlaubnisbehörden in die Lage versetzt, auf wiederholte Verstöße gegen Verkehrsvorschriften konsequent zu reagieren. Die Eintragung von Punkten im Fahreignungsregister (FAER) beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg ist dabei die Grundlage für ein gestuftes System von Maßnahmen, an dessen Ende der Entzug der Fahrerlaubnis stehen kann. Erreicht ein Fahrerlaubnisinhaber die Schwelle von acht Punkten, gilt er per Gesetz als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, was die zuständige Behörde zum Handeln zwingt.

Punkte als Indikator für mangelnde Fahreignung

Das Fahreignungs-Bewertungssystem nach § 4 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) dient nicht der zusätzlichen Bestrafung eines Verkehrssünders. Die eigentliche Sanktion für einen Verstoß, sei es eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat, erfolgt bereits durch das Bußgeld, die Geldstrafe oder das Fahrverbot. Die Punktebewertung dokumentiert dagegen die wiederholte Neigung eines Verkehrsteilnehmers, sich nicht an die Regeln zu halten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass mit steigender Anzahl von Verstößen die Zweifel an der charakterlichen Eignung einer Person, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, zunehmen.

Dabei nimmt das System bewusst in Kauf, dass auch Fahrerlaubnisinhaber mit einem gewissen Punktekonto weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen. Es handelt sich um ein abgestuftes System, das dem Betroffenen aufzeigen soll, dass sein Verhalten registriert wird und bei fortgesetzter Missachtung von Verkehrsvorschriften Konsequenzen drohen (vgl. VG München, 17.01.2022 - Az: M 19 S 21.6107). Die Punkte ergeben sich dabei kraft Gesetzes mit der Begehung der Tat, vorausgesetzt, diese wird rechtskräftig geahndet (§ 4 Abs. 2 Satz 3 StVG). Die Fahrerlaubnisbehörde hat hierbei keinen eigenen Bewertungsspielraum; sie ist an die normative, typisierende Bewertung des Verstoßes durch den Gesetzgeber gebunden (vgl. VGH Bayern, 03.09.2024 - Az: 11 CS 24.1400).

Die drei Maßnahmenstufen: Ermahnung – Verwarnung - Entziehung

Das Gesetz sieht in § 4 Abs. 5 StVG ein klares, dreistufiges Verfahren vor, das die Fahrerlaubnisbehörde durchlaufen muss, bevor sie die Fahrerlaubnis entziehen darf. Diese Stufen dienen der Information und Warnung des Betroffenen und sind zwingende Voraussetzung für die jeweils nächste Stufe.

Stufe 1: Die Ermahnung bei vier oder fünf Punkten

Erreicht ein Fahrerlaubnisinhaber einen Punktestand von vier oder fünf, wird er von der zuständigen Behörde schriftlich ermahnt. Dieses Schreiben weist auf den aktuellen Punktestand hin und informiert über die Funktionsweise des Fahreignungs-Bewertungssystems. Gleichzeitig wird der Betroffene auf die Möglichkeit hingewiesen, durch die freiwillige Teilnahme an einem Fahreignungsseminar einen Punkt abzubauen. Diese Möglichkeit des Punkteabbaus besteht jedoch nur einmal innerhalb von fünf Jahren und nur, solange der Punktestand nicht mehr als fünf Punkte beträgt.

Stufe 2: Die Verwarnung bei sechs oder sieben Punkten

Bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten erfolgt die nächste, ernstere Maßnahme: die schriftliche Verwarnung. Auch hier wird der Betroffene über seinen Punktestand informiert. Der entscheidende Unterschied zur Ermahnung ist jedoch, dass die Teilnahme an einem Fahreignungsseminar zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu einem Punkteabzug führt. Die Verwarnung hat somit reinen Warncharakter und soll dem Fahrerlaubnisinhaber unmissverständlich klarmachen, dass bereits ein weiterer Verstoß mit zwei Punkten oder zwei Verstöße mit je einem Punkt zum Erreichen der Acht-Punkte-Grenze und damit zum Entzug der Fahrerlaubnis führen werden.

Stufe 3: Die Entziehung der Fahrerlaubnis bei acht oder mehr Punkten

Erreicht oder überschreitet der Punktestand den Wert von acht, ist die letzte Stufe erreicht. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG gilt der Betroffene nun als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Folge ist die zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis. An dieser Stelle verfügt die Behörde über keinerlei Ermessen. Persönliche oder berufliche Härten, wie etwa der drohende Verlust des Arbeitsplatzes, sind für die Entscheidung irrelevant und können nicht berücksichtigt werden (vgl. VGH Bayern, 03.09.2024 – Az: 11 CS 24.1400; VG Koblenz, 19.07.2023 - Az: 4 L 577/23.KO). Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, bei der das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs die individuellen Interessen des Betroffenen überwiegt (vgl. OVG Saarland, 23.07.2020 - Az: 1 B 196/20).

Tattagsprinzip: Auf den Zeitpunkt für die Punkteberechnung kommt es an

Für die Berechnung des Punktestandes und die Feststellung, welche Maßnahme zu ergreifen ist, hat der Gesetzgeber ein klares Prinzip festgelegt: das sogenannte Tattagsprinzip. Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 StVG ist für die Beurteilung der Situation der Punktestand maßgeblich, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten Tat ergeben hat, die zur Auslösung der Maßnahme führt (vgl. VG München, 04.03.2021 - Az: M 6 S 20.4998).

Dies bedeutet, dass es nicht auf den Zeitpunkt der Rechtskraft des Bußgeldbescheides oder des Urteils ankommt, und auch nicht auf das Datum der Eintragung im Register in Flensburg. Entscheidend ist allein der Tag des Verkehrsverstoßes selbst. Spätere Reduzierungen des Punktestandes, etwa durch Tilgung älterer Eintragungen, bleiben für die Beurteilung dieser vergangenen Tat unberücksichtigt (§ 4 Abs. 5 Satz 7 StVG). Dieses Prinzip soll verhindern, dass Betroffene durch Verfahrensverzögerungen einen Vorteil erlangen und einer an sich fälligen Maßnahme entgehen.

Allerdings wird das Tattagsprinzip durch eine wichtige Regelung überlagert: das absolute Verwertungsverbot nach Tilgung und Ablauf der Überliegefrist. Eine Eintragung im Fahreignungsregister wird nach Eintritt der Tilgungsreife (je nach Schwere des Verstoßes nach 2,5, 5 oder 10 Jahren) noch für ein weiteres Jahr in der sogenannten Überliegefrist gespeichert. Nach Ablauf dieser Frist ist die Eintragung endgültig zu löschen. Das Bundesverwaltungsgericht hat klargestellt, dass eine solche endgültig gelöschte Eintragung nicht mehr verwertet werden darf, selbst wenn sie am maßgeblichen Tattag noch gültig war (vgl. BVerwG, 18.06.2020 - Az: 3 C 14.19). Erfolgt die behördliche Entscheidung also erst nach der endgültigen Löschung einer punkterelevanten Tat, darf diese Tat bei der Berechnung des Punktestandes nicht mehr berücksichtigt werden.

Kenntnis der Behörde als Auslöser der Maßnahme

Eine weitverbreitete Annahme ist, dass die Maßnahmenstufen eine echte Warnfunktion haben sollen, die es dem Betroffenen ermöglichen, sein Verhalten zu ändern, bevor er weitere Taten begeht. Die Rechtsprechung und die gesetzliche Konzeption seit der Reform des Punktesystems sehen dies jedoch anders. Der Gesetzgeber hat den Schutz der Verkehrssicherheit über die reine Erziehungsfunktion gestellt (vgl. BVerwG, 26.01.2017 - Az: 3 C 21.15; VG Koblenz, 19.07.2023 - Az: 4 L 577/23.KO).

Entscheidend für das Ergreifen einer Maßnahme wie der Ermahnung oder Verwarnung ist nicht der Punktestand am Tattag allein, sondern der Kenntnisstand der Fahrerlaubnisbehörde. Ausgelöst werden die Maßnahmen erst durch die offizielle Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes an die lokale Behörde über die eingetragenen Punkte (§ 4 Abs. 8 StVG). Eigene Mitteilungen des Betroffenen oder seines Anwalts an die Behörde sind hierfür unerheblich (vgl. VGH Bayern, 13.01.2022 - Az: 11 CS 21.2794).

Dies kann zu dem Ergebnis führen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber bereits mehrere Taten begangen hat und rein rechnerisch die Acht-Punkte-Grenze überschritten hat, bevor er überhaupt die Verwarnung für das Erreichen von sechs Punkten erhalten hat. Wird der Behörde diese Konstellation bekannt, muss sie dennoch die Fahrerlaubnis entziehen. Eine Reduzierung des Punktestandes findet in einem solchen Fall nicht statt, weil die Behörde zum Zeitpunkt der Verwarnung noch keine Kenntnis von den weiteren Taten hatte (vgl. BVerwG, 26.01.2017 - Az: 3 C 21.15). Die Maßnahmen dienen somit in erster Linie der Information des Betroffenen über den offiziell bei der Behörde aktenkundigen Stand und weniger als präventive Warnung vor zukünftigen, noch zu begehenden Taten.

Welche Voraussetzungen für die Fahrerlaubnisentziehung müssen erfüllt werden?

Trotz der strengen Auslegung ist die Entziehung der Fahrerlaubnis nur dann rechtmäßig, wenn der Betroffene das Stufensystem zuvor ordnungsgemäß durchlaufen hat (§ 4 Abs. 6 StVG). Dies stellt eine wesentliche Schutzvorschrift für den Fahrerlaubnisinhaber dar. Die Behörde muss bei Erreichen von vier oder fünf Punkten ermahnt und bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten verwarnt haben, bevor sie bei acht Punkten die Fahrerlaubnis entzieht (vgl. VGH Bayern, 30.01.2023 - Az: 11 CS 22.2007).

Wird eine dieser Stufen von der Behörde versäumt, hat dies gesetzlich festgelegte Konsequenzen. Hätte beispielsweise bei einem Punktestand von sechs eine Verwarnung erfolgen müssen, die aber unterblieben ist, und der Betroffene begeht eine weitere Tat, die seinen Punktestand auf acht anhebt, darf die Fahrerlaubnis nicht sofort entzogen werden. Stattdessen wird der Punktestand fiktiv auf sieben reduziert, und die versäumte Verwarnung muss nachgeholt werden (§ 4 Abs. 6 Satz 3 StVG). Erst nach dieser Verwarnung würde ein weiterer Verstoß dann zur Entziehung führen.

Wann eine Maßnahme als „ergriffen“ gilt, hat die Rechtsprechung ebenfalls präzisiert. Dies ist der Fall, wenn die Behörde das entsprechende Schreiben aus ihrer Sicht abschließend bearbeitet und auf den Weg gebracht hat, was in der Regel mit dem Ausstellungsdatum des Dokuments zusammenfällt (vgl. VGH Bayern, 18.03.2024 - Az: 11 BV 23.1193). Unerheblich für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist es im Übrigen, ob der Punktestand durch eine Kumulation vieler kleinerer Verstöße oder durch wenige, aber schwerwiegende Taten erreicht wurde (vgl. VGH Bayern, 06.12.2022 - Az: 11 CS 22.2074). Wer sich gegen eine Maßnahme wehren will, muss zudem substantiiert darlegen, warum eine der zugrunde liegenden Entscheidungen, etwa ein Bußgeldbescheid, nicht rechtskräftig geworden sein soll. Der bloße Einwand, man habe einen Bescheid nicht erhalten, genügt in der Regel nicht (vgl. VGH Bayern, 30.01.2023 - Az: 11 CS 22.2007).
Stand: 08.09.2025
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