Zivilrechtliche Klageverfahren dauern oft lange. Das Abwarten eines Klageverfahrens oder die damit verbundene Dauer des Verfahrens kann dem Betroffenen einer
Urheberrechtsverletzung im Hinblick auf das Bestehen eines andauernden rechtswidrigen Zustandes nachteilig sein. Hat ein Anschlussinhaber eine
Abmahnung wegen einer solchen Urheberrechtsverletzung erhalten, ist dieser in der Regel zur Abgabe einer strafbewehrten
Unterlassungserklärung aufgefordert. Wird eine Unterlassungserklärung nicht fristgemäß abgegeben, kann der Abmahnende dessen Abgabe grundsätzlich durch eine sogenannte „Einstweilige Verfügung“ erzwingen.
Wesen des einstweiligen Rechtsschutzes
Eine einstweilige Verfügung ist ein Instrument des einstweiligen Rechtsschutzes. Es handelt sich um ein gerichtliches Eilverfahren, das darauf abzielt, einen Anspruch – im Urheberrecht typischerweise den Unterlassungsanspruch – schnell und vorläufig zu sichern. Das Hauptsacheverfahren, also die eigentliche Klage, wird dadurch nicht ersetzt, sondern lediglich in seinen Auswirkungen vorweggenommen, um bis zu einer endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren irreparable Nachteile oder die Fortdauer einer Rechtsverletzung zu verhindern. Die gesetzlichen Grundlagen hierfür finden sich in der Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere in den §§ 935 ff. ZPO.
Im Zusammenhang mit Filesharing-Abmahnungen dient die einstweilige Verfügung dem Rechteinhaber dazu, das (mutmaßliche) weitere öffentliche Zugänglichmachen des geschützten Werkes durch den abgemahnten Anschlussinhaber gerichtlich und unter Androhung von erheblichen Ordnungsmitteln (Ordnungsgeld oder Ordnungshaft) zu unterbinden.
Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch
Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung muss der Antragsteller, also der Rechteinhaber, zwei zentrale Voraussetzungen darlegen und glaubhaft machen: den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund.
Der Verfügungsanspruch ist der materielle Anspruch selbst, hier also der Unterlassungsanspruch aus dem
Urheberrechtsgesetz (UrhG). Der Antragsteller muss plausibel darlegen, dass eine Urheberrechtsverletzung stattgefunden hat und der Antragsgegner (der Abgemahnte) hierfür haftbar ist, sei es als Täter oder als Störer (
Störerhaftung).
Der Verfügungsgrund betrifft die Eilbedürftigkeit oder Dringlichkeit der Angelegenheit. Der Antragsteller muss dem Gericht aufzeigen, warum es ihm nicht zugemutet werden kann, den Ausgang eines regulären Klageverfahrens abzuwarten. Im Urheberrecht wird die Dringlichkeit bei Rechtsverletzungen im Internet oft vermutet, da die Werke permanent weltweit abrufbar sind und die Verletzung andauert. Diese Dringlichkeitsvermutung kann jedoch widerlegt werden, insbesondere wenn der Rechteinhaber nach Kenntniserlangung von der Verletzung und der Person des Verletzers zu lange zögert, den Antrag bei Gericht zu stellen.
Aktivlegitimation : Glaubhaftmachung der Rechteinhaberschaft
Ein zentraler Punkt im Verfügungsverfahren ist die sogenannte Aktivlegitimation. Der Antragsteller muss dem Gericht darlegen, dass er überhaupt Inhaber der Rechte an dem
Werk ist, dessen Verletzung er rügt. In Filesharing-Fällen muss also beispielsweise das Filmstudio oder der Musikverlag glaubhaft machen, die Nutzungs- und Verwertungsrechte innezuhaben.
Im einstweiligen Verfügungsverfahren gelten hierfür erleichterte Anforderungen im Vergleich zum Hauptsacheverfahren. Es genügt die Glaubhaftmachung, ein Vollbeweis ist nicht erforderlich. Wie Gerichte dies handhaben, zeigt eine Entscheidung des Landgerichts Köln. In dem Fall ging es um die
unrechtmäßige Nutzung von Produktfotos auf einer Auktionsplattform. Der Abgemahnte hatte den Nachweis der Urheberrechte verlangt, woraufhin der Rechteinhaber eine einstweilige Verfügung beantragte.
Das Gericht stellte klar, dass der Verfügungskläger als Abmahner seine Aktivlegitimation zwar darlegen muss. Er muss jedoch im Eilverfahren keine lückenlosen Beweise für seine Rechte an den Bildern erbringen. Ein solch detaillierter Nachweis bleibt einem etwaigen gerichtlichen Hauptsacheverfahren vorbehalten. Für das Eilverfahren genügt oft die Vorlage von Verträgen oder eine eidesstattliche Versicherung, dass man der Rechteinhaber ist. Weigert sich der Abgemahnte nach einer Abmahnung, eine Erklärung abzugeben, und verlangt stattdessen Beweise, die im Eilverfahren nicht zwingend erforderlich sind, gibt er Anlass für das gerichtliche Verfahren und muss im Falle seines Unterliegens die Kosten tragen (LG Köln, 13.01.2010 - Az:
28 O 688/09).
Ablauf des Verfahrens und Verteidigungsmöglichkeiten
Einstweilige Verfügungsverfahren laufen oft sehr schnell ab. Um die Dringlichkeit zu wahren, entscheiden die Gerichte häufig ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. Der Antragsgegner erfährt dann erst durch die Zustellung des Gerichtsbeschlusses, oft durch einen Gerichtsvollzieher, von dem gegen ihn erwirkten Verbot.
Wird eine einstweilige Verfügung erlassen und zugestellt, hat der Antragsgegner mehrere Reaktionsmöglichkeiten. Er kann die Verfügung als endgültige Regelung anerkennen, um ein teureres Hauptsacheverfahren zu vermeiden (Abschlussschreiben).
Alternativ kann er Widerspruch gegen die Verfügung einlegen. Dies führt zwingend zu einer mündlichen Verhandlung, in der beide Seiten ihre Argumente vortragen können und das Gericht neu über die Verfügung entscheidet. Hier können dann auch die Aspekte der Aktivlegitimation oder der tatsächlichen Haftung (z.B. die Frage der Störerhaftung) vertieft diskutiert werden.
Eine proaktive Verteidigungsmaßnahme ist die Hinterlegung einer Schutzschrift. Erwartet ein Abgemahnter, dass gegen ihn eine einstweilige Verfügung beantragt wird (etwa weil die in der Abmahnung gesetzte Frist abläuft), kann er seine Verteidigungsargumente vorab bei den zuständigen Gerichten hinterlegen. Das Gericht muss diese Schutzschrift bei seiner Entscheidung berücksichtigen und wird dann in der Regel keine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen.
Gegenwehr bei rechtsmissbräuchlichen Abmahnungen
Während Filesharing-Fälle oft klare Rechtsverletzungen betreffen, gibt es auch Fallgestaltungen, in denen Abmahnungen selbst rechtswidrig oder rechtsmissbräuchlich sein können. Auch in solchen Konstellationen spielt der einstweilige Rechtsschutz eine Rolle – allerdings auf Seiten des Abgemahnten.
Eine unberechtigte Abmahnung kann unter Umständen einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen. Betroffene Unternehmen können sich hiergegen mit den Mitteln des einstweiligen Rechtsschutzes wehren.
Interessante Grundsätze hierzu lassen sich einer Entscheidung des Landgerichts Baden-Baden (LG Baden-Baden, 16.01.2023 - Az:
3 O 277/22) entnehmen, auch wenn der Fall einen Datenschutzverstoß (DS-GVO) wegen „Google Fonts“ betraf. Das Gericht wertete die dortigen massenhaften Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB (Treu und Glauben). Ein Rechtsmissbrauch kann angenommen werden, wenn das beherrschende Motiv bei der Geltendmachung eines Anspruchs sachfremde, für sich genommen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele sind.
Im Fall des LG Baden-Baden war das primäre Interesse des Abmahnenden offensichtlich das Generieren von Schmerzensgeldansprüchen und nicht die Beseitigung eines Datenschutzverstoßes. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Abmahnende gezielt und massenhaft nach Verstößen suchte, um daraus ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Solche Abmahnungen, deren Zweck sachfremd ist, sind rechtswidrig.
Auch wenn die Übertragung dieser Grundsätze auf klassische Filesharing-Fälle schwierig ist, da dort meist ein valider Urheberrechtsanspruch zugrunde liegt, zeigt die Entscheidung die Grenzen auf: Wenn eine Abmahntätigkeit primär der Gebührenerzielung dient und der eigentliche Rechtsschutz in den Hintergrund tritt, kann die Schwelle zum Rechtsmissbrauch überschritten sein.
Kosten und die Rolle der modifizierten Unterlassungserklärung
Das Verfahren der einstweiligen Verfügung ist mit erheblichen Kostenrisiken verbunden. Der Streitwert wird von den Gerichten bei Urheberrechtsverletzungen oft hoch angesetzt, nicht selten im fünfstelligen Bereich. Die Anwalts- und Gerichtskosten, die sich nach diesem Streitwert richten, hat die unterlegene Partei zu tragen.
Erlässt das Gericht die Verfügung, und stellt sich diese später (etwa im Widerspruchsverfahren oder im Hauptsacheverfahren) als von Anfang an unbegründet heraus, hat der Antragsteller dem Antragsgegner den gesamten Schaden zu ersetzen, der ihm durch die Vollziehung der Verfügung entstanden ist (§ 945 ZPO).
Angesichts dieses beiderseitigen Kostenrisikos wird die strategische Bedeutung der modifizierten Unterlassungserklärung deutlich. Durch die Abgabe einer solchen Erklärung, die den Unterlassungsanspruch erfüllt, ohne ein Schuldeingeständnis oder eine überzogene Vertragsstrafe zu beinhalten, wird die sogenannte Wiederholungsgefahr beseitigt. Fällt die Wiederholungsgefahr weg, entfällt in der Regel auch der Verfügungsgrund (die Dringlichkeit) für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, da der Zweck – die Verhinderung zukünftiger Verstöße – bereits erreicht wurde.