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Sozialversicherungsträger und Ansprüche des Reisenden

Reiserecht | Lesezeit: ca. 40 Minuten

Sind Ansprüche des Reisenden auf den Sozialversicherungsträger übergegangen, so muss für die Anspruchsanmeldung die Ausschlussfrist nach § 651 g Abs. 1 Satz 1 BGB beachtet werden.

Auch für den Fall, dass der Reisende selbst seine eigenen Ansprüche rechtzeitig angemeldet hat, ist die Anmeldung des Sozialversicherungsträgers nicht entbehrlich.

Ein Reiseveranstalter haftet nicht deliktisch, wenn er anlässlich einer mehrtägigen Busreise am letzten Tag der Reise, nachdem der Busfahrer mit den Reisenden die Nacht im Hotel verbracht hatte, diesen nicht dahin überprüft, ob er übermüdet ist, und der Bus später nach einer Fahrt von 4 1/2 Stunden einschließlich einer 40 minütigen Pause auf Grund einer - im Streitfall behaupteten - Übermüdung des Busfahrers verunfallt.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Die Eheleute T. buchten bei der Beklagten für die Zeit vom 18. März bis 2. April 2004 eine Reise nach Mexiko. Zum gebuchten Reiseumfang gehörte die sog. „Klassische Mexiko-Rundreise“, die in der Zeit vom 19. bis 26. März 2004 stattfand. Am 24. oder 26. März 2004 verunglückte der Reisebus, in dem die Eheleute T. saßen. Diese wurden bei dem Unfallgeschehen schwer verletzt und in einem von der Beklagten organisierten Flug mit einem Sanitätsflugzeug nach Deutschland zurücktransportiert. Die Klägerin ist der Krankenversicherer der Eheleute T. und nimmt die Beklagte im Rechtsstreit aus gemäß § 116 SGB X übergegangenem Recht auf Zahlung von Heilbehandlungskosten in Höhe von 136.649,67 EUR nebst Zinsen sowie auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz sämtlicher weiterer Zukunftsschäden in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage - mit Ausnahme eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruches - in vollem Umfang stattgegeben. Es hat gemeint, die Klägerin habe zwar die in § 651 g Abs. 1 S. 1 BGB bestimmte einmonatige Ausschlussfrist versäumt. Im Streitfall sei jedoch die rechtzeitige Anmeldung des übergegangenen Anspruchs durch die Klägerin ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Dabei könne dahin stehen, ob die Versicherten selbst ihre Ansprüche gegen die Beklagte rechtzeitig geltend gemacht hätten. Die Beklagte habe nämlich schon durch ihr Verhalten unmittelbar nach dem Unfall zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls materielle Schäden ersetzen wolle. Auch wenn sie dies nicht der Klägerin, sondern den schwer verletzten Reisenden mitgeteilt habe, ändere dies nichts an der Annahme eines grundsätzlichen Anerkenntnisses derartiger Ansprüche. So habe die Beklagte mit Schreiben vom 29. März 2004 den Reisepreis von sich aus um 100 % reduziert. Mit weiterem Schreiben vom 7. April 2004 habe sie die Reisenden ausdrücklich zur Anmeldung noch nicht ausgeglichener materieller Schäden aufgefordert. Dafür hätte nur dann Veranlassung bestanden, wenn die Beklagte davon ausgegangen sei, dass die Reise erheblich mängelbehaftet gewesen sei und sie hierfür einzustehen habe. Diese Einschätzung habe sich in der späteren Zahlung von Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden an die Eheleute T. manifestiert. Es habe für die Beklagte auf der Hand gelegen, dass der Krankenversicherungsträger seinerseits Ansprüche gegen sie geltend machen würde. Die Ausschlussfrist des § 651 g Abs. 1 BGB trage im Übrigen dem Umstand Rechnung, dass der Reiseveranstalter in der Regel nach einem längeren Zeitraum Schwierigkeiten haben werde, die Berechtigung von Mängelrügen festzustellen. Weitere Nachteile könnten durch eine nicht rechtzeitige Durchsetzbarkeit von Regressansprüchen gegen Leistungsträger entstehen. Der Reiseveranstalter solle kurzfristig erfahren, welche Gewährleistungsansprüche auf ihn zukommen, damit er schnell die notwendigen Beweissicherungsmaßnahmen treffen könne. Entsprechende Feststellungen hätte die Beklagte hier jedoch nicht mehr zu treffen gehabt, hier sei der Sachverhalt bekannt und sie hätte bereits ihre Haftung eingeräumt gehabt.

Gegen das Erkenntnis des Landgerichts wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung.

Die Beklagte macht geltend, die einmonatige Ausschlussfrist des § 651 g BGB habe auch für die Klägerin mit der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise zu laufen begonnen, mithin am 2. April 2004. Unstreitig habe die Klägerin bis zum 2. Mai 2004 Ansprüche nicht angemeldet, sondern erstmals mit Schreiben vom 8. September 2004 für den Reisenden T. Dass die Klägerin womöglich ohne eigenes Verschulden an der Wahrung der Ausschlussfrist gehindert gewesen sei, habe die Klägerin nicht vorgebracht. Das könne die Klägerin auch nicht geltend machen, weil sie Krankenersatzleistungen für ihre Mitglieder bereits ab dem 28. März 2004 erbracht habe.

Vor diesem Hintergrund käme die Wertung, die Wahrung der Ausschlussfrist womöglich als „entbehrlich“ anzusehen, nicht in Betracht. Die Klägerin sei durch nichts davon abgehalten worden, ihren Anspruch rechtzeitig anzumelden. Die Haltung der Beklagten gegenüber den Reisenden T. spiele demgegenüber entgegen der Ansicht des Landgerichts keine Rolle. Die geltend gemachten Ersatzansprüche hätten niemals in der Hand der Reisenden gelegen. Wie die Beklagte sich mit den Reisenden auseinandersetze sei für die übergegangenen Ersatzansprüche der Klägerin ohne jedwede Bedeutung. Umgekehrt hätte auch niemals die Geltendmachung von Ansprüchen durch die Klägerin die Anmeldung von Ansprüchen durch die Reisenden entbehrlich machen können. Selbst wenn daher - was allerdings nicht der Fall gewesen sei - die Beklagte im Rahmen ihrer Regulierung gegenüber den Reisenden T. deren Ansprüche anerkannt hätte, hätte dies keinerlei Auswirkung auf den Bestand und die Durchsetzbarkeit des auf die Klägerin selbst übergegangenen Ersatzanspruches. Ein solcher Erklärungswille und ein solcher Erklärungsinhalt habe zu Gunsten der Klägerin nicht vorgelegen.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts komme es auch nicht allein oder entscheidend darauf an, ob die Beklagte die erforderliche Kenntnis vom haftungsbegründenden Sachverhalt gehabt habe. Der Reiseveranstalter müsse vielmehr wissen, mit welchen Anspruchstellern er sich auseinander zu setzen habe. Das sei deshalb erheblich, weil der Reiseveranstalter insoweit das Deckungsrisiko hinsichtlich aller Ansprüche trage und er in den Stand versetzt werden müsse, frühzeitig entsprechende Rücklagen zu bilden, weiter sich mit seinem Versicherer abzustimmen und schließlich zeitnah Regresse im Zielgebiet vorzubereiten und durchzusetzen. Das alles werde erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht, wenn die vom Gesetzgeber bewusst mit einem Monat sehr knapp gehaltene Ausschlussfrist womöglich für Sozialversicherungsträger schon dann unbeachtlich bleibe, wenn der Reiseveranstalter - wie hier - seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber seinen Reisenden ernst nehme und sich um diese sehr zeitnah in jeder Hinsicht kümmere. Die Notwendigkeit, die Ausschlussfrist einzuhalten, könne weder im Einzelfall noch generell davon abhängig sein, wie der Reiseveranstalter gegenüber seinen Reisenden reagiere. Andernfalls würde der Reiseveranstalter prämiert, der vertragswidrig auf „Durchzug“ schalte und auch gegenüber den Reisenden nicht reagiere. Der gegenüber den Reisenden vertragstreue Reiseveranstalter würde hingegen mit dem Verlust der Wirkungen der Versäumnis der Ausschlussfrist bestraft werden.

Tatsächlich habe sich die Klägerin auch nicht einmal darauf berufen, womöglich im guten Glauben oder im Vertrauen darauf, dass Ansprüche anerkannt seien, ihre eigene Anmeldung unterlassen zu haben. Die Klägerin habe vielmehr von Anfang an auf dem Rechtsstandpunkt bestanden, eine Anmeldung durch sie sei gänzlich entbehrlich. Diese Auffassung der Klägerin sei zum einen rechtsirrig, zum anderen sachlich unzutreffend. Nach der Erfahrung der Beklagten - und anderer Reiseveranstalter - würden von Sozialversicherungsträgern Ansprüche - aus welchen Gründen auch immer - häufig überhaupt nicht angemeldet. Im Übrigen könne der subjektive Erwartungshorizont des Reiseveranstalters die Erfüllung einer materiellen Anspruchsvoraussetzung durch den Anspruchsteller schlechterdings nicht entbehrlich machen.

Auch deliktische Ansprüche seien nicht gegeben. Für die Verletzung eigener Verkehrssicherungspflichten der Beklagten trage die Klägerin rein gar nichts vor. Selbst wenn - was unzutreffend sei - der Busfahrer infolge Übermüdung am Steuer eingeschlafen und der Bus deshalb verunfallt sei, würde sich daraus eine eigene Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten nicht schlüssig ergeben. Denn das hätte die Beklagte durch keine ihr zumutbaren Maßnahmen verhindern können. Kein Reiseveranstalter sei verpflichtet, bei Busreisen dem Fahrer einen „Copiloten“ an die Seite zu stellen, der für solche oder ähnliche Fälle geistesgegenwärtig das Steuer des Fahrzeugs übernehmen könnte.

Die Klägerin macht geltend, die nunmehr geäußerte Auffassung der Beklagten, dass im Hinblick auf den Normzweck des § 651 g BGB es unabdingbar sei, dass eine Anmeldung der Ansprüche durch den Sozialversicherungsträger selbst innerhalb der gesetzlichen Frist erfolge, sei rechtsfehlerhaft. Der Bundesgerichtshof habe diese Frage in seiner Entscheidung vom 22. Juni 2004 (Az: X ZR 171/03) ausdrücklich offen gelassen. In dieser Entscheidung habe der Bundesgerichtshof den Schutzzweck näher beschrieben. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte bereits unmittelbar nach dem Schadensfall gewusst habe, dass sie mit erheblichen Personenschäden konfrontiert werden würde, sei es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht gemeint habe, die Anmeldung sei entbehrlich gewesen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihre Bemühungen zur Sicherung etwaiger Regressansprüche gegenüber ihren Vertragspartnern in irgendeiner Weise davon abhängig gemacht habe, dass eine Schadensanmeldung durch einen Sozialversicherungsträger vorlag. Der Beklagten sei unmittelbar nach dem Unfall bekannt gewesen, dass es sich um einen Großschaden mit schwersten Personenschäden gehandelt habe, weshalb ihr auch klar gewesen sei, dass sie mit erheblichen Heilbehandlungskosten rechnen musste, egal ob die Mitglieder der Reisegruppe gesetzlich krankenversichert waren oder privat. Der Fall liege eben völlig anders, als wenn der Reiseveranstalter erstmalig nach drei Monaten erfahren würde, dass überhaupt eine Verletzung bzw. eine erhebliche Verletzung eingetreten sei.

Zu Unrecht meine die Beklagte auch, dass die Klägerin für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der Beklagten rein gar nichts vorgetragen habe. Vorgetragen worden sei, dass der Busfahrer infolge von Übermüdung eingeschlafen sei. Es gehe auch nicht darum, dem Fahrer ggf. einen „Copiloten“ an die Seite zu stellen. Die Beklagte hätte die Verpflichtung getroffen, ihre Leistungsträger hinsichtlich Eignung und Zuverlässigkeit sorgfältig auszuwählen. Darüber hinaus sei der Reiseveranstalter verpflichtet, seine Leistungsträger regelmäßig zu überwachen. Dazu trage die Beklagte jedoch nichts vor. Dass überhaupt Kontrollen durchgeführt worden wären, werde bestritten. Solche Kontrollen müssten unangemeldet und unerkannt erfolgen.

Zwar werde man nicht durch Kontrollen des Fahrpersonals bzw. des Busunternehmens feststellen können, ob der Busfahrer in der konkreten Situation übermüdet war. Die Durchführung der Fahrt mit einem übermüdeten Busfahrer werde man nur dann verhindern können, wenn man unmittelbar vor Antritt der Fahrt die Kontrolle durchführe. Darum gehe es jedoch auch nicht. Durch die Durchführung von Kontrollen lasse sich durchaus feststellen, welche Fahrzeiten den Busfahrern zugemutet und welche Ruhezeiten ihnen zugebilligt würden. Ebenso lasse sich durch Kontrollen feststellen, ob Fahrer eingesetzt würden, die beispielsweise gesundheitlich angeschlagen und von daher nicht geeignet seien, längere Busfahrten durchzuführen. Allein die Behauptung der Beklagten, der Vertragspartner setze nur sorgfältig ausgesuchtes Personal ein, reiche nicht, um die Sicherheitsanforderungen zu erfüllen.

Hierzu führte das Gericht aus:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

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