Der Handel auf Online-Plattformen wie eBay oder Kleinanzeigen boomt. Ob als privater Verkäufer, der den Keller entrümpelt, oder als kleiner gewerblicher Händler – täglich werden unzählige
Kaufverträge per Mausklick geschlossen. Doch mit der Freude über einen erfolgreichen Verkauf stellt sich für den Verkäufer oft eine entscheidende Frage: Soll die Ware sofort versendet werden, oder wartet man besser auf den Zahlungseingang?
Viele Käufer drängen auf eine schnelle Lieferung und bieten an, nach Erhalt der Ware zu zahlen. Wer sich als Verkäufer darauf einlässt, geht jedoch ein erhebliches rechtliches und finanzielles Risiko ein. Bei der Vorleistung sendet der Verkäufer zuerst die Ware, nach deren Eingang überweist der Käufer dann das Geld. Hier ist das Risiko genau umgekehrt zur
Vorkasse.
Im Vertragsrecht stellt die Vorleistung eigentlich die Ausnahme dar – denn der Verkäufer riskiert, dass er zwar die Ware abgibt, später aber kein Geld bekommt.
Der gesetzliche Normalfall: Leistung nur Zug um Zug
Der übliche Ablauf ist der folgende: Bei einem gegenseitigen Vertrag, wie es der Kaufvertrag ist, sind die Parteien grundsätzlich nur zur Leistung „Zug um Zug“ verpflichtet. Dieser Grundsatz ist in § 320 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verankert. Er besagt, dass keine Vertragspartei ihre Leistung erbringen muss, bevor nicht die andere Partei ihre Gegenleistung anbietet. Man kann sich dies wie beim Kauf im Supermarkt vorstellen: Der Kassierer übergibt die Ware erst, wenn der Kunde das Geld auf das Band legt.
Übertragen auf den Online-Kauf bedeutet dies: Der Verkäufer muss die Ware theoretisch erst dann an den Käufer übergeben (bzw. versenden), wenn der Käufer den Kaufpreis bezahlt. Umgekehrt muss der Käufer den Kaufpreis erst zahlen, wenn der Verkäufer ihm die Ware übergibt. Solange eine Seite ihre Leistung nicht anbietet, kann die andere ihre eigene Leistung verweigern. Dieses Recht nennt man die „Einrede des nicht erfüllten Vertrages“. Es dient dem Schutz beider Parteien und soll sicherstellen, dass niemand seine Leistung erbringt, ohne die versprochene Gegenleistung zu erhalten. Im Fernabsatz, also im Online-Handel, ist eine gleichzeitige Übergabe jedoch praktisch unmöglich. Eine der beiden Parteien muss zwangsläufig den ersten Schritt machen.
Wie entsteht die Vorleistungspflicht?
Obwohl das Gesetz die Zug-um-Zug-Leistung als Regelfall vorsieht, können die Vertragsparteien davon abweichen. In der Praxis des Online-Handels geschieht dies ständig. Die Verpflichtung, als Verkäufer zuerst zu liefern, entsteht in der Regel durch eine vertragliche Vereinbarung. Diese muss nicht immer ausdrücklich und schriftlich erfolgen, sondern kann sich auch aus den Umständen oder den gewählten Verkaufsmodalitäten ergeben.
Der klassische Fall ist der „Kauf auf Rechnung“, den vor allem gewerbliche Händler anbieten. Hier wird dem Käufer explizit zugesagt, dass er die Ware zunächst erhält und erst nach Erhalt und Prüfung eine Zahlungsfrist, beispielsweise von 14 Tagen, hat. Der Verkäufer verpflichtet sich damit vertraglich zur Vorleistung. Auch private Verkäufer können eine solche Abrede treffen, etwa wenn sie im Nachrichtenaustausch mit dem Käufer zustimmen, die Ware vorab zu versenden. Eine solche Zusage ist bindend und hebt den gesetzlichen Grundsatz der Zug-um-Zug-Leistung für diesen speziellen Fall auf. Der Verkäufer kann sich dann nicht mehr darauf berufen, dass er erst nach Zahlungseingang liefern müsse. Er hat sich bewusst oder unbewusst in die Position des Vorleistenden begeben.
Das Risiko des Verkäufers: Wenn der Käufer nicht zahlt
Hat der Verkäufer die Ware verschickt und
wartet vergeblich auf sein Geld, befindet er sich in einer misslichen Lage. Er hat seinen Teil des Vertrages vollständig erfüllt, während der Käufer vertragsbrüchig wird. Nun beginnt für den Verkäufer oft ein mühsamer und nicht selten kostspieliger Prozess, um an sein Geld oder seine Ware zu kommen. Dem Verkäufer stehen verschiedene rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, die jedoch alle mit Aufwand verbunden sind.
Zunächst muss der Verkäufer den Käufer
in Verzug setzen. Ist im Vorfeld keine konkrete Zahlungsfrist nach Warenerhalt vereinbart worden („zahlbar bis zum...“), geschieht dies durch eine Mahnung. In dieser fordert der Verkäufer den Käufer unmissverständlich zur Zahlung auf. Erst mit Zugang der Mahnung oder Ablauf der vereinbarten Frist befindet sich der Käufer im sogenannten Schuldnerverzug (§ 286 BGB). Ab diesem Zeitpunkt kann der Verkäufer unter anderem Verzugszinsen verlangen.
Reagiert der Käufer auch auf die Mahnung nicht, muss der Verkäufer eine letzte, angemessene Frist zur Zahlung setzen. Dies ist die Voraussetzung für weitergehende Schritte. Verstreicht auch diese Nachfrist erfolglos, hat der Verkäufer grundsätzlich zwei Optionen: Er kann weiterhin auf der Zahlung des Kaufpreises bestehen und diese
gerichtlich einklagen, oder er kann vom Kaufvertrag zurücktreten.
Der Rücktritt vom Vertrag (§ 323 BGB) führt dazu, dass der Vertrag rückabgewickelt wird. Der Verkäufer kann dann nicht mehr den Kaufpreis fordern, hat aber im Gegenzug einen Anspruch auf Rückgabe der bereits gelieferten Ware. Doch auch hier lauern praktische Probleme: Der Verkäufer muss den Käufer zur Rücksendung auffordern und trägt das Risiko, dass die Ware zwischenzeitlich beschädigt wurde, verbraucht ist oder der Käufer sie schlichtweg nicht zurückschickt. Dann bleibt oft nur der Klageweg, um die Ware zurückzuerhalten. Entscheidet sich der Verkäufer hingegen dafür, den Kaufpreis einzuklagen, muss er in der Regel ein gerichtliches Mahnverfahren oder ein Klageverfahren einleiten. Dies ist mit Kosten für Gericht und gegebenenfalls für einen Rechtsanwalt verbunden, die der Verkäufer zunächst vorstrecken muss. Zwar muss der unterlegene Käufer am Ende diese Kosten erstatten, doch das größte Risiko bleibt die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) des Käufers. Ist beim Käufer nichts zu holen, bleibt der Verkäufer nicht nur auf dem Verlust der Ware, sondern auch auf den Verfahrenskosten sitzen.
Wie Verkäufer das Zahlungsausfallrisiko minimieren können
Angesichts der erheblichen Risiken sollten insbesondere private Verkäufer und kleinere Händler eine Vorleistungspflicht möglichst vermeiden oder sich zumindest bestmöglich absichern. Es gibt verschiedene praxistaugliche Methoden, um das Ausfallrisiko zu reduzieren.
Die sicherste Methode ist die Vereinbarung von Vorkasse. Der Verkäufer macht in seinem Angebot unmissverständlich klar, dass der Versand der Ware erst nach vollständigem Zahlungseingang auf seinem Konto erfolgt. Dies kehrt die Leistungspflicht um: Nun ist der Käufer vorleistungspflichtig. Zwar schreckt diese Methode einige potenzielle Käufer ab, sie bietet dem Verkäufer jedoch den größtmöglichen Schutz.
Eine gute Alternative stellt der Versand per Nachnahme dar. Hierbei wird die Ware zwar versendet, aber vom Zusteller nur gegen sofortige Bezahlung des Kaufpreises an den Käufer ausgehändigt. Das Geld wird dann an den Verkäufer weitergeleitet. Der Verkäufer hat somit die Sicherheit, sein Geld zu erhalten, wenn der Käufer die Sendung annimmt. Das Risiko reduziert sich hier auf die Möglichkeit, dass der Käufer die Annahme des Pakets verweigert. In diesem Fall erhält der Verkäufer die Ware zwar zurück, bleibt jedoch auf den Versand- und Nachnahmekosten sitzen.
Zahlungsdienstleister wie PayPal bieten ebenfalls einen gewissen Schutz. Durch den Verkäuferschutz können Verkäufer unter bestimmten Voraussetzungen abgesichert sein, wenn ein Käufer unberechtigterweise behauptet, die Ware nicht erhalten zu haben oder eine Rückbuchung veranlasst. Verkäufer sollten sich jedoch genau mit den Schutzbedingungen des jeweiligen Anbieters vertraut machen, da diese oft an strenge Auflagen geknüpft sind, wie etwa den Nachweis eines versicherten Versands mit Sendungsverfolgung an die bei PayPal hinterlegte Adresse.
Ein oft übersehenes, aber sehr wirksames juristisches Instrument ist die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts gemäß § 449 BGB. Hierbei vereinbaren Käufer und Verkäufer, dass das rechtliche Eigentum an der Ware erst dann auf den Käufer übergeht, wenn dieser den Kaufpreis vollständig bezahlt hat. Bis zur vollständigen Bezahlung bleibt der Verkäufer Eigentümer, während der Käufer lediglich Besitzer der Sache ist. Zahlt der Käufer nicht, kann der Verkäufer nach einem Rücktritt vom Vertrag die Herausgabe seines Eigentums verlangen. Dies ist rechtlich deutlich einfacher durchzusetzen als ein bloßer Anspruch auf Rückgabe der Ware nach einem normalen Rücktritt. Wichtig ist jedoch, dass der Eigentumsvorbehalt ausdrücklich vor oder bei Vertragsschluss vereinbart werden muss, beispielsweise in den Angebotsdetails oder den
Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine nachträgliche, einseitige Erklärung durch den Verkäufer ist unwirksam.