Eine erhebliche Beeinträchtigung darf nicht schon deshalb bejaht werden, weil die
Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist. Für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die die Durchführung der
Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, ist nur die Situation zu berücksichtigen, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der
Reisende vom
Reisevertrag zurückgetreten ist.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten die Rückzahlung des
Reisepreises für eine Pauschalreise. Die Beklagte begehrt widerklagend die Zahlung einer
Entschädigungspauschale.
Die Klägerin buchte am 14. September 2019 bei der Beklagten eine kombinierte Flug- und Schiffsreise „Wolga-Wunder & Zarenzauber“, die vom 18. bis 28. August 2020 stattfinden und 2.748 Euro kosten sollte. Die Klägerin leistete eine Anzahlung in Höhe von 325 Euro.
Mit E-Mail vom 14. März 2020 erklärte die Klägerin
aufgrund der Corona-Pandemie den Rücktritt von der Reise. Am 13. Juli 2020 sagte die Beklagte die Reise pandemiebedingt ab. Dem Begehren der Klägerin nach Rückzahlung der Anzahlung kam sie nicht nach.
Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 325 Euro nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt und ihre auf Zahlung von 362 Euro nebst Zinsen gerichtete Widerklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren in vollem Umfang weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Hierzu führte das Gericht aus:
Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der Anzahlung verurteilt und den widerklagend geltend gemachten Anspruch auf Zahlung einer verbleibenden Entschädigung abgewiesen. Die Beklagte könne keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des
§ 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zu einer nahezu vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
Die Klägerin schulde gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Klägerin nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der Anzahlung verpflichtet.
Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Klägerin entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen. Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im August 2020.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (EuGH, 29.02.2024 - Az:
C-584/22).
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Das Berufungsgericht hat - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Klägerin konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (BGH, 30.08.2022 - Az:
X ZR 66/21; BGH, 23.01.2024 - Az:
X ZR 4/23). Wie der Senat bereits entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (BGH, 15.10.2024 - Az:
X ZR 79/22).
Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen (BGH, 30.08.2022 - Az:
X ZR 3/22).
Entgegen der Auffassung der Revision wird es bei den zu treffenden Feststellungen nicht auf die konkrete Kenntnis des Reisenden bezüglich konkreter (Schutz-)Maßnahmen am Bestimmungsort der Reise ankommen. Maßgeblich sind nicht die konkreten Kenntnisse des vom Vertrag zurücktretenden Reisenden, sondern die Erkenntnismöglichkeiten aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden zum Rücktrittszeitpunkt (EuGH, 29.02.2024 - Az:
C-299/22;
C-584/22).