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Reiserücktritt wegen außergewöhnlicher Umstände nicht zu schnell erklären

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 31 Minuten

Für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, ist nur die Situation zu berücksichtigen, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

QM buchte im Januar 2020 für sich und seine Ehefrau bei Kiwi Tours eine Pauschalreise nach Japan, die vom 3. bis zum 12. April 2020 stattfinden sollte. Der Gesamtpreis dieser Pauschalreise betrug 6 148 Euro; hierauf leistete QM eine Anzahlung von 1 230 Euro.

Nachdem von den japanischen Behörden eine Reihe von Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid‑19 ergriffen worden waren, trat QM mit Schreiben vom 1. März 2020 wegen der von Covid‑19 ausgehenden Gesundheitsgefährdung vom Pauschalreisevertrag zurück.

Kiwi Tours stellte als Rücktrittsgebühr weitere 307 Euro in Rechnung, die QM bezahlte.

Am 26. März 2020 erließ Japan ein Einreiseverbot. QM forderte daraufhin von Kiwi Tours die Erstattung der Rücktrittsgebühr, was diese ablehnte.

Das mit der Erstattungsklage von QM befasste Amtsgericht (Deutschland) verurteilte Kiwi Tours zur vollen Erstattung der Rücktrittsgebühr. Das mit der von Kiwi Tours eingelegten Berufung befasste Landgericht (Deutschland) wies die Erstattungsklage mit der Begründung ab, dass man zum Zeitpunkt des Rücktritts von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Pauschalreisevertrag nicht vom Vorliegen „unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände“ im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB habe ausgehen können. QM sei daher nicht berechtigt gewesen, von diesem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten.

Der mit der von QM eingelegten Revision befasste Bundesgerichtshof (Deutschland) als vorlegendes Gericht weist darauf hin, dass das Landgericht in der Berufungsinstanz zu Recht davon ausgegangen sei, dass die in § 651h Abs. 3 BGB – durch den Art. 12 der Richtlinie 2015/2302 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei – enthaltenen Voraussetzungen für das Recht, von einem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten, u. a. dann erfüllt seien, wenn eine Reise gemäß einer vor deren Beginn abgegebenen „Prognose“ mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit des Reisenden verbunden wäre. Das Bestehen einer solchen Gefährdung habe das Landgericht im vorliegenden Fall jedoch rechtsfehlerhaft beurteilt. So sei nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Beurteilung dieser Gefährdung zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass eine Reise nach Japan bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Reisevertrag mit einer ernsthaften und gravierenden Gefährdung der Gesundheit der Reisenden verbunden gewesen sei.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es dann nach deutschem Verfahrensrecht grundsätzlich die Rechtssache zur Entscheidung über diese Frage an das Landgericht zurückverweisen müsste. Es könnte jedoch selbst über die gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegte Berufung entscheiden und diese zurückweisen, wenn für die Beurteilung des Bestehens des Rechts von QM auf Rücktritt von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Reisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr auch Umstände von Bedeutung seien, die erst nach dem Rücktritt vom Reisevertrag aufgetreten seien. Es sei nämlich unstreitig, dass die Durchführung der Reise letztlich nicht möglich gewesen sei, weil die japanischen Behörden angesichts der Ausbreitung von Covid‑19 am 26. März 2020 ein Einreiseverbot erlassen hätten.

Insoweit neigt das vorlegende Gericht zu der Auffassung, dass nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 auch Umstände zu berücksichtigen seien, die erst nach dem Rücktritt vom betreffenden Pauschalreisevertrag aufgetreten seien.

Zunächst sehe Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie zwar formal einen anderen Rücktrittstatbestand vor als Abs. 1 dieses Artikels, jedoch sei eine solche Unterscheidung der Sache nach nur für die Bestimmung der Rechtsfolgen des betreffenden Rücktritts von Bedeutung, da Art. 12 Abs. 2 abweichend von Abs. 1 dieses Artikels vorsehe, dass kein Anspruch auf Zahlung einer Rücktrittsgebühr bestehe. Diese Rechtsfolgen hingen nach Art. 12 Abs. 2 nicht davon ab, auf welche Gründe der Reisende den Rücktritt gestützt habe, sondern allein davon, ob tatsächlich Umstände vorlägen, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigten.

Sodann werde eine solche Auslegung durch den Zweck der Zahlung einer Rücktrittsgebühr bestätigt, unabhängig davon, ob diese Gebühr als eine „dem Schadensersatz ähnliche Leistung“ oder als „Surrogat für den Reisepreis“ anzusehen sei. Sollte sich nämlich nach dem Rücktritt vom geschlossenen Pauschalreisevertrag herausstellen, dass die Durchführung der Reise beeinträchtigt sei und der Reiseveranstalter deshalb jedenfalls, also auch ohne den Rücktritt des Reisenden, zur vollen Erstattung des Reisepreises verpflichtet gewesen wäre, läge weder ein durch diesen Rücktritt verursachter Schaden noch ein Anspruch auf Zahlung eines Surrogats für den Reisepreis vor, da ein solcher Anspruch nur insoweit begründet wäre, als der Reiseveranstalter ohne den Rücktritt Anspruch auf Zahlung des Reisepreises gehabt hätte.

Schließlich sprächen auch Erwägungen des Verbraucherschutzes dafür, Umstände zu berücksichtigen, die erst nach dem Rücktritt vom betreffenden Pauschalreisevertrag aufgetreten seien. Ein hohes Niveau des Schutzes von Reisenden erfordert nach Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass Reisende auch bei einem frühzeitigen Rücktritt vom Reisevertrag keine Zahlungen für eine Reise zu erbringen hätten, deren Durchführung sich im weiteren Verlauf als beeinträchtigt erweise. In Situationen der Ungewissheit könnten Reisende nämlich davon abgehalten werden, frühzeitig von dem ihnen zustehenden Recht auf Rücktritt ohne Zahlung einer Gebühr Gebrauch zu machen. Eine solche Möglichkeit eines Rücktritts ohne Zahlung einer Gebühr führe im Übrigen nicht dazu, dass der Reisende auf die Fortdauer einer sich abzeichnenden Krise spekulieren könnte. Würde man hingegen dieses Recht auf Rücktritt ohne Zahlung einer Gebühr vom Zeitpunkt des Rücktritts abhängig machen, so bestünde gerade ein Anreiz zu spekulativem Verhalten, insbesondere beim betreffenden Veranstalter, der sich veranlasst sehen könnte, von einer Absage der Reise bis kurz vor Reisebeginn abzusehen und sich damit die Möglichkeit offenzuhalten, dass Reisende doch noch von ihrer Reise unter Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückträten, was ihm finanziell zugutekäme.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts werden die vorstehenden Gründe durch die in Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehene maximale Erstattungsfrist von 14 Tagen nach dem Rücktritt nicht in Frage gestellt. Aus dieser Bestimmung könne nämlich nicht abgeleitet werden, dass die Höhe der Rücktrittsgebühr spätestens bei Ablauf dieser Frist abschließend geklärt sein müsse. Ebenso wenig seien die Abs. 1 und 2 von Art. 12 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass sie eine Regel bzw. eine Ausnahme vorsähen, da diese Absätze vielmehr einem angemessenen Ausgleich zwischen dem berechtigten Vergütungsinteresse des Reiseveranstalters und dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus dienten.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 dahin gehend auszulegen, dass für die Beurteilung der Berechtigung des Rücktritts vom betreffenden Pauschalreisevertrag nur jene unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände maßgeblich sind, die im Zeitpunkt des Rücktritts bereits aufgetreten sind, oder dahin gehend, dass auch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände zu berücksichtigen sind, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplanten Beginn der Reise tatsächlich auftreten?

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