Inhaber der für den Fall der
Annullierung eines Fluges gemäß
Art. 5 Abs. 1 a) i. V. m.
Art. 8 Abs. 1 a) Fluggastrechte-VO wahlweise vorgesehenen Anspruchs auf Erstattung der Flugscheinkosten ist unabhängig von den vertraglichen Beziehungen und davon, wer den jeweiligen Flugpreis gezahlt hat, der jeweilige Fluggast.
Auch im Falle einer Gruppenbuchung sind Anspruchsinhaber die einzelnen Teilnehmer jeweils für sich als „Fluggast“, selbst wenn – was den Regelfall darstellt – nur eine Person, und zwar diejenige, die die Buchung angemeldet hat, Vertragspartner des Luftfahrtunternehmens ist.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für annullierte Flüge.
Die Klägerin beauftragte die A.- GmbH in B.-Stadt (nachfolgend
Reisebüro) mit der Buchung von jeweils 27 Flugtickets für die Flüge 001 am 08.05.2020 von B.-Stadt nach C.-Stadt und 002 am 10.05.2020 von D.-Stadt zurück nach B.-Stadt. Das Reisebüro nahm entsprechende Gruppenbuchungen bei der Beklagten im eigenen Namen vor und stellte der Klägerin hierfür insgesamt einen Betrag von 9.935,46 EUR in Rechnung, den diese am 12.03.2020 bezahlte.
Die Beklagte annullierte die Flüge wegen der Coronapandemie am 09.04.2020. Das Reisebüro lehnte eine Änderung auf alternative Flüge oder die Erteilung von Gutscheinen für spätere Buchungen ab und verlangte die Erstattung der Flugscheinkosten. Da das Reisebüro Insolvenz angemeldet hatte, forderte die Klägerin die Beklagte mit Email vom 15.06.2020 sowie mit anwaltlichem Schreiben vom 07.07.2020 zur Rückzahlung des Reisepreises auf. Die Beklagte hat behauptet, am 20.07.2020 auf das Konto des Reisebüros bei der E.-bank den vollen Flugpreis zurückgezahlt zu haben. Die Zahlungen seien dem Konto am 21.07.2020 gutgeschrieben worden.
Die 27 Mitarbeiter der Klägerin, die die Reise antreten sollten, aber bis dahin weder gegenüber der Beklagten noch dem Reisebüro namhaft gemacht worden waren, haben ihre aus der Annullierung resultierenden Forderungen Ende Januar 2021 an die Klägerin abgetreten.
Das Landgericht hat die Beklagte mit Versäumnisurteil vom 07.06.2021 zur Zahlung von 9.935,46 EUR sowie vorgerichtlichen Anwaltskosten von 745,40 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.06.2020 verurteilt. Auf den Einspruch der Beklagten hat es das Versäumnisurteil mit Urteil vom 04.10.2021 in Verbindung mit dem Beschluss vom 30.11.2021 mit Ausnahme der Anwaltskosten und des Verzugsbeginns (10.02.2021) aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht der einzelnen Fluggäste gemäß Art. 5 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 8 Abs. 1 a) Verordnung Nr. 261/2004/EG einen Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten in geltend gemachter Höhe. Die Fluggastrechteverordnung sei gemäß
Art. 3 Abs. 1 a), Abs. 2 der VO anwendbar, weil die Zedenten über eine bestätigte Buchung für die beiden Flüge verfügt hätten. Die 27 Mitarbeiter der Klägerin hätten auch ohne konkrete Benennung bereits im Zeitpunkt der Buchung unmittelbar ein Recht auf Beförderung auf diesen Flügen erlangt, da es sich beim Vertrag zwischen dem
Reisevermittler und der Beklagten um einen Vertrag zu ihren Gunsten als Dritte handle. Der Beförderungsanspruch hänge nicht von einer namentlichen Benennung der individuellen Fluggäste ab. Andernfalls würden Fluggäste aus einer Gruppenbuchung gegenüber solchen mit einer Einzelbuchung in nicht gerechtfertigter Weise ungleich behandelt. Außerdem sei das Verhalten der Beklagten rechtsmissbräuchlich, bis kurz vor dem Abflug eine namentliche Benennung zuzulassen, eine solche sodann aber durch Annullierung unmöglich zu machen.
Der Anspruch sei nicht durch Erfüllung erloschen, weil der Rückerstattungsanspruch nach Art. 8 Abs. 1 der VO dem jeweiligen Fluggast zustehe. Eine schuldbefreiende Leistung an die Reisevermittlerin sei daher gar nicht möglich gewesen, weshalb es auf eine etwaige Zahlung der Beklagten an das Reisebüro unabhängig von insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht entscheidungserheblich ankomme. Im Übrigen sei die Beklagte für die behauptete Rückzahlung an das Reisebüro beweisfällig geblieben, nachdem die Klägerin die Erstattung bestritten habe.
Einen Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten habe die Klägerin dagegen nicht, weil sich die Beklagte bei Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten nicht in Verzug befunden habe, sondern erst nach Anzeige der Abtretungen. Deswegen könne die Klägerin Verzugszinsen auch erst ab dem 10.02.2021 beanspruchen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.
Zur Begründung trägt die Beklagte unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen vor: Das Landgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sei in mehreren Punkten unrichtig.
Entgegen den dortigen Ausführungen sei die Klägerin ausgehend vom zutreffenden Sachverhalt nicht Inhaberin der abgetretenen Forderungen geworden, weil ihren Mitarbeitern auch aus einem Vertrag zugunsten Dritter keine vertraglichen Ansprüche gegen sie – die Beklagte – zugestanden haben. Nach Art. 18 ihrer ABB erwerbe der Vertragspartner eines Gruppenbuchungsvertrags – hier das Reisebüro – das Recht, das gebuchte Sitzplatzkontingent durch namentliche Benennung bestimmter Personen bis zu zwei Stunden vor dem planmäßigen Abflug mit Fluggästen seiner Wahl zu besetzen und erwerben diese Personen erst mit der namentlichen Benennung einen Beförderungsanspruch. Der Vertragspartner habe zudem das Recht, die benannten Personen während des Ausübungszeitraums beliebig oft durch die Benennung anderer Personen zu ersetzen. Hier habe das Reisebüro indes nach der Annullierung der Flüge die Erstattung des gezahlten Beförderungsentgeltes verlangt und sei somit vom Vertrag zurückgetreten, bevor ihr gegenüber Fluggäste namentlich benannt worden seien, weshalb kein Dritter (Fluggast) irgendwelche Rechte aus dem Vertrag erworben habe. Nach dem Rücktritt sei ein Erwerb von Rechten durch Dritte schon dem Grunde nach nicht mehr in Betracht gekommen. Soweit die Klägerin mit der Vorlage der Abtretungserklärungen konkludent die Zedenten als Fluggäste namentlich benannt habe, sei diese hierzu nicht berechtigt gewesen, da das Reisebüro als Vertragspartnerin der Gruppenbuchungen die Klägerin hierzu weder ermächtigt noch ihr die Ansprüche abgetreten habe. Sie – die Beklagte – habe zudem erstmals mit der Email der Klägerin vom 15.06.2020 erfahren, in wessen Auftrag das Reisebüro gehandelt habe. Das Reisebüro habe seinerseits nicht gewusst, für welche Mitarbeiter der Klägerin die Flugbuchungen bestimmt gewesen seien und habe daher auch sein Recht auf namentliche Benennung der Fluggäste niemals ausgeübt. Doch selbst wenn irgendwelche Dritte Rechte aus den Gruppenbuchungsverträgen erworben hätten, würden diese nicht den Anspruch auf Erstattung des Beförderungsentgelts aus § 346 Abs. 1 BGB umfassen, weil dieser den Vertrag als Ganzes betreffe und dieses Recht allein beim Versprechungsempfänger verbleibe, wie sich auch aus Art. 18.2.4 ihrer ABB ergebe.
Ebenso wenig könnten die Zedenten aus Art. 8 Abs. 1 a) oder einer sonstigen Bestimmung der Verordnung Nr. 261/2004/EG Erstattung des Beförderungsentgelts beanspruchen. Denn die Zedenten hätten nicht über eine bestätigte Buchung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 a) der VO verfügt und sie sei mangels einer vertraglichen Beziehung im Verhältnis zu den Zedenten auch nicht „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ gemäß Art. 2 b) der VO. Der Übergang der Ansprüche des Vertragspartners eines Luftbeförderungs-vertrages aus Art. 8 Abs. 1 der VO im Wege der cessio legis auf den Fluggast, der über eine bestätigte Buchung für den Flug verfüge, verhindere sowohl eine Doppelverpflichtung des Luftfahrtunternehmens als auch dass die Rechte niemandem zustehen. Sie führe mithin dazu, dass es stets genau einen Anspruchsberechtigten gebe. Doch selbst wenn man der Auffassung des Landgerichts folgte, wonach es bereits mit Abschluss der Gruppenbuchung Fluggäste gegeben habe, denen die Ansprüche aus Art. 7 Abs. 1 der VO zustehen, so würde dies keinen Anspruch der Klägerin auf Erstattung des Beförderungsentgelts begründen. Denn in diesem Fall hätte das Reisebüro nicht mehr den Rücktritt vom Vertrag erklären dürfen, sondern die Fluggäste namhaft machen und diesen die Ausübung des Wahlrechts überlassen müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen und mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei dieses Recht auf den Insolvenzverwalter übergegangen, der es indes nicht ausgeübt habe.
Rechtsfehlerhaft sei ferner die Auffassung des Landgerichts, der Anspruch auf Erstattung des Beförderungsentgelts sei nicht durch Erfüllung erloschen. Es stehe nicht fest, dass die Beklagte den auf das Konto des Reisebüros überwiesenen Erstattungsbetrag zurücküberwiesen erhalten habe. Aufgrund ihres Bestreitens des Vorbringens der Klägerin, dass der Insolvenzverwalter das besagte Konto gesperrt und die Bank angewiesen habe, eingehende Zahlungen zurückgehen zu lassen, hätte es der Klägerin oblegen, Beweis hierfür anzutreten. Aus ihrem Vorbringen ergebe sich auch, dass sie die angebliche Rücküberweisung bestritten habe. Zudem sprächen die Umstände dafür, dass die Bank einem entsprechenden Ansinnen des Insolvenzverwalters nicht entsprochen habe. Ohnehin stehe selbst eine Rücküberweisung der Erfüllungswirkung ihrer Zahlung nicht entgegen. Allerdings komme es weder auf die Zahlung der Beklagten noch auf die Zahlung der Klägerin an das Reisebüro an, sondern entscheidend sei allein, wer Gläubiger des Rückerstattungsanspruchs gewesen sei.
Zum Weiterlesen bitte anmelden oder kostenlos und unverbindlich registrieren.