Erbstreitigkeiten vermeiden: Erstellen oder prüfen Sie ein ➠ Testament!Im zu entscheidenden Fall hatten die Eltern einer lernbehinderten aber weder unter gerichtlicher
Betreuung stehenden noch in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkten Tochter ein notarielles
gemeinschaftliches Testament errichtet.
Darin setzten sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben ein. Schlusserben sollten die drei gemeinsamen Kinder sein.
Die lernbehinderte Tochter erhielt Eingliederungshilfe bzw. erweiterte Hilfe gemäß § 19 Abs. 5 SGB. Die Leistungsbezieherin wurde für den Schlusserbfall zu 34/200 als nicht befreite Vorerbin eingesetzt; ihre Geschwister wurden zu je 83/200 zu Voll-Miterben bestimmt. Über den Vorerbteil wurde Dauertestamentsvollstreckung angeordnet.
Testamentsvollstrecker sollte der Bruder der Leistungsbezieherin, Nacherben sollten die beiden Geschwister sein. Der Testamentsvollstrecker wurde angewiesen, der Leistungsbezieherin zur Verbesserung ihrer Lebensqualität aus den ihr gebührenden Reinerträgen des Nachlasses nach billigem Ermessen solche Geld- oder Sachleistungen zukommen zu lassen, auf die der Sozialhilfeträger nicht zugreifen kann und die auch nicht auf die gewährten Sozialleistungen anrechenbar sind.
Im Anschluss an die Beurkundung des Testaments verzichteten die drei Kinder in notarieller Form auf ihren jeweiligen Pflichtteil nach dem Erstversterbenden.
Nach dem Tode der Mutter leitete der Sozialhilfeträger den Pflichtteilsanspruch der Leistungsbezieherin nach der Mutter sowie "das nach § 2314 BGB bestehende Auskunftsrecht" auf sich über. Der Sozialhilfeträger hielt den Pflichtteilsverzicht der Leistungsbezieherin wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB für unwirksam, da dieser ausschließlich dazu diene, unter Verstoß gegen das sozialrechtliche Nachranggebot den Zugriff des Sozialversicherungsträgers wenigstens auf den
Pflichtteilsanspruch der Leistungsempfängerin zu verhindern, und sich somit als Vertrag zu Lasten Dritter darstelle.
Das Gericht hielt den Pflichtteilsverzicht der Leistungsempfängerin jedoch für wirksam. Weder das gemeinsame Testament, das auch die Erblasserin wirksam errichtet habe, noch der Pflichtteilsverzicht verstoßen gegen die guten Sitten. Da der Verzicht noch vor dem Erbfall erfolgte, konnte offen bleiben, ob der Erlass eines bereits entstandenen Pflichtteilsanspruchs nach dem Erbfall sittenwidrig gewesen wäre.
Verfügungen von Todes wegen, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung durch eine kombinierte Anordnung von Vor- und Nacherbschaft sowie einer - mit konkreten Verwaltungsanweisungen versehenen - Dauertestamentsvollstreckung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann (Behindertentestament), sind grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.
Da die lernbehinderte Tochter Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII bezieht, die das Vorliegen einer Behinderung voraussetzen, ist es unerheblich, dass sie gleichwohl geschäftsfähig war und nicht unter gerichtlicher Betreuung stand. Auch der von der Leistungsbezieherin erklärte Pflichtteilsverzicht verstößt weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau mit dem elterlichen Testament gegen die guten Sitten und ist daher wirksam.