Kann sich eine betreute Person aufgrund von Alter, Krankheit oder beginnender Demenz nicht mehr ausreichend selbst versorgen, sodass die häusliche Pflege an ihre Grenzen stößt, erscheint ein Umzug in ein
Pflegeheim als vernünftige und sichere Lösung. Es ist jedoch keine Seltenheit, dass die betroffene Person sich vehement weigert, ihr vertrautes Zuhause zu verlassen. Darf der
Betreuer den
Betreuten in diesem Fall gegen dessen Willen in ein von dem Betreuer ausgewähltes Alten- oder Pflegeheim bringen? Dies ist eine Frage, die sich oftmals nicht nur Angehörigen, sondern auch dem Betreuer selbst stellt.
Selbstbestimmungsrecht des Betreuten
Das Betreuungsrecht beruht auf dem Prinzip, die Selbstbestimmung der betreuten Person so weit wie möglich zu wahren und zu unterstützen. Die Einrichtung einer Betreuung ist schließlich keine Entmündigung. Vielmehr hat der Betreuer die Aufgabe, die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht, und ihm dabei zu ermöglichen, sein Leben nach eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Der Wille des Betreuten ist daher die Richtschnur für das Handeln des Betreuers.
Daraus folgt ein Grundsatz, der von der Rechtsprechung immer wieder bestätigt wird: Für die zwangsweise Verbringung eines Betreuten in ein offenes Alten- oder Pflegeheim gibt es keine gesetzliche Grundlage. Eine betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine solche Maßnahme kann nicht erteilt werden. Dies haben unter anderem das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm, 21.10.2002 - Az:
15 W 189/02) und das Landgericht Hannover (LG Hannover, 09.09.2019 - Az:
4 T 70/19) entschieden.
Der Betreuer darf also keinen körperlichen Zwang anwenden, um den Widerstand des Betreuten zu überwinden und ihn in eine Einrichtung zu bringen. Auch sogenannte „sanfte Gewalt“, wie das Ankleiden und ins Auto Setzen gegen den Willen der Person, ist unzulässig. Solange die betreute Person in der Lage ist, einen freien und natürlichen Willen zu äußern, ist dieser zu respektieren – selbst wenn die Entscheidung aus objektiver Sicht unvernünftig oder mit Risiken verbunden erscheint. Das allgemeine Lebensrisiko, etwa durch einen Sturz im Haushalt Schaden zu nehmen, wird vom Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen und rechtfertigt keinen Eingriff in das Freiheitsrecht. Die Aufgabe des Betreuers besteht in einem solchen Fall darin, die Versorgung in der Häuslichkeit bestmöglich zu organisieren und zu optimieren, nicht aber darin, einen Umzug zu erzwingen. Solange der Betreuer für die optimale Versorgung sorgt, hat dieser seinen Pflichten genüge getan und kann im Schadensfall auch nicht belangt werden.
Was gilt bei fehlender Einsichtsfähigkeit des Betroffenen?
Das Selbstbestimmungsrecht findet seine Grenze dort, wo der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht mehr in der Lage ist, die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Man spricht hier von fehlender Einsichts- oder Einwilligungsfähigkeit.
Allein die Tatsache, dass eine Heimunterbringung dem Wohl des Betreuten entsprechen würde, weil die Versorgungssituation sich dadurch verbessert, reicht jedoch nicht aus, um seinen entgegenstehenden Willen zu übergehen. Ein Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit der Person (Art. 104 GG) ist nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Die einzige rechtliche Möglichkeit, eine Person gegen ihren Willen an einem bestimmten Ort festzuhalten, stellt die sogenannte freiheitsentziehende
Unterbringung dar.
Wann ist eine freiheitsentziehende Unterbringung zulässig?
Eine zwangsweise Verbringung in eine Einrichtung ist ausschließlich im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach
§ 1831 BGB (früher § 1906 BGB) denkbar. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um den Umzug in ein offenes Pflegeheim, sondern um die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, einer geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses oder Heimes, in der die Bewegungsfreiheit der Person aktiv eingeschränkt wird. Dies kann auch durch dauerhafte Sedierung oder den Einsatz von Bettgittern oder Gurten geschehen, die den Betreuten am Verlassen eines bestimmten Bereichs hindern.
Eine solche Maßnahme ist immer das letzte Mittel (ultima ratio) und bedarf zwingend der Genehmigung durch das
Betreuungsgericht. Die Voraussetzungen hierfür sind streng:
1. Es muss aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen bzw. seelischen Behinderung des Betreuten die ernstliche und konkrete Gefahr bestehen, dass er sich selbst tötet oder einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Eine fortschreitende Verwahrlosung kann hierunter fallen, wenn sie zu einer massiven gesundheitlichen Selbstgefährdung führt, etwa durch Mangelernährung oder katastrophale hygienische Zustände.
2. Alternativ muss zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig sein, der ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und dessen Notwendigkeit der Betreute krankheitsbedingt nicht erkennen oder akzeptieren kann (§ 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Liegt keine dieser Voraussetzungen vor, ist eine zwangsweise Unterbringung unzulässig. Insbesondere kann die Genehmigung nicht dafür missbraucht werden, den Betreuten lediglich in einer offenen Abteilung unterzubringen, um dort eine Zwangsbehandlung zu ermöglichen (vgl. BGH, 23.01.2008 - Az:
XII ZB 185/07).
Das gerichtliche Genehmigungsverfahren
Soll eine freiheitsentziehende Unterbringung erfolgen, muss der Betreuer dies beim zuständigen Betreuungsgericht beantragen. Dafür benötigt er die entsprechenden Aufgabenbereiche, insbesondere „
Aufenthaltsbestimmung“ und „
Gesundheitssorge“.
Der Aufgabenbereich der „Aufenthaltsbestimmung“ ermöglicht es dem Betreuer einen Wechsel des Wohn- oder Aufenthaltsorts des Betreuten zu veranlassen und Unterbringungs- oder unterbringungsähnliche anzuordnen. Dadurch sind aber Zwangsmaßnahmen gegen den Betreuten nicht abgedeckt, wenn dieser sich dem Aufenthaltswechsel verweigert.
Das Gericht leitet daraufhin ein förmliches Verfahren ein, das dem hohen Rang des Freiheitsrechts Rechnung trägt:
- Es wird ein unabhängiges Sachverständigengutachten, in der Regel von einem Psychiater, zur Notwendigkeit der Maßnahme eingeholt.
- Der Richter muss sich im Rahmen einer persönlichen Anhörung einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen verschaffen.
- Oft wird zur Wahrung der Rechte des Betroffenen ein Verfahrenspfleger bestellt, der dessen Interessen im Verfahren vertritt.
Nur wenn nach diesem Verfahren alle Voraussetzungen zweifelsfrei erfüllt sind, darf der Richter die Unterbringung für eine befristete Dauer genehmigen. Eine Ausnahme vom Gebot der vorherigen Genehmigung besteht nur bei akuter Gefahr im Verzug; die Genehmigung muss dann aber unverzüglich nachgeholt werden.
Praktische Herausforderungen und Alternativen
Wenn die Voraussetzungen für eine geschlossene Unterbringung nicht vorliegen, der Betreute aber in seiner Wohnung zu verwahrlosen droht, stehen Betreuer und Angehörige vor einem Dilemma. Verschärft wird die Situation häufig dadurch, dass ambulante Pflegedienste den Pflegevertrag kündigen können, wenn eine verantwortungsvolle Pflege nicht mehr gewährleistet ist. Bei einem Pflegevertrag handelt es sich um ein zivilrechtliches Dauerschuldverhältnis, das unter Einhaltung der vereinbarten Fristen ordentlich gekündigt werden kann, ohne dass es eines besonderen Grundes bedarf.
Anstatt auf eine rechtlich unzulässige Zwangseinweisung zu dringen, sollten die Bemühungen darauf gerichtet werden, die häusliche Situation zu stabilisieren und zu verbessern. Mögliche Ansatzpunkte sind:
- Die Überprüfung des Pflegegrades und gegebenenfalls ein Antrag auf Höherstufung, um mehr Leistungen zu erhalten
- Die Organisation zusätzlicher Hilfen wie Tagespflege, hauswirtschaftliche Versorgung oder die Einbindung weiterer sozialer Dienste
- Die Einholung von Rat und Unterstützung bei der örtlichen Betreuungsbehörde, die Betreuer bei der Suche nach alternativen Lösungen berät
Ein weiterer Aspekt ist die Wohnung selbst. Muss die Wohnung im Falle eines (freiwilligen oder zwangsweisen) Umzugs
gekündigt werden, bedarf dies ebenfalls der Genehmigung des Betreuungsgerichts, sofern die Kündigung dem Wunsch des Betreuten widerspricht (
§ 1833 BGB). Das Gericht prüft hierbei, ob der Wunsch des Betreuten, die Wohnung zu behalten, zu einer erheblichen Gefährdung seiner Person oder seines Vermögens führen würde und er diese Gefahr krankheitsbedingt nicht erkennen kann (
§ 1821 Abs. 3 BGB). Eine solche Gefährdung liegt etwa vor, wenn die Finanzierung des Wohnraums nicht mehr gesichert ist oder die häusliche Versorgung auch mit allen ambulanten Diensten zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung führen würde.
Eine Verbringung in ein Pflegeheim gegen den Willen des Betreuten ist mithin nur unter eng gefassten, strengen Voraussetzungen einer gerichtlich genehmigten, freiheitsentziehenden Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung möglich und bleibt somit eher eine Ausnahme.