Die soziale Pflegeversicherung, eingeführt im Jahr 1995, bildet die fünfte Säule im deutschen Sozialversicherungssystem, neben der Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung. Ihre rechtliche Grundlage findet sich im Elften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XI). Das Hauptziel dieser Versicherung ist es, das finanzielle und organisatorische Risiko der Pflegebedürftigkeit abzusichern. Es handelt sich um eine Pflichtversicherung; jeder, der gesetzlich oder privat krankenversichert ist, muss automatisch auch Mitglied in der Pflegeversicherung sein.
Tritt der sogenannte Leistungsfall ein, eine Person also pflegebedürftig wird, übernimmt die Pflegeversicherung einen definierten Teil der entstehenden Kosten und Pflegeleistungen. Die Pflegeversicherung ist dabei als Teilabsicherung konzipiert; sie deckt nicht zwangsläufig alle Kosten ab, die im Rahmen einer Pflege anfallen.
Finanzierung: Wer trägt die Kosten der Pflege?
Die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung werden bei Arbeitnehmern paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Rentner hingegen müssen ihren Beitrag in der Regel allein aufwenden. Für gesetzlich Versicherte liegt der allgemeine Beitragssatz 2025 bundesweit bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens.
Eine Besonderheit stellt der Beitragszuschlag für Kinderlose dar. Versicherte ohne Kinder zahlen einen erhöhten Beitragssatz von 4,0 Prozent. Bei Arbeitnehmern teilt sich der Beitrag wie folgt auf: Der Arbeitgeberanteil ist konstant bei 1,7 Prozent. Der Arbeitnehmeranteil variiert jedoch seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2023 je nach Anzahl der Kinder unter 25 Jahren. Bei einem Kind teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Beitrag zu gleichen Teilen (jeweils 1,7 Prozent). Für jedes weitere Kind reduziert sich der Arbeitnehmeranteil um 0,25 Prozentpunkte. Bei fünf oder mehr Kindern sinkt der Arbeitnehmeranteil auf 0,7 Prozent (Gesamtbeitrag dann 2,4 Prozent).
Diese Staffelung ist die Reaktion auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahr 2022. Die Verfassungsrichter sahen im alten System, das zwar Kinderlose höher belastete, aber nicht zwischen Eltern mit unterschiedlicher Kinderzahl differenzierte, einen Verstoß gegen das Gebot der Belastungsgleichheit. Die Bundesregierung setzte dies mit dem „Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege“ (PUEG) um.
Wachsender Bedarf: Demografie und Kostenentwicklung
Seit Einführung der Pflegeversicherung ist die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland stetig gestiegen. Wesentliche Gründe hierfür sind die hohe Lebenserwartung und der allgemeine demografische Wandel der Gesellschaft. Während 1999 noch rund 2,02 Millionen Menschen als pflegebedürftig galten, waren es Ende 2021 bereits fast fünf Millionen. Prognosen des Statistischen Bundesamtes deuten auf einen weiteren Anstieg hin, möglicherweise auf 5,6 Millionen bis 2035.
Ein Großteil der Betroffenen, über 80 Prozent, wird aktuell zu Hause versorgt, oft durch Angehörige. Etwa 16 Prozent werden in Pflegeheimen betreut.
Diese Entwicklung, verbunden mit inflationären Tendenzen, Lohnerhöhungen für Pflegepersonal und steigenden Pflegemindestlöhnen, stellt die Finanzstabilität der Pflegeversicherung vor erhebliche Herausforderungen. Auch die Neufassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Jahr 2017, die beispielsweise Demenzerkrankten einen umfassenderen Leistungszugang ermöglichte, erhöhte die Zahl der Leistungsberechtigten. Trotz Beitragserhöhungen kämpft die Versicherung mit Finanzierungslücken, die zukünftige Reformen und möglicherweise weitere Beitragsanpassungen wahrscheinlich machen.
Antrag auf Pflegeleistungen
Leistungen der Pflegeversicherung oder ein Antrag auf Höherstufung eines bestehenden Pflegegrades müssen bei der zuständigen Pflegekasse beantragt werden. Die Pflegekassen sind organisatorisch eng mit den Krankenkassen verbunden; sie befinden sich quasi unter einem Dach. Wer also beispielsweise bei einer bestimmten Ersatzkasse krankenversichert ist, stellt den Antrag auf Pflegeleistungen ebenfalls dort. Für privat Krankenversicherte ist das jeweilige private Versicherungsunternehmen der Ansprechpartner.
Wann gilt man als pflegebedürftig?
Die Definition der Pflegebedürftigkeit findet sich in § 14 SGB XI. Als pflegebedürftig gelten Personen, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Entscheidend ist, dass diese Pflegebedürftigkeit auf Dauer, also voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehen muss.
Begutachtungsverfahren: Der Weg zum Pflegegrad
Um Geld- oder Sachleistungen zu erhalten, muss im ersten Schritt die Pflegebedürftigkeit formell festgestellt werden. Diese Aufgabe übernehmen speziell ausgebildete Gutachter. Bei gesetzlich Versicherten ist dies in der Regel der Medizinische Dienst (MD). Bei privat Versicherten wird die Begutachtung durch „Medicproof“, einen Dienstleister des Verbands der Privaten Krankenversicherer, durchgeführt.
Der Pflegegrad wird mithilfe von sechs Modulen ermittelt, die verschiedene Bereiche des täglichen Lebens abbilden. Dazu gehören beispielsweise Modul 1 (Mobilität), Modul 4 (Fähigkeit zur Selbstversorgung, z. B. Körperpflege und Ernährung) und Modul 6 (Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte). Der Gutachter prüft diese Bereiche, meist bei einem Hausbesuch, und vergibt Punkte für die einzelnen Teilbereiche, je nach Grad der noch vorhandenen Selbstständigkeit.
Die fünf Pflegegrade: Was bedeuten sie?
Aus der Gesamtsumme der in den Modulen vergebenen Punkte ergibt sich die Zuordnung zu einem der fünf Pflegegrade. Je schwerer die Beeinträchtigung und je geringer die Selbstständigkeit, desto höher ist die Punktzahl und damit der Pflegegrad.
Pflegegrad 1 attestiert eine „geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“. Pflegegrad 4 (ab 70 Punkten) und Pflegegrad 5 (ab 90 Punkten) signalisieren „schwerste Beeinträchtigungen“, bei denen eine Person kaum oder gar nicht mehr selbstständig handeln, sich mitteilen oder versorgen kann. Bei der Ermittlung des Pflegegrades bei Kindern werden selbstverständlich entwicklungsbedingte Besonderheiten berücksichtigt.
Leistungen bei häuslicher Pflege
Die Leistungen der Pflegeversicherung differenzieren, ob die Pflege zu Hause durch eine private Pflegeperson (wie Angehörige oder Freunde) oder durch einen professionellen Pflegedienst erfolgt.
| Monatliches Pflegegeld für die Leistungen einer privaten Pflegeperson | 
| Pflegegrad 2 | 347 Euro | 
| Pflegegrad 3 | 599 Euro | 
| Pflegegrad 4 | 800 Euro | 
| Pflegegrad 5 | 990 Euro | 
 
 
| Monatlicher Beitrag bei Pflege durch einen Pflegedienst | 
| Pflegegrad 2 | bis zu 796 Euro | 
| Pflegegrad 3 | bis zu 1.497 Euro | 
| Pflegegrad 4 | bis zu 1.859 Euro | 
| Pflegegrad 5 | bis zu 2.229 Euro | 
 
Beide Leistungsarten können auch miteinander kombiniert werden (Kombinationsleistung), wenn die Versorgung teilweise privat und teilweise durch einen Pflegedienst sichergestellt wird.
Stationäre Pflege und der Eigenanteil
Entscheiden sich Betroffene für Sachleistungen in einem Pflegeheim, zahlt die Pflegeversicherung einen festen Betrag, der sich nach der Intensität der Betreuung (dem Pflegegrad) bemisst. Pflegebedürftige müssen zusätzlich einen Eigenanteil leisten. Dieser Eigenanteil ist innerhalb eines Pflegeheims für die Pflegegrade 2 bis 5 einheitlich, unabhängig von der Intensität der Betreuung. Die Höhe dieses Eigenanteils kann jedoch zwischen verschiedenen Heimen variieren. Um die Belastung zu dämpfen, reduziert sich der zu zahlende Eigenanteil durch zeitlich gestaffelte Zuschüsse der Pflegekassen, je länger der Aufenthalt in der Einrichtung dauert.
Anspruch auf Beratung durch die Pflegekasse
Versicherte haben gegenüber ihrer Pflegekasse einen Anspruch auf eine umfassende, individuelle und unabhängige Beratung über die Leistungen der Pflegeversicherung. Diese Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf Unterstützungsmöglichkeiten anderer Versorgungsträger, etwa der Krankenkassen oder Sozialleistungsträger. Die Kasse sollte über passgenaue Hilfen informieren und bei der Ausarbeitung eines Versorgungsplans unterstützen.
Die Pflegekasse ist verpflichtet, einen solchen Beratungstermin innerhalb von zwei Wochen nach der ersten Antragstellung auf Pflegeleistungen anzubieten. Dabei muss ein konkreter Ansprechpartner benannt werden. Alternativ kann die Pflegekasse einen Beratungsgutschein ausstellen, der bei unabhängigen und neutralen Beratungsstellen eingelöst werden kann. Auf Wunsch muss die Beratung auch in der häuslichen Umgebung stattfinden, wobei Angehörige oder andere Dritte anwesend sein dürfen.
Wenn der Bescheid falsch ist
Entscheidungen der Pflegekasse ergehen durch Bescheide. Ist ein Versicherter mit einer Entscheidung – etwa der Ablehnung oder der Einstufung in einen zu niedrigen Pflegegrad – nicht einverstanden, muss er selbst Rechtsbehelfe einlegen. Das gängigste Mittel ist der Widerspruch gegen den Bescheid. Hierfür gelten gesetzliche Fristen, in der Regel ein Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Führt der Widerspruch nicht zum Erfolg, steht der Klageweg vor den Sozialgerichten offen.
Unabhängig von Widerspruch und Klage besteht die Möglichkeit, sich über die Pflegekasse zu beschweren, etwa beim Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS). Das BAS führt die Aufsicht über bundesunmittelbare Kassen (z. B. Ersatzkassen, viele BKKs und IKKs). Für landesunmittelbare Kassen (wie die AOKs) sind meist die Landesgesundheitsministerien zuständig.
Das BAS prüft, ob die Kasse die gesetzlichen Vorgaben beachtet hat, beispielsweise ob sie zeitnah und korrekt entschieden hat. Die Aufsicht wird jedoch ausschließlich im öffentlichen Interesse tätig; sie kann keine direkten leistungsrechtlichen Entscheidungen für den Versicherten treffen oder ein Gerichtsverfahren ersetzen. Für Beschwerden gegen private Versicherungsunternehmen ist hingegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zuständig.
Kritik am Gutachten: Der Medizinische Dienst (MD)
Häufig richtet sich die Unzufriedenheit Betroffener gegen das Gutachten des Medizinischen Dienstes (MD), das der Entscheidung der Kasse zugrunde liegt. Die Kassen sind gesetzlich verpflichtet, in Fällen wie der Klärung von Pflegebedürftigkeit eine Stellungnahme des MD einzuholen.
Der MD ist als sozialmedizinischer Beratungsdienst eine formal unabhängige und neutrale Instanz. Die Ärzte des MD sind bei der Beurteilung ausschließlich ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) hat keine direkte Aufsichtsbefugnis über den MD. Es kann dessen Gutachten lediglich im Rahmen der Kassenaufsicht auf Schlüssigkeit und Plausibilität überprüfen.
Sind Betroffene mit der Art und Weise der Begutachtung durch den MD nicht einverstanden, sollten sie sich zunächst direkt an den MD selbst wenden, da dieser verpflichtet ist, der Beschwerde nachzugehen. Die Fachaufsicht über den MD liegt bei den jeweiligen Landesministerien für Soziales oder Gesundheit.