Wer Geld anlegen möchte, sieht sich oft einer Flut von Papier gegenüber. Bunte Broschüren versprechen hohe Renditen, und Berater preisen die Sicherheit der Investition. Doch im Hintergrund existiert ein Dokument, das weit weniger glanzvoll, dafür aber rechtlich umso wichtiger ist: der Emissionsprospekt. Er wird häufig ungelesen abgeheftet oder nur überflogen, dabei bildet er das fundamentale Regelwerk der Geldanlage. Ein genauerer Blick lohnt sich, denn wenn die Realität von den Versprechungen abweicht, entscheidet oft genau dieses Schriftstück über Haftung, Schadensersatz oder den totalen Verlust des eingesetzten Kapitals.
Funktion des Wertpapierprospekts
Ein Emissionsprospekt gibt Auskunft über das betreffende Anlageprodukt. Dadurch soll dem Anleger das Wertpapier an sich nähergebracht werden. Weiterhin soll er sich ein Bild von dem Herausgeber des Wertpapiers, dem sogenannten Emittenten, machen können. Für Wertpapiere kommt hier seit dem 01.07.2005 das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) zur Anwendung. Hier wird die Prospektpflicht für Wertpapiere geregelt. Es werden darin verschiedene Prospekttypen aufgezeigt und bestimmt, wann eine Prospektpflicht besteht. Besteht eine solche Prospektpflicht, dann wird nach dem Wertpapierprospektgesetz eine genaue Ausgestaltung vorgeschrieben. Erst wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) den Prospekt förmlich gebilligt hat, darf er veröffentlicht werden. Wichtig ist hierbei, dass die Billigung durch die BaFin lediglich die Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit prüft, jedoch kein Gütesiegel für die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Anlage darstellt.
Von dem Emissionsprospekt zu unterscheiden ist der Verkaufsprospekt für Vermögensanlagen, die nicht in Wertpapieren verbrieft sind. Hierzu finden sich die entsprechenden Regelungen im Vermögensanlagengesetz (früher Verkaufsprospektgesetz). Hierunter zählen beispielsweise Anteile an
geschlossenen Fonds oder direkte Unternehmensbeteiligungen. Unabhängig von der genauen Bezeichnung dient das Dokument stets demselben Zweck: der Herstellung von Transparenz und der Aufklärung über Chancen und insbesondere Risiken.
Prospekthaftung durch fehlerhafte Angaben
Vermittelt die Bank oder ein Anlageberater dem Anleger eine
Kapitalanlage, für die eine Prospektpflicht besteht, dann unterliegt sie häufig strengen Aufklärungspflichten. Voraussetzung für eine Prospekthaftung ist der Prospektmangel. Ein Prospektmangel liegt vor, wenn wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind. Ein solcher Mangel führt unter Umständen zu einem Schadensersatzanspruch des Anlegers. Auch darf das Gesamtbild der Risikohinweise nicht gezielt so undeutlich gemacht werden, dass der Anleger die entsprechenden Risiken nicht mehr erkennen kann.
Ein klassisches Beispiel für unzureichende Angaben betrifft die Offenlegung von Provisionen, den sogenannten Kick-Backs. Banken und Sparkassen sind verpflichtet, Kunden über Rückvergütungen aufzuklären, damit der Kunde das Eigeninteresse der Bank an der Empfehlung einschätzen kann. Im Falle einer Berliner Sparkasse, die Anteile an einem geschlossenen Schiffsfonds vermittelte, waren zwar Hinweise auf Rückvergütungen im Prospekt enthalten, jedoch wurde die Sparkasse dort nicht explizit als Empfängerin genannt. Dies genügte den Anforderungen an die Transparenz nicht (vgl. LG Berlin, 17.04.2019 - Az:
38 O 160/18). Da die Sparkasse auch nicht beweisen konnte, dass eine mündliche Aufklärung erfolgt war oder dem Kunden die Provision egal gewesen wäre, wurde sie zu Schadensersatz und Rückabwicklung verurteilt. Der Prospekt muss also Ross und Reiter nennen, wenn es um die Verteilung der Gelder geht.
Übergabezeitpunkt und tatsächliche Kenntnisnahme
Ein fehlerfreier Prospekt nützt dem Anleger wenig, wenn er diesen nicht oder zu spät erhält. In der Praxis wird oft versucht, die rechtzeitige Übergabe durch formularmäßige Empfangsbestätigungen zu beweisen. Die Rechtsprechung schaut hier jedoch genau hin. Eine vom Anleger unterzeichnete Checkliste oder Empfangsbestätigung reicht als Beweis nicht aus, wenn der konkrete Übergabezeitpunkt nicht feststeht oder der Anleger glaubhaft machen kann, dass er etwa nur einen Werbeflyer für den Prospekt hielt (vgl. LG Frankfurt/Main, 29.11.2018 - Az:
2-21 O 161/18).
Der Prospekt muss rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben werden, damit er überhaupt als Aufklärungsmittel dienen kann. Wird der Prospekt nicht rechtzeitig übergeben, kann er Informationsdefizite aus dem Beratungsgespräch nicht heilen (vgl. LG Nürnberg-Fürth, 27.09.2018 - Az:
6 O 8183/17). Ein bloßer Hinweis auf eine Downloadmöglichkeit auf der Homepage des Unternehmens ist ebenfalls nicht ausreichend, um die Aufklärungspflicht zu erfüllen (vgl. LG Hamburg, 28.11.2019 - Az:
319 O 267/18). Der Berater muss sicherstellen, dass der Kunde die Informationen tatsächlich zur Kenntnis nehmen kann, bevor er eine bindende Unterschrift leistet.
Diskrepanz zwischen Beratung und Prospektinhalt
Häufig verlassen sich Anleger auf das gesprochene Wort des Beraters und ignorieren das schriftliche Dokument. Dies ist riskant, entbindet den Berater jedoch nicht von seiner Haftung. Eine anleger- und objektgerechte Beratung muss speziell auf die Bedürfnisse und das Anlageziel des Kunden zugeschnitten sein. Wenn in einer Beratung die im Prospekt dargestellten Risiken derart verharmlost werden, dass der Anleger eine falsche Vorstellung von deren Ausmaß erhält, liegt eine Pflichtverletzung vor (LG Hamburg, 28.11.2019 - Az:
319 O 267/18). Das gesprochene Wort, das Risiken bagatellisiert („Sicher wie ein Sparbuch“), wiegt oft schwerer als der schriftliche Risikohinweis im Prospekt.
Besonders gravierend sind Fälle, in denen über spezifische Haftungsrisiken nicht aufgeklärt wird. Bei geschlossenen Fonds in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft (GmbH & Co. KG) besteht oft das Risiko, dass erhaltene Ausschüttungen im Falle einer Insolvenz wieder zurückgezahlt werden müssen (Wiederaufleben der Kommanditistenhaftung nach § 172 HGB). Wird darüber nicht aufgeklärt, stellt dies eine Verletzung der
Beratungspflichten dar (LG Frankfurt/Main, 29.11.2018 - Az:
2-21 O 161/18). Das Eigeninteresse des Vermittlers an der Provision steht der Annahme einer Pflichtverletzung nicht entgegen.
Steuerliche Aspekte und Fondsetablierungskosten
Der Emissionsprospekt bildet auch die Grundlage für die steuerliche Behandlung der Anlage. Hierbei kommt es oft zu Streitigkeiten über die Abzugsfähigkeit von Kosten. Insbesondere sogenannte Weichkosten, wie etwa Beratungs- und Konzeptionskosten, werden von Fondsgesellschaften gerne sofort als Betriebsausgaben geltend gemacht, um dem Anleger frühe steuerliche Verluste zuzuweisen. Die Finanzverwaltung und die Rechtsprechung qualifizieren diese jedoch oft als Anschaffungskosten, die über die Laufzeit abgeschrieben werden müssen.
Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass die rückwirkende Anwendung des § 6e EStG, der Fondsetablierungskosten als Anschaffungskosten definiert, verfassungsrechtlich zulässig ist (vgl. FG Münster, 24.01.2024 - Az:
12 K 357/18 F). Dies gilt auch dann, wenn die Kosten bereits vor dem Beitritt der Anleger auf Ebene des Fonds angefallen sind. Entscheidend ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise: Der Anleger erwirbt ein fertiges Konzept inklusive aller Vorkosten. Selbst wenn das Investitionsobjekt später ausgetauscht wird – etwa weil ein Schiff nicht fertiggestellt wird und die Anleger in eine Auffanggesellschaft wechseln – bleiben die ursprünglichen Kosten Anschaffungskosten, wenn der wirtschaftliche Zusammenhang bestehen bleibt.
Verjährung von Schadensersatzansprüchen
Stellt sich heraus, dass der Emissionsprospekt fehlerhaft war oder die Beratung unzureichend, drängt oft die Zeit. Ansprüche verjähren grundsätzlich, wobei hier zwischen der kenntnisabhängigen Verjährung (drei Jahre zum Jahresende ab Kenntnis) und der absoluten Verjährung unterschieden werden muss. Die absolute Verjährungshöchstfrist beträgt zehn Jahre. Wichtig für die Berechnung dieser Frist ist der genaue Beginn. Die Verjährung beginnt tagegenau im Zeitpunkt der Entstehung des Schadensersatzanspruchs. Nach wertender Betrachtung ist der Anleger bereits ab Abgabe seines verbindlichen Angebots auf Erwerb der Kapitalanlage geschädigt und nicht erst bei Annahme durch die Fondsgesellschaft (vgl. LG Nürnberg-Fürth, 19.12.2016 - Az:
10 O 4681/16). Wer also am 25.06. unterschreibt, für den beginnt die Zehn-Jahres-Uhr an diesem Tag zu ticken, selbst wenn die Gegenseite erst Tage später annimmt.
Hinsichtlich der kenntnisabhängigen Verjährung stellt sich oft die Frage, ob dem Anleger eine grob fahrlässige Unkenntnis vorgeworfen werden kann, wenn er den Emissionsprospekt nicht gelesen hat. Hier urteilen die Gerichte differenziert. Die Annahme grob fahrlässiger Unkenntnis kann nicht allein darauf gestützt werden, dass der Anlageinteressent einen ihm überlassenen Emissionsprospekt oder den Text eines Zeichnungsscheins nicht gelesen hat (vgl. OLG Celle, 07.11.2019 - Az:
11 U 61/19). Es bedarf vielmehr einer umfassenden Würdigung der Umstände, wie etwa des Bildungsstands des Anlegers, des Ablaufs des Gesprächs und der grafischen Gestaltung der Hinweise. Das „blinde Vertrauen“ in den Berater wird hier bis zu einem gewissen Grad geschützt, insbesondere wenn ein besonderes Vertrauensverhältnis bestand.