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Widerrufsrecht beim Online-Maklervertrag: Beginn der Frist bei fehlendem Musterformular?

Firmen / Gewerbe | Lesezeit: ca. 6 Minuten

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher (ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 64) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU zu laufen, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat?

2. Ergibt sich aus Bestimmungen der Richtlinie 2011/83/EU, dass das Widerrufsrecht des Verbrauchers nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie fortbesteht, obwohl sowohl er als auch der Unternehmer einen zwischen ihnen geschlossenen Fernabsatzvertrag vollständig erfüllt haben? Gilt dies gegebenenfalls jedenfalls dann, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung gestellt hat?

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Es geht um die Klärung der Frage, wann die Widerrufsfrist bei einem im Fernabsatz geschlossenen Maklervertrag beginnt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher das gesetzlich vorgesehene Muster-Widerrufsformular nicht zur Verfügung stellt.

Hierbei kommt es auf die Auslegung der §§ 312g, 355, 356 BGB sowie der Informationspflichten nach Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB im Lichte der Richtlinie 2011/83/EU an. Danach beginnt die vierzehntägige Widerrufsfrist grundsätzlich erst, wenn der Verbraucher ordnungsgemäß über die Bedingungen, Fristen und das Verfahren der Ausübung des Widerrufsrechts informiert wurde. Hierzu zählt auch die Bereitstellung des Muster-Widerrufsformulars. Fehlt dieses, stellt sich die Frage, ob die Frist dennoch laufen kann, wenn der Verbraucher die übrigen Belehrungsinhalte kennt.

Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine ordnungsgemäße Belehrung nur dann erfolgt, wenn dem Verbraucher neben der Widerrufsbelehrung auch das Muster-Widerrufsformular tatsächlich zur Verfügung gestellt wurde (vgl. EuGH, 23.01.2019 - Az: C-430/17; BGH, 20.02.2025 - Az: VII ZR 133/24; BGH, 26.11.2020 - Az: I ZR 169/19). Das Fehlen des Formulars gilt bislang als wesentliches Informationsdefizit, das den Fristbeginn hindert.

Gleichzeitig hat der Gerichtshof der Europäischen Union zu vergleichbaren Informationspflichten im Verbraucherkreditrecht entschieden, dass eine unvollständige oder fehlerhafte Belehrung den Fristbeginn nicht zwingend ausschließt, sofern der Verbraucher die fehlenden Informationen leicht ermitteln und seine Rechte im Wesentlichen gleichwertig ausüben kann (EuGH, 21.12.2023 - Az: C-38/21). Der Bundesgerichtshof hat diese Grundsätze im Kreditrecht bereits übernommen (BGH, 27.02.2024 - Az: XI ZR 258/22; BGH, 15.10.2024 - Az: XI ZR 39/24).

Offen ist nun, ob diese Maßstäbe auch auf das Widerrufsrecht im Fernabsatzrecht zu übertragen sind. Entscheidend ist, ob das Fehlen des Muster-Widerrufsformulars die Fähigkeit des Verbrauchers beeinträchtigt, sein Widerrufsrecht zu verstehen und auszuüben. Dafür spricht, dass die Belehrung über Bedingungen, Fristen und Verfahren regelmäßig genügt, um den Verbraucher in die Lage zu versetzen, selbst über den Vertragsabschluss zu entscheiden. Gegen einen Fristbeginn könnte sprechen, dass der Gesetzgeber das Muster-Widerrufsformular als verpflichtende Information ausdrücklich zusätzlich zur Belehrung vorgesehen hat, um die Ausübung des Widerrufsrechts zu erleichtern.

Der BGH stellt daher die Frage an den Gerichtshof der Europäischen Union, ob das Fehlen des Muster-Widerrufsformulars stets ein wesentliches Informationsdefizit darstellt, das den Beginn der Widerrufsfrist hindert, oder ob die Frist auch dann zu laufen beginnen kann, wenn der Verbraucher trotz des Fehlens hinreichend informiert ist.

Daneben ist zu klären, ob ein Widerrufsrecht erlischt, wenn der Unternehmer die Maklerleistung vollständig erbracht und der Verbraucher die vereinbarte Provision gezahlt hat. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt die vollständige beiderseitige Vertragserfüllung nicht zum Erlöschen des Widerrufsrechts, wenn der Verbraucher nicht ordnungsgemäß belehrt wurde (vgl. BGH, 01.12.2022 - Az: I ZR 28/22). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat demgegenüber im Kreditrecht entschieden, dass ein Widerrufsrecht nach vollständiger Vertragserfüllung entfällt (EuGH, 21.12.2023 - Az: C-38/21).

Die Vorlage an den Gerichtshof dient daher der unionsrechtlichen Klärung, ob diese Grundsätze auch auf Dienstleistungsverträge wie Maklerverträge im Fernabsatz anzuwenden sind und ob das Widerrufsrecht nach vollständiger beiderseitiger Vertragserfüllung unabhängig von der Erfüllung der Belehrungspflichten erlischt.

Das Verfahren wurde bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt.


BGH, 22.10.2025 - Az: I ZR 192/24

ECLI:DE:BGH:2025:221025BIZR192.24.0

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