Nicht jede Kündigung ist zulässig. ➠ Lassen Sie sich beraten.Verstößt eine
ordentliche Kündigung gegen Diskriminierungsverbote des
AGG (§§ 1 - 10 AGG), so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach
§ 1 KSchG führen. Dem steht
§ 2 Abs. 4 AGG nicht entgegen.
Die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vorgesehene Berücksichtigung des Lebensalters als Sozialdatum stellt eine an das Alter anknüpfende unterschiedliche Behandlung dar. Sie ist jedoch nach
§ 10 Satz 1, 2 AGG gerechtfertigt.
Auch die Bildung von Altersgruppen kann nach § 10 Satz 1, 2 AGG durch legitime Ziele gerechtfertigt sein. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die Altersgruppenbildung bei Massenkündigungen aufgrund einer
Betriebsänderung erfolgt.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres
Arbeitsverhältnisses aufgrund einer von der Beklagten auf betriebliche Gründe gestützten ordentlichen Kündigung und einen vom Kläger erhobenen Anspruch auf Prozessbeschäftigung.
Der 1956 geborene Kläger trat im Jahre 1985 in die Dienste der Beklagten und war zuletzt entsprechend der internen Tarifgruppe 5,0 A zu einer Bruttovergütung von 2.455,00 Euro als Lackierereiarbeiter beschäftigt.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Automobilindustrie und der Automobilzuliefererindustrie. Im September 2006 waren bei ihr noch über 5.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Seit 2004 bestanden erhebliche Auslastungsprobleme. Aus diesem Grunde schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat 2004 und 2005 drei Interessenausgleiche und Sozialpläne, die etwa 1.400 Kündigungen (einschließlich Änderungskündigungen) vorsahen.
Da die Produktion weiter zurückging, verhandelte die Beklagte ab Mitte 2006 mit dem Betriebsrat wiederum über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Für die erste Stufe wurde die Entlassung von 633 Arbeitnehmern, die Bildung einer Transfergesellschaft und eine Absenkung der Arbeitszeit vorgesehen. Zur Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer heißt es in der
Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und
Sozialplan vom 8. September 2006 (im Folgenden: BV) ua.:
„2. Sozialauswahl
a) In Bezug auf die geplanten Beendigungskündigungen ist vorher eine soziale Auswahl zwischen allen vergleichbaren Beschäftigten durchzuführen. Die Sozialauswahl wird innerhalb der jeweils vergleichbaren Beschäftigtengruppen des Betriebes gemäß e) vorgenommen.
Es werden die Auswahlrichtlinien und das Punktesystem gemäß b) angewandt, und zwar unter Berücksichtigung der Altersgruppen gemäß c).
...
b) Für die Sozialauswahl der von Beendigungskündigungen betroffenen Belegschaftsmitglieder werden folgende Auswahlrichtlinien zu Grunde gelegt und mit Punkten zueinander gewichtet (Stichtag 31.07.2006):
...
Kriterien Punkte
1. Lebensalter für jedes vollendete Jahr nach dem 18. Lebensjahr 1,0 Punkte je Jahr
2. Dauer der Betriebszugehörigkeit für jedes Beschäftigungsjahr 1,5 Punkte
3. Unterhaltspflichten Ehegatte/eingetragener Lebenspartner 5,0 Punkte
je Kind (nachweisbar) 7,0 Punkte
4. Schwerbehinderte 11,0 Punkte
oder Gleichgestellte 9,0 Punkte
c) Die Sozialauswahl wird zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nach verschiedenen Altersgruppen durchgeführt. Es werden die folgenden Altersgruppen gebildet (Stichtag 31.07.2006):
bis zum vollendeten 25. Lebensjahr
älter als 25 Jahre bis zum vollendeten 35. Lebensjahr
älter als 35 Jahre bis zum vollendeten 45. Lebensjahr
älter als 45 Jahre bis zum vollendeten 55. Lebensjahr
älter als 55 Jahre
Innerhalb der Kreise der jeweils vergleichbaren Beschäftigten sollen die aufgeführten Altersgruppen - bezogen auf die Altersstruktur des Betriebes - möglichst prozentual gleichmäßig betroffen werden.
Die Betroffenheit der Altersgruppe ab 55 Jahre wird dadurch erreicht, dass aus dieser Altersgruppe im gesamten Unternehmen alle diejenigen Beschäftigten eine Beendigungskündigung erhalten, die beginnend ab dem 01.10.2006 die Möglichkeit haben, nach dem Ablauf von 30 Monaten (12 Monate Transfergesellschaft und 18 Monate Arbeitslosengeldbezug) eine Altersrente (gekürzt oder ungekürzt) zu beziehen. Aus dieser Altersgruppe wird es im Rahmen dieser Maßnahme keine weiteren Kündigungen geben.
Die Durchführung der Sozialauswahl nach den Altersgruppen ist erforderlich zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit, weil ohne Berücksichtigung der Altersgruppen die Altersstruktur erheblich verschlechtert würde (siehe Anlage 4).
...“
Der BV wurde eine Namensliste beigefügt, auf der sich auch der Name des Klägers befindet. Von den gekündigten Arbeitnehmern wechselten etwa 85 vH in die gegründete Transfergesellschaft. Der Kläger machte davon keinen Gebrauch. Er wurde von der Beklagten der Vergleichsgruppe „Bereichsübergreifende Arbeitsplätze mit wechselseitiger Austauschbarkeit innerhalb von 8 Wochen“ zugeordnet. In dieser Vergleichsgruppe waren 180 Mitarbeiter zu kündigen. Der Kläger erhielt 62,5 Punkte gemäß dem Interessenausgleich und wurde entsprechend seinem Alter der Altersgruppe A 4 (älter als 45 Jahre bis zum vollendeten 55. Lebensjahr) zugeordnet.
Da sich im Nachhinein herausstellte, dass Veränderungen der Auftragslage vorlagen, schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat Ende 2006 zwei Ergänzungsvereinbarungen, in denen Regelungen über die Arbeitszeit angepasst wurden.
Neben dem Unternehmen der Beklagten besteht ein der Beklagten verbundenes Unternehmen derselben Branche in R (K KG). Nach der BV bestand die Möglichkeit, dass in der Zeit von Januar 2007 bis Juli 2007 ca. 220 der nicht von Kündigung betroffenen Beschäftigten der Beklagten zur K KG entsandt würden. Das Kontingent wurde jedoch nicht ausgeschöpft.
Nach Anhörung des Betriebsrats, Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und Erstattung einer Massenentlassungsanzeige kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 18. September 2006 zum 30. April 2007 auf.
Der Kläger hält die Kündigung für sozialwidrig. Das Vorliegen betriebsbedingter Gründe hat er bestritten. Er habe in R weiterbeschäftigt werden können. Die betriebliche Lage habe sich nach Abschluss der BV wesentlich gebessert. Die Sozialauswahl entspreche nicht dem Gesetz. Die Bildung von Altersgruppen in der geschehenen Weise verstoße gegen das im AGG und der Richtlinie 2000/78/EG des Rates enthaltene Verbot der Altersdiskriminierung. Die Beklagte habe zur Sozialauswahl widersprüchliche Angaben gemacht und nicht nachgewiesen, dass der Kläger als zu kündigender Mitarbeiter namentlich benannt worden sei. Jedenfalls befinde er sich nicht auf der Auswahlliste der Karosseriearbeiter II/III. Selbst wenn der Kläger, was mit Nichtwissen bestritten werde, auf der Auswahlliste als Lackierer III namentlich benannt worden sei, so sei die Beklagte doch ihrer Auskunftspflicht nicht nachgekommen, was zur Unwirksamkeit der Kündigung führe.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. September 2006 aufgelöst worden ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses als Lackierereiarbeiter III zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Kündigung für sozial gerechtfertigt.
Die dringenden betrieblichen Erfordernisse seien nach § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG zu vermuten. Eine Veränderung der Situation sei nachträglich nicht eingetreten. Es hätten sich vorübergehende Schwankungen im Auftragsvolumen ergeben, wie sie bei der Beklagten üblich seien. Entsprechend § 1 Abs. 5 KSchG sei die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen. Eine solche grobe Fehlerhaftigkeit liege weder bei der Bildung von Vergleichs- und Altersgruppen vor noch im Einzelfall der ausgesprochenen Kündigung. Die Altersgruppenbildung widerspreche weder dem AGG noch der Richtlinie 2000/78/EG. Die Notwendigkeit der Bildung von Altersgruppen habe sich ergeben, da die Altersstruktur durch die vorangegangenen Sozialpläne bereits verschlechtert worden sei. Der Altersdurchschnitt sei von Juni 2004 mit 37 Jahren über Februar 2005 mit 41 Jahren über Juli 2005 mit 42 Jahren bis Januar 2006 mit dem Durchschnitt von 43 Jahren insgesamt um sechs Jahre gestiegen. Ohne Bildung von Altersgruppen hätte sich der Altersdurchschnitt um weitere vier Jahre erhöht. Die Erhaltung der Altersstruktur sei im Verhältnis zu den Mitbewerbern erforderlich. Da der Kläger an 25. Stelle von 53 Mitarbeitern seiner Altersgruppe gestanden habe, sei ihm entsprechend den Regelungen der BV jedenfalls zu kündigen gewesen. Abgesehen davon hätte der Kläger auch ohne Bildung von Altersgruppen seinen Arbeitsplatz verloren.
Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Zum Weiterlesen bitte anmelden oder kostenlos und unverbindlich registrieren.