Das Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen
Arbeitgebers stattgegeben, die sich gegen ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts richtet. Mit dem angegriffenen Urteil – dem eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union vorausgegangen war – hatte das Bundesarbeitsgericht den Beschwerdeführer zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt, weil er eine konfessionslose
Bewerberin für eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen habe und eine damit einhergehende Vermutung einer Benachteiligung wegen der Religion nicht gerechtfertigt werden könne und nicht widerlegt worden sei.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz (GG) und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV), weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.
Der Senat führt in seinem Beschluss aus, dass bei dem nach grundrechtlichen Maßstäben vorzunehmenden Ausgleich zwischen den Belangen religiöser Arbeitgeber und der Arbeitnehmer das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union aus dem Vorlageverfahren zu berücksichtigen ist. Dies führt zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens ist hierbei kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend. Der Vorrang des Unionsrechts entfällt vorliegend auch nicht, da das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen Ultra-vires-Akt darstellt. Es bestehen auch im Hinblick auf die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Bereich des Arbeitsrechts keine unüberwindbaren Widersprüche zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht.
Der Senat hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein kirchlicher Arbeitgeber für eine konkret zu besetzende Stelle die Mitgliedschaft in der Kirche verlangen darf und inwieweit die staatlichen Gerichte dies im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht überprüfen können.
I. Der Beschwerdeführer ist ein kirchlicher Arbeitgeber. In einer Ausschreibung für eine Projektstelle gab der Beschwerdeführer unter anderem an: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus.“. Die konfessionslose Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle, ohne sich zu ihrer Religionszugehörigkeit zu äußern. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie erhob daraufhin Klage zum Arbeitsgericht und verlangte vom Beschwerdeführer gemäß
§ 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung, weil sie aus religiösen Gründen benachteiligt worden sei. Nachdem das Arbeitsgericht der Klägerin eine Entschädigung zusprach, wies das Landesarbeitsgericht auf die Berufung des Beschwerdeführers die Klage ab. Ein Anspruch bestehe nicht, weil die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion jedenfalls nach
§ 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt sei.
II. Im Rahmen des von der Klägerin angestrengten Revisionsverfahrens leitete das Bundesarbeitsgericht ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV vor dem Gerichtshof der Europäischen Union ein. Es sei notwendig, die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie) klären zu lassen. Der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung sei ausschlaggebend für die Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG und insbesondere sei zu klären, welche Anforderungen an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gemäß Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie zu stellen seien und ob den staatlichen Gerichten eine umfassende Kontrolle obliege.
III. Mit Urteil vom 17. April 2018 erkannte der Gerichtshof der Europäischen Union – vereinfacht dargestellt –, dass die Ablehnung eines Bewerbers mit der Begründung, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Die Kontrolle der Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie festgelegten Kriterien liefe ins Leere, wenn sie in Zweifelsfällen keiner unabhängigen Stelle wie einem staatlichen Gericht obläge. Bei der Auslegung des Begriffs „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung“ in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie müssten die Gerichte einerseits beachten, dass die Legitimität des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation nicht beurteilt werden dürfe, andererseits, dass das Recht der Arbeitnehmer, wegen der Religion keine Diskriminierung zu erfahren, nicht verletzt werde. Es obliege den nationalen Gerichten zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 1 AGG im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie ausgelegt werden könne oder unangewendet bleiben müsse.
IV. Mit hier angegriffenem Urteil verurteilte das Bundesarbeitsgericht den Beschwerdeführer, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG sei nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar und müsse unangewendet bleiben. Auch § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG könne die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nicht rechtfertigen. Zwar bestehe vorliegend ein direkter Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der ausgeschriebenen Tätigkeit. Auch unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft stelle sich die Kirchenmitgliedschaft nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung jedoch nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts durch die Anwendung der Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union rügt (inzidente Ultra-vires-Rüge). Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht.
I. Beurteilungsmaßstab der Verfassungsbeschwerde sind die Grundrechte des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, durch dieses aber nicht vollständig determiniert ist. Die hier maßgeblichen Normen der Gleichbehandlungsrichtlinie zur Reichweite des religiösen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des religiösen Arbeitsrechts belassen den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung Gestaltungsspielräume und indizieren Grundrechtspluralität. Die Gestaltungsspielräume bestehen innerhalb des Rahmens, den Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union setzt.
II. 1. Der Schutzbereich des religiösen Selbstbestimmungsrechts ist eröffnet, da hier das streitige Einstellungskriterium „Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag“ vom Gewährleistungsumfang des Selbstbestimmungsrechts umfasst ist.
2. Das religiöse Selbstbestimmungsrecht unterliegt der Schranke „des für alle geltenden Gesetzes“. Darunter fallen die hier einschlägigen Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Bei Auslegung und Anwendung dieser Bestimmungen ist das religiöse Selbstbestimmungsrecht mit jenen Rechtsgütern, deren Schutz das einschränkende Gesetz dient, grundsätzlich weiterhin auf der Grundlage einer zweistufigen Prüfung in Ausgleich zu bringen.
a) Die erste Prüfungsstufe knüpft an die für die Eröffnung des Schutzbereichs anzustellende Plausibilitätsprüfung an, die der Klärung der Frage dient, welche Angelegenheit als eine religiöse betrachtet wird und welche Bedeutung ihr nach dem kirchlichen Selbstverständnis für die Verwirklichung des religiösen Ethos zukommt. Auf der zweiten Prüfungsstufe der Schrankenziehung erfolgt eine offene Gesamtabwägung zwischen den Interessen und Belangen der Arbeitnehmer und dem religiösen Selbstbestimmungsrecht.
b) Bei der Durchführung des Ausgleichs zwischen den Belangen des religiösen Arbeitgebers und der Arbeitnehmer ist aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts der durch Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gesetzte Rahmen zu berücksichtigen. Dies lässt sich über eine unionsrechtskonforme Auslegung der einschlägigen nationalen Bestimmungen umsetzen und führt zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung.
aa) Die erste Stufe der Schrankenziehung erfährt insoweit eine Schärfung, als ausgehend vom Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft eine wirksame gerichtliche Kontrolle dahingehend erfolgt, inwieweit sich aus der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung objektiv ein direkter Zusammenhang zwischen der aufgestellten beruflichen Anforderung – hier der Kirchenmitgliedschaft – und der fraglichen Tätigkeit ergibt. Der Religionsgemeinschaft obliegt es, diesen Zusammenhang für die konkret betroffene Tätigkeit im Hinblick auf ihr religiöses Selbstverständnis plausibel darzulegen.
bb) Die auf der zweiten Stufe erfolgende Gesamtabwägung der betroffenen rechtlichen Belange erfährt eine Konturierung dahingehend, dass die in Rede stehende berufliche Anforderung im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit für die Wahrung des religiösen Selbstverständnisses geeignet, erforderlich und angemessen im engeren Sinn, mithin verhältnismäßig sein muss. Dies lässt es weiterhin zu, dem religiösen Selbstverständnis aufgrund seiner Nähe zum vorbehaltlos gewährten Recht auf korporative Religionsfreiheit ein besonderes Gewicht beizumessen. Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen oder außen, desto mehr Gewicht besitzt der von der Kirche in Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts vorgetragene Belang und ein daraus abgeleitetes Erfordernis der Kirchenmitgliedschaft. Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat, desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein. Dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung ist bei der Abwägung durch die Gerichte Rechnung zu tragen.
3. Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens für den mitgliedstaatlichen Gestaltungsspielraum ist kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend. Der Vorrang des Unionsrechts entfällt vorliegend nicht.
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17. April 2018 stellt keinen Ultra-vires-Akt dar. Es liegt weder ein offensichtlicher Verstoß gegen das Prinzip der Einzelermächtigung vor, noch ist erkennbar, dass der Gerichtshof die Kompetenznorm des Art. 19 Abs. 1 AEUV, wonach die Europäische Union im Rahmen der ihr durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten geeignete Vorkehrungen gegen Diskriminierungen aus Gründen unter anderem der Religion oder der Weltanschauung treffen kann, offensichtlich willkürlich ausgelegt hat. Auch führt das Urteil nicht zu einer Rechtslage, die den vom Grundgesetz als unabdingbar vorausgesetzten Grundrechtsstandard im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht unterschreitet.
III. Nach den genannten Maßstäben verletzt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht, weil die bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.
1. Das Bundesarbeitsgericht berücksichtigt nicht hinreichend, dass Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union im Urteil vom 17. April 2018 dem nationalen Recht Spielräume belässt, innerhalb derer die grundrechtlichen Vorgaben des religiösen Selbstbestimmungsrechts gelten. Dies bildet den Ausgangspunkt dafür, dass das Bundesarbeitsgericht dem religiösen Selbstbestimmungsrecht im Rahmen der Abwägung mit dem Recht der Klägerin, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden, nicht das Gewicht beimisst, welches ihm nach der Verfassung zukommt. Das Bundesarbeitsgericht stellt sein eigenes Verständnis einer glaubwürdigen Vertretung des kirchlichen Ethos nach außen an die Stelle des Verständnisses des Beschwerdeführers. Damit, dass dessen Verständnis von vornherein nicht plausibel dargelegt sei, setzt sich das Gericht nicht auseinander.
2. Mangels Berücksichtigung des plausibel – und damit ausreichend – dargelegten christlichen Profils der verfahrensgegenständlichen Stelle überspannt das Bundesarbeitsgericht in der Folge bei der Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG die nach Maßgabe der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Indem das Gericht seine Sicht auf die ausgeschriebene Tätigkeit und deren Zusammenhang mit der Kirchenmitgliedschaft an die Stelle der Sicht des Beschwerdeführers setzt, wird das Interesse des Beschwerdeführers nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gewichtet.
Die vom Bundesarbeitsgericht geäußerten erheblichen Zweifel daran, dass die vom Beschwerdeführer geforderte berufliche Anforderung der Zugehörigkeit zu einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche „wesentlich“ im Sinne von § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist, lassen die gebotene Einbeziehung des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Beschwerdeführers nicht erkennen. Auch soweit das Bundesarbeitsgericht ausführt, dass die vom Beschwerdeführer formulierte berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt ist, trägt es dem religiösen Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend Rechnung. Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer weder eine Gefahr der Beeinträchtigung seines Rechts auf Autonomie noch seines Ethos dargetan habe. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass die Sicht des Beschwerdeführers auf den Inhalt und die Bedeutung der Aufgabe überhaupt in die Prüfung eingeflossen ist.