Die Betriebsversammlung ist ein zentrales Organ der Betriebsverfassung und das wichtigste Forum für die Kommunikation zwischen
Betriebsrat, Belegschaft und
Arbeitgeber. Sie ermöglicht es den
Arbeitnehmern, sich über wesentliche betriebliche Angelegenheiten zu informieren, diese zu diskutieren und so aktiv am Betriebsgeschehen teilzunehmen. Betriebsversammlungen sind nicht mit Sitzungen des Betriebsrats oder mit Informationsveranstaltungen des Arbeitgebers gleichzusetzen. Die rechtlichen Grundlagen für die Durchführung von Betriebsversammlungen finden sich maßgeblich in den §§ 42 bis 46 des
Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG).
Turnus und Zeitpunkt: Die ordentliche Betriebsversammlung
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass der Betriebsrat in jedem Kalendervierteljahr eine regelmäßige Betriebsversammlung einzuberufen hat. Auf dieser Versammlung erstattet der Betriebsrat einen Tätigkeitsbericht, der die Belegschaft über die Arbeit des Gremiums im vergangenen Quartal informiert. Ein wesentlicher Grundsatz ist, dass diese Versammlungen während der
Arbeitszeit stattfinden. Die Teilnahme gilt für die Arbeitnehmer als Arbeitszeit, weshalb der Arbeitgeber verpflichtet ist, das Arbeitsentgelt für die Dauer der Versammlung sowie für zusätzliche Wegezeiten fortzuzahlen. Ferner hat der Arbeitgeber die durch die Versammlung entstehenden Kosten zu tragen, was auch die Erstattung von Fahrtkosten für teilnehmende Arbeitnehmer einschließt (
§ 44 BetrVG).
Mindestens einmal im Kalenderjahr ist auch der Arbeitgeber verpflichtet, im Rahmen einer Betriebsversammlung das Wort an die Belegschaft zu richten. Sein Bericht soll umfassend über das Personal- und Sozialwesen, den Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern, die Integration ausländischer Arbeitnehmer, Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes sowie über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens informieren. Eine Grenze findet diese Berichtspflicht jedoch beim Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen; diese müssen nicht offenbart werden.
Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und aufgrund des Grundsatzes der Nichtöffentlichkeit sind Ton- und Bildaufnahmen während der Betriebsversammlung in der Regel verboten, es sei denn, sämtliche Teilnehmer stimmen ausdrücklich zu.
Es besteht keine Protokollpflicht der Betriebsversammlung. Das Gremium kann aber beschließen, über wesentliche Beschlüsse oder Anträge ein Ergebnisprotokoll zu führen, wobei die Meinungsäußerungen einzelner Teilnehmer nicht protokolliert werden dürfen.
Außerordentliche Betriebsversammlungen und besondere Einberufungsrechte
Neben den regulären Quartalsversammlungen können auch außerordentliche Betriebsversammlungen einberufen werden. Eine solche ist zwingend durchzuführen, wenn der Arbeitgeber oder mindestens ein Viertel der wahlberechtigten Arbeitnehmer dies beim Betriebsrat beantragt. Wird die Versammlung auf Wunsch der Arbeitnehmer einberufen, findet sie grundsätzlich außerhalb der Arbeitszeit statt. Eine Vergütungspflicht für den Arbeitgeber entsteht in diesem Fall nicht. Anders verhält es sich, wenn die außerordentliche Versammlung auf Initiative des Arbeitgebers stattfindet oder im Einvernehmen mit ihm während der Arbeitszeit abgehalten wird; in einem solchen Fall darf das Arbeitsentgelt nicht gekürzt werden.
Ein besonderes Einberufungsrecht steht auch den im Betrieb vertretenen
Gewerkschaften zu. Hat im vorherigen Kalenderhalbjahr weder eine reguläre Betriebs- noch eine Abteilungsversammlung stattgefunden, so muss der Betriebsrat auf Antrag einer Gewerkschaft binnen zwei Wochen eine Versammlung einberufen.
Organisation, Teilnehmerkreis und Ort der Versammlung
Die Organisation und Einladung zur Betriebs- oder Abteilungsversammlung obliegt dem Betriebsrat. Es handelt sich um eine nicht öffentliche Veranstaltung, zu der nur ein bestimmter Personenkreis zugelassen ist. Teilnahmeberechtigt sind alle Arbeitnehmer des Betriebs. Ferner sind der Arbeitgeber sowie beauftragte Vertreter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften unter Mitteilung der Tagesordnung einzuladen. Sowohl der Arbeitgeber als auch die Gewerkschaftsvertreter haben ein Rederecht in der Versammlung.
Die Einladung zur ordentlichen Betriebsversammlung erfolgt durch den Betriebsrat in der Regel mindestens eine Woche zuvor unter Angabe der Tagesordnungspunkte (
§ 42 Abs. 3 BetrVG). Die Tagesordnung wird vom Betriebsrat festgelegt; Anträge auf Ergänzung können von der Belegschaft eingebracht werden.
Die Teilnahmeberechtigten dürfen wegen der Teilnahme an der Versammlung weder benachteiligt noch begünstigt werden (
§ 45 BetrVG).
Neben den gesetzlichen Teilnehmern kann der Betriebsrat externe Gäste oder Sachverständige in die Versammlung einladen. Hierzu ist in der Regel ein Beschluss des Betriebsrats erforderlich – bei Kosten für externe Referenten muss der Arbeitgeber zustimmen (
§ 46 BetrVG).
Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, 12.12.2023 - Az:
7 ABR 23/22) hat zudem klargestellt, dass auch die Gesamtschwerbehindertenvertretung ein Teilnahmerecht an Betriebsversammlungen in Betrieben hat, in denen keine lokale Schwerbehindertenvertretung gewählt ist. Das Gericht begründete dies mit dem sogenannten erstreckten Mandat nach § 180 Abs. 6 Satz 1 SGB IX, wonach die Gesamtschwerbehindertenvertretung die Interessen der schwerbehinderten Menschen in solchen Betrieben vertritt. Dieses Vertretungsrecht schließt die Teilnahme an der Betriebsversammlung ein, um eine ansonsten entstehende Schutzlücke zu schließen. Das Nichtöffentlichkeitsprinzip der Betriebsversammlung steht dem nicht entgegen, da das Gesetz selbst Ausnahmen für die Teilnahme betriebsfremder Personen vorsieht.
Die Frage, welcher Raum für die Versammlung genutzt wird, führt gelegentlich zu Meinungsverschiedenheiten. Das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG Hessen, 12.06.2012 - Az:
16 TaBVGa 149/12) hat hierzu entschieden, dass der Arbeitgeber als Inhaber des Hausrechts über die Nutzung der betrieblichen Räume entscheidet. Stellt der Arbeitgeber einen geeigneten Raum zur Verfügung, muss der Betriebsrat diesen akzeptieren, selbst wenn ein anderer Raum aus Sicht des Betriebsrats möglicherweise besser geeignet wäre.
Teil- und Abteilungsversammlungen bei besonderen betrieblichen Gegebenheiten
In Betrieben, in denen aufgrund der betrieblichen Eigenart nicht alle Arbeitnehmer gleichzeitig an einer Versammlung teilnehmen können, sind Teilversammlungen zulässig (§ 42 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Dies kann beispielsweise in Schichtbetrieben oder bei weiträumig verteilten Betriebsstätten der Fall sein, für die dann sogenannte Abteilungsversammlungen durchgeführt werden können. Die Notwendigkeit für Teilversammlungen muss sich aus organisatorisch-technischen Besonderheiten ergeben; rein wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers genügen nicht als Begründung (vgl. LAG Nürnberg, 01.06.2023 - Az:
2 Ta 49/23).
Ein praxisrelevanter Fall des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (LAG Düsseldorf, 12.12.2024 - Az:
12 TaBV 21/24) verdeutlicht die gebotene Interessenabwägung. In einem Unternehmen für Sicherheitsdienstleistungen an einem Flughafen war streitig, ob Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit die hoheitliche Aufgabe der Gefahrenabwehr unzulässig beeinträchtigen würden. Das Gericht entschied, dass die Versammlungen nicht gänzlich ausgeschlossen sind, der Betriebsrat aber auf die Belange des Arbeitgebers Rücksicht nehmen muss, etwa durch eine Verlegung in passagierarme Zeiten. Das Gericht gestattete die Durchführung von Teilversammlungen unter strengen Auflagen, um Störungen der Fluggastkontrolle zu minimieren und gleichzeitig das Recht der Belegschaft zu wahren. Zu den Bedingungen zählten eine maximale Anzahl und Dauer der Teilversammlungen, eine Begrenzung der Teilnehmerzahl sowie eine frühzeitige Anmeldung bei Arbeitgeber und Betriebsrat.
Inhalte, Meinungsfreiheit und Grenzen
Eine Betriebsversammlung dient dem Austausch und der Diskussion. Die Arbeitnehmer haben das Recht, Anträge an den Betriebsrat zu stellen und zu den verhandelten Themen Stellung zu nehmen. Gefasste Beschlüsse der Belegschaft sind für den Betriebsrat zwar nicht rechtlich bindend, er muss sie aber bei seiner Tätigkeit angemessen berücksichtigen.
Von besonderer Bedeutung ist die Meinungsfreiheit. Arbeitnehmer dürfen in einer Betriebsversammlung auch deutliche Kritik an Entscheidungen des Arbeitgebers üben, ohne eine Kündigung befürchten zu müssen. Eine solche Kritik stellt in der Regel keine Verletzung der
arbeitsvertraglichen Treuepflicht dar, da eine offene Auseinandersetzung geradezu Wesensmerkmal der Betriebsversammlung ist (vgl. ArbG Würzburg, 07.11.2007 - Az:
9 Ca 986/07 S).
Allerdings gibt es auch Grenzen. So darf die Betriebsversammlung nicht für betriebsfremde Zwecke instrumentalisiert werden. Das Arbeitsgericht Kiel (ArbG Kiel, 27.05.2015 - Az:
1 BV 1b/15) urteilte, dass eine Betriebsversammlung den Charakter einer unzulässigen
Arbeitskampfmaßnahme annehmen kann, wenn sie ohne nachvollziehbaren Grund auf einen Termin mit Spitzenarbeitsaufkommen verlegt wird, um auf Veranlassung einer Gewerkschaft den Betriebsablauf bundesweit empfindlich zu stören. In einem solchen Fall der Zweckentfremdung kann der Arbeitgeber sogar berechtigt sein, Maßnahmen zur Abwehr der Folgen ohne Zustimmung des Betriebsrats zu ergreifen.
Auch das Verhalten von Betriebsratsmitgliedern unterliegt rechtlichen Schranken. Verletzt ein Betriebsratsvorsitzender die Persönlichkeitsrechte eines Mitarbeiters, indem er auf einer Betriebsversammlung herabwürdigend aus dessen Bewerbungsunterlagen zitiert, kann dies seinen Ausschluss aus dem Betriebsrat rechtfertigen (vgl. LAG Düsseldorf, 09.01.2013 - Az:
12 TaBV 93/12).
Die Personalversammlung im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst existiert mit der Personalversammlung ein Pendant zur Betriebsversammlung. Der Personalrat ist gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens einmal jährlich eine solche Versammlung einzuberufen, in manchen Regelungen ist auch ein halbjährlicher Turnus vorgesehen. Auch hier dient die Versammlung dem Tätigkeitsbericht des Personalrats und dem Austausch mit den Beschäftigten.
Der rechtliche Rahmen für Personalversammlungen richtet sich nach dem jeweiligen Landespersonalvertretungsgesetz oder dem Bundespersonalvertretungsgesetz.