Ein Eignungsgutachten, das Grundlage für die
Entziehung einer Fahrerlaubnis sein soll, muss nachvollziehbar sein. Die Nachvollziehbarkeit erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen.
Hierzu führte das Gericht aus:
Voraussetzung für den Entzug der Fahrerlaubnis ist, dass sich der Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist (
§ 3 Abs. 1 Satz 1 StVG,
§ 46 Abs. 1 Satz 1 FeV). Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen und Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV).
Die Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung enthält eine Aufstellung häufiger vorkommender Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können (vgl. Vorbemerkung Nr. 1 Satz 1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung), wobei die insoweit vorgenommenen Bewertungen für den Regelfall gelten (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 Satz 1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung).
Nach Ziffer 7.2.1. der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist bei leichten chronischen hirnorganischen Psychosyndromen die Eignung oder bedingte Eignung für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T (Gruppe 1 der Fahrerlaubnisklassen) – der Antragsteller ist nur Inhaber einer Fahrerlaubnis für die Klassen B, BE, AM, L und T – abhängig von Art und Schwere gegeben. Bei schweren chronischen hirnorganischen Psychosyndromen (Ziffer 7.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung) und schwerer Altersdemenz und schweren Persönlichkeitsveränderungen durch pathologische Alterungsprozesse (Ziffer 7.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung) ist die Eignung oder bedingte Eignung für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T demgegenüber nicht gegeben. Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sind nach Anlage 4a zur Fahrerlaubnisverordnung die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27. Januar 2014 in der Fassung vom 28. Oktober 2019.
Unter Berücksichtigung dessen ist das Verwaltungsgericht zu Recht zu der Annahme gelangt, dass das fachärztliche Gutachten vom 25. Januar 2021 sowie die Stellungnahme des Amtsärztliches Dienstes vom 19. März 2021 allein nicht ausreichend sind, um dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Der Antragsteller hat sich erstmalig im Jahre 2019 einer neurologisch-psychiatrischen Eignungsuntersuchung unterzogen. Anlässlich der Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Eignungsgutachtens vom 23. November 2019 wurde u.a. eine ausführliche neuropsychologische Testung durchgeführt, und zwar der Zahlen-Interferenztest (Reaktionsunterdrückung), der TAP I (visuo-motorisches Tempo), der TAP II (Umstellungsvermögen), der Labyrinthtest (visuo-motorische Planung), Wortflüssigkeit (rascher lexikalischen Zugriff) sowie die invertierte Zahlenspanne (Arbeitsgedächtnis).
In den untersuchten Bereichen zeigten sich seinerzeit bei den Untersuchungen keine Auffälligkeiten. In der Zusammenfassung führt der Gutachter aus, der Antragsteller habe sich offensichtlich im Jahre 2017 aufgrund seiner kognitiven Einschränkung in fachärztliche Behandlung begeben, um eine Klarheit diagnostisch zu erzielen. Aus den vorliegenden Berichten aus Heide, Hamburg Eilbeck und aus dem medizinischen Versorgungszentrum der Diako in Schleswig sei jeweils hervorgegangen, dass ein demenzielles Syndrom, am ehesten eine Alzheimer-Demenz vorläge.
Diese Hypothese sei auf den Screeningtest (Minimental-State-Examination) und die Liquoranalytik gestützt worden. Eine ausführliche neuropsychologische Testung sei in diesem Zusammenhang aber nicht durchgeführt worden. Aus dem erhobenen Befund ergebe sich nicht der Befund einer Demenz, sondern lediglich eine leichte kognitive Beeinträchtigung. Die neuropsychologische Testung, die deutlich umfassender durchgeführt worden sei als die vorherigen Testungen, habe einen vollständig unauffälligen, durchschnittlichen Befund an der oberen Grenze ergeben.
Würde ein demenzielles Syndrom vorliegen, hätte der Antragsteller diese Aufgaben nicht in dieser Qualität durchführen können. Da die Entwicklung einer leichten kognitiven Beeinträchtigung nicht sicher zu prognostizieren sei, der Antragsteller sich aber in regelmäßiger Behandlung in der psychiatrischen Institutsambulanz in Heide (Gesprächssprechstunde) befinde, seien im Weiteren halbjährliche fachärztliche Bescheinigungen bezüglich des Gesundheitszustandes der Verkehrsabteilung vorzulegen.
Mit Bescheid vom 10. Dezember 2019 beließ der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Gruppe 1 unter der Auflage, dass er sich in halbjährlichen Abständen in der Institutsambulanz Heide bezüglich seines Gesundheitszustandes (bei festgestellter leichter kognitiver Beeinträchtigung) einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung zu unterziehen habe.
Das vom Antragsteller vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 25. Januar 2021 gelangt zu der Beurteilung, dass der Antragsteller derzeit alleine für nicht in der Lage gehalten werde, seinen PKW zu führen; lediglich unter Aufsicht seiner Partnerin Frau sei er dazu in der Lage. Diese Beurteilung ist nicht nachvollziehbar.
Ein Eignungsgutachten, das Grundlage für die Entziehung einer Fahrerlaubnis sein soll, muss nachvollziehbar (und nachprüfbar) sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen (Nr. 2a Sätze 1 und 2 der Anlage 4a zur Fahrerlaubnisverordnung).
Testpsychologisch ist anlässlich der Erstellung des fachärztlichen Gutachtens vom 25. Januar 2021 – anders als noch bei Erstellung des neurologisch-psychiatrischen Eignungsgutachtens vom 23. November 2019 – lediglich ein Mini-Mental-Status Test nach Folstein durchgeführt worden, bei dem der Antragsteller 19 von 30 Punkten erreichte. Dies entspreche nach dem fachärztlichen Gutachten vom 25. Januar 2021 und der Stellungnahme des Amtsärztlichen Dienstes vom 19. März 2021 noch einer leichten Demenz, die nach Ziffer 7.2.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung in der Regel die Fahreignung nicht ausschließt.
Auch den weiteren Ausführungen im fachärztlichen Gutachten der Westküstenkliniken – Standort Heide – vom 25. Januar 2021 lässt sich nicht entnehmen, aus welchen Gründen die Fahreignung des Antragstellers nicht mehr gegeben sein sollte. In der Zusammenfassung und Beurteilung wird u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller aktuell adäquat und reflektionsfähig erscheine; im Verhalten sei er im Tempo „flott“, nicht verlangsamt und könne in Reaktion und in der Sprache adäquat und korrekt reagieren. Diese Ausführungen deuten gerade nicht auf eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten des Antragstellers hin. Nach der Zusammenfassung und Beurteilung sei der Antragsteller zwar im Bereich des Gedächtnisses stark eingeschränkt.
Ob und inwieweit daraus eine Einschränkung der Fahreignung des Antragstellers resultieren könnte, legt das fachärztliche Gutachten jedoch nicht dar. Unklar ist auch, wie der Gutachter zu der Einschätzung gelangt ist, dass dem Antragsteller das Führen eines Fahrzeugs nur noch in Begleitung seiner Lebensgefährtin möglich sei. Auch wenn der Antragsteller in den Wochen vor der Erstellung des fachärztlichen Gutachtens vom 25. Januar 2021 auf das Führen eines Fahrzeugs ohne Begleitung seiner Lebensgefährtin verzichtet hat, zieht dies nicht ohne weiteres nach sich, dass er hierzu nicht in der Lage wäre.
Auch aus der knappen – lediglich nach einem Aktenstudium gefertigten – Stellungnahme des Amtsärztlichen Dienstes vom 19. März 2021 ergibt sich nicht nachvollziehbar, dass sich der Antragsteller als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat. Insbesondere bei der Einschätzung, dass das Stadium der mittelschweren Demenz bald erreicht sein dürfte, handelt es sich um eine reine Vermutung.