Ein Ministererlass, nach dem bis zum Schuljahresende keine Klassenfahrten mehr durchzuführen sind, berechtigt nicht zum entschädigungslosen Rücktritt, wenn das Verbot von Klassenfahrten auch ohne konkrete Prüfung der Verhältnisse am Zielort gilt. Hierzu muss sich auf die konkrete Unzumutbarkeit der Reise i.S.d.
§ 651h Abs. 3 BGB berufen werden.
Maßgeblich sind die Umstände des jeweiligen Falles, insbesondere die Gefahren, die den
Reisenden bei Durchführung der
Reise drohen. Da je nach Lage des Falles eine erhebliche Beeinträchtigung zu verneinen sein kann, wenn die Teilnahme an der Reise unter Beachtung zumutbarer Vorkehrungen mit keinem unzumutbaren Infektionsrisiko verbunden war, müssen die prägenden Umstände im Einzelnen vorgetragen werden.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin ist
Reiseveranstalterin und nimmt das beklagte Land nach der Stornierung von Klassenfahrten auf Entschädigung in Anspruch.
Die Klägerin hat zur Frage, ob die Reise für die Teilnehmer mit unzumutbaren Risiken verbunden gewesen wäre vorgetragen, die bis zum 14. Juni 2020 geltende weltweite Reisewarnung sei am 14. Juni 2020 aufgehoben und durch länderbezogene Warnungen ersetzt worden. Die Warnung vor Reisen nach Ungarn sei am 15. Juni 2020 aufgehoben worden. Auch das Robert-Koch-Institut habe Ungarn weder am 15. Juni 2020 noch in der Zeit vom 6. bis 10. Juli 2020 als Risikogebiet ausgewiesen. Budapest sei erst wieder am 16. September 2020 als Risikogebiet eingestuft worden. Busverkehr nach Ungarn sei möglich gewesen. Für Mecklenburg-Vorpommern seien Lockerungen seit dem 23. April 2020 erkennbar und die Beherbergung von Gästen seit dem 25. Mai 2020 wieder möglich gewesen. Zur Reisezeit sei die Unterbringung in den Unterkünften in Stralsund und Kühlungsborn ebenso möglich gewesen wie die Durchführung von Busreisen.
Bei allen streitgegenständlichen Reisen sei der Rücktritt jedenfalls voreilig gewesen. Generell seien zur Zeit der Stornierungen Lockerungen absehbar gewesen und am 6. Mai 2020 beschlossen worden. So seien etwa in Deutschland Friseursalons, Gastronomiebetriebe und Schulen wieder geöffnet worden. Auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten einer Klassenfahrt als Teil des Bildungsauftrages der Schulen habe keine Notwendigkeit zur Stornierung der Reisen bestanden. Die Klägerin hat gemeint, das Risiko eines übereilten Rücktrittes liege beim Reisenden.
Zur Höhe der Forderung hat die Klägerin die Auffassung vertreten, sie habe ihren Aufwand transparent berechnet, indem sie alle tatsächlich ersparten Aufwendungen berücksichtigt habe. Eine anderweitige Verwendung von Reiseleistungen sei ihr nicht möglich gewesen. Staatliche Überbrückungshilfen habe sie nur für Reisen erhalten können, welche wegen coronabedingter Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes bzw. innerdeutscher Reiseverbote oder temporärer Grenzschließungen nicht hätten durchgeführt und deshalb storniert worden seien. Da diese Voraussetzungen für die streitgegenständlichen Reisen nicht gegeben seien, habe sie auch keine staatlichen Hilfen erhalten.
Das beklagte Land hat zu der am 12. Mai 2020 stornierten und für die vom 5.-10. Juli 2020 geplante Reise nach Budapest vorgetragen, am 17. März 2020 sei eine weltweite Reisewarnung ergangen, die zunächst bis Ende April, dann bis 3. Mai und schließlich bis auf weiteres, vorerst bis einschließlich 14. Juni und schließlich dann bis zum 31. August 2020 verlängert worden sei. Schon zur Zeit der Stornierung der Reise habe mit einer Verlängerung der Reisewarnung über den 14. Juni 2020 hinaus gerechnet werden müssen. In Ungarn hätten ab dem 28. März 2020 diverse Ausgangsbeschränkungen gegolten, weshalb Personen ihre Wohnungen nur für notwendige Einkäufe und sportliche Betätigung verlassen durften. Touristische Reisen seien nicht erlaubt gewesen. Erst nach dem erklärten Rücktritt von der Reise habe die ungarische Regierung den Staatsangehörigen aus der Europäischen Union wieder unter Auflagen erlaubt, nach Ungarn einzureisen. Für Budapest habe zudem eine Ausgangssperre gegolten, welche erst nach dem 18. Mai 2020 aufgehoben worden sei. Das öffentliche Leben in Ungarn, speziell in Budapest, sei erheblich eingeschränkt gewesen, sodass eine sehr hohe bzw. hinreichende Wahrscheinlichkeit einer gesundheitsgefährdeten Lage zum Zeitpunkt des Rücktritts von der Reise bestanden habe und die beabsichtigte Reise wahrscheinlich nicht bzw. nur unter erheblich beeinträchtigenden Umständen möglich gewesen wäre.
Zu den am 06. April 2020 bzw. am 13. Mai 2020 stornierten Fahrten nach Mecklenburg-Vorpommern (Kühlungsborn und Stralsund), geplant für 6. bis 10. Juli 2020, hat das beklagte Land vorgetragen, zum Zeitpunkt des Rücktritts vom Reisevertrag sei davon auszugehen gewesen, dass touristische Attraktionen und ähnliches geschlossen bleiben würden, sofern überhaupt eine Reise nach Mecklenburg-Vorpommern möglich gewesen wäre. Zur jeweiligen Zeit der Stornierung sei absehbar gewesen, dass die Beschränkungen des öffentlichen Lebens bestehen bleiben und bei Durchführung der Reise ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko bestehen würde, weil aufgrund der hohen Teilnehmerzahl von reisenden Schülern eine Einhaltung der Regeln zur Vermeidung von Infektionen mit dem Covid-19-Virus nicht möglich gewesen wäre. Auch die zur Eindämmung der Pandemie geltende Testpflicht hätte zu einer Beeinträchtigung geführt. In Mecklenburg-Vorpommern seien ab 19. März 2020 keine Touristen mehr geduldet worden, am 21. März 2020 hätten alle Restaurants schließen müssen und ab 22. März 2020 sei ein bundesweites Kontaktverbot in Kraft getreten, das unter anderem Treffen von mehr als zwei Personen in der Öffentlichkeit verboten habe. Erst im Mai 2020 seien von der Bundesregierung Lockerungen der geltenden Coronamaßnahmen beschlossen worden. Die Öffnung von Geschäften, der Betrieb der Gastronomie und Tourismus seien gleichwohl nur unter strengen Auflagen möglich gewesen, am 6. Mai 2020 seien die Kontaktbeschränkungen bis mindestens 5. Juni 2020 verlängert worden. Es sei daher zum jeweiligen Zeitpunkt der erklärten Rücktritte offensichtlich gewesen, dass die Reisen nicht ohne erhebliche Beeinträchtigung im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB durchführbar sein würden. Ferner handele es sich bei den streitgegenständlichen Klassenfahrten nicht um typische touristische Pauschalreisen, sondern um Schulfahrten als Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsarbeit der Schulen. Im Übrigen werde als gerichtsbekannt unterstellt, dass nach den sogenannten Eindämmungsverordnungen der Länder ab dem Beginn der Pandemie Busreisen generell untersagt gewesen seien und Unterricht an Schulen, sofern dieser überhaupt stattfand, bis zum Ende des Schuljahres nur im Distanzunterricht bzw. im Wechsel zwischen Distanz- und Präsenzunterricht stattgefunden habe.
Das beklagte Land hat die Höhe der geltend gemachten Entschädigung bestritten. Die Schadensberechnung der Klägerin sei nicht nachvollziehbar. Konkret hat es in Abrede gestellt, Stornierungskosten in Höhe von 70% entsprächen den Muster-Geschäftsbedingungen für Omnibusvermietungsverträge und zu den Reisen nach Budapest und nach Stralsund vorgebracht, die Klägerin habe den vereinbarten 10%-Teilnehmerausfallschutz falsch berechnet. Der Vertrag über die Reise nach Budapest sei zuletzt über 63 Teilnehmer abgeschlossen worden, weshalb die maßgebliche Berechnungsgrundlage nicht 70, sondern nur 63 Teilnehmer entspräche und die von der Klägerin insoweit erteilte Gutschrift daher 1.770 € betragen müsse. Betreffend die Reise nach Stralsund sei ein Teilnehmerausfallschutz von 754 € zu berücksichtigen. Im Übrigen sei der Klägerin kein Schaden entstanden, weil die Verluste für Unternehmen in der Reisebranche, also auch für die Klägerin durch milliardenschwere Hilfen des Staates abgefedert worden seien.
Gegen das die Klage vollständig abweisende Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt.
Sie beanstandet die Auffassung des Landgerichts, nach dem Wortlaut des im Jahr 2017 neugefassten § 651h BGB und unter Berücksichtigung der Entstehung der Norm sei die von der Klägerin gewünschte konkrete Berechnung der Rücktrittsentschädigung auch ausgeschlossen, wenn - wie im Streitfall - Entschädigungspauschalen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbart wurden. Das Landgericht habe außer Acht gelassen, dass es sich bei der Beklagten als Vertragspartnerin der Klägerin nicht um einen Verbraucher handele. Es habe zudem nicht beachtet, dass § 651h Abs. 1 BGB im Einklang mit
Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 vom 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen (im Folgenden: Pauschalreiserichtlinie) dem Reiseveranstalter zum Ausgleich des Rechts des Reisenden auf jederzeitigen Rücktritt von der Pauschalreise eine angemessene und vertretbare Entschädigung zubillige. Das vom Landgericht angenommene Verbot der Wahl zwischen pauschalierter Entschädigung und konkret berechneter Entschädigung ergebe sich weder aus dem Wortlaut des § 651h BGB noch aus der Entstehungsgeschichte dieser Regelung. Vertragspartner der Klägerin würden entgegen der Auffassung des Landgerichts Halle durch ein Wahlrecht der Klägerin zwischen pauschalierter Entschädigung und konkret berechneter Entschädigung auch nicht nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unangemessen benachteiligt. Ergänzend nimmt die Klägerin Bezug auf ihren Vortrag in erster Instanz.
Das beklagte Land wiederholt seine Ausführungen aus erster Instanz, wonach der Rücktritt von den streitgegenständlichen Reiseverträgen überhaupt keine Entschädigungspflicht ausgelöst habe, weil zur Zeit des Rücktritts davon auszugehen gewesen sei, dass die Reisen nicht oder nur unter erheblichen Einschränkungen möglich gewesen wären. Im Übrigen verteidigt es die angefochtene Entscheidung unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
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