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Annahmeverzug: böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 13 Minuten

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§ 11 Nr. 2 KSchG bestimmt, dass sich der Arbeitnehmer auf das Arbeitsentgelt, das ihm der Arbeitgeber für die Zeit nach der Entlassung schuldet, das anrechnen lassen muss, was er hätte verdienen können, wenn er es nicht böswillig unterlassen hätte, eine ihm zumutbare Arbeit anzunehmen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats unterlässt ein Arbeitnehmer böswillig iSd. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Der Arbeitnehmer darf auch nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird. Böswilligkeit setzt dabei nicht voraus, dass der Arbeitnehmer in der Absicht handelt, den Arbeitgeber zu schädigen. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht allerdings nicht aus.

In § 11 Nr. 2 KSchG wird dem Arbeitnehmer eine Pflicht zur angemessenen Rücksichtnahme auf die Belange des Arbeitgebers auferlegt. Der Arbeitnehmer soll seine Annahmeverzugsansprüche nicht ohne Rücksicht auf den Arbeitgeber durchsetzen können. Maßgebend sind dabei die gesamten Umstände des Einzelfalls. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist damit stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falls vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen.

Bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Böswilligkeit“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu, der vom Revisionsgericht nur beschränkt daraufhin überprüfbar ist, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, bei der Unterordnung des festgestellten Sachverhalts unter diesen Rechtsbegriff Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt worden sind und bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht alle wesentlichen Umstände berücksichtigt wurden oder das Ergebnis in sich widersprüchlich ist.

Nach der Rechtsprechung des Senats, an der trotz der Kritik des Berufungsgerichts festgehalten wird, gelten - zusammengefasst - für die Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes nach § 11 Nr. 2 KSchG die folgenden Grundsätze:

Die anderweitige Arbeit muss zumutbar sein. Dies beurteilt sich insbesondere nach der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit und den sonstigen Arbeitsbedingungen. Inwieweit der Arbeitnehmer eine Verschlechterung hinsichtlich der Art, der Zeit und des Ortes einer anderweitigen Beschäftigung sowie des Verdienstes hinnehmen muss, richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Jedenfalls eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und des Verdienstes - wie etwa eine unter dem Arbeitslosengeld I liegende Nettovergütung - muss der Arbeitnehmer nicht akzeptieren. Auch verbietet es sich, die in § 140 SGB III normierten arbeitsförderungsrechtlichen Anforderungen an eine zumutbare Beschäftigung „eins zu eins“ zu übernehmen, insbesondere können die in § 140 Abs. 3 und 4 SGB III enthaltenen Entgeltgrenzen und zumutbaren Pendelzeiten nicht bei der Auslegung und Anwendung des § 11 Nr. 2 KSchG herangezogen werden.

Meldet sich der Arbeitnehmer nach einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend und geht er deren Vermittlungsangeboten nach, wird ihm regelmäßig keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein. Allerdings kann die Abwägung der Interessen im Einzelfall für ihn - entsprechend seiner sozialversicherungsrechtlichen Pflicht zur eigenverantwortlichen Beschäftigungssuche nach § 2 Abs. 5 Nr. 2 SGB III - auch die Obliegenheit begründen, ein eigenes Angebot abzugeben, wenn sich für ihn eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet. Er muss sich aber nicht ohne weiteres unermüdlich um eine zumutbare Arbeit kümmern. Dabei hat der Arbeitgeber grundsätzlich die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer im zeitlichen Kontext des Kündigungsschutzprozesses geeignete Stellenangebote, zB aus Zeitungsannoncen oder privaten „Jobportalen“ zu übermitteln, um ihn aktiv zur Prüfung anderweitiger Beschäftigungsoptionen zu veranlassen.

Macht der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch, müssen die übermittelten Stellenanzeigen alle erforderlichen Angaben enthalten, die dem Arbeitnehmer die Prüfung erlauben, ob die vom Arbeitgeber aufgezeigte anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit eine für ihn geeignete und zumutbare Arbeit ist. Dazu gehören in der Regel insbesondere Angaben zu Art und Inhalt der Tätigkeit, zum Arbeitsort und den Verdienstmöglichkeiten. Das mag im Einzelfall für den Arbeitgeber mühsam sein, doch darf bei der Billigkeitsregelung des § 11 Nr. 2 KSchG nicht aus dem Blick gelassen werden, dass es der Arbeitgeber war, der mit dem Ausspruch der unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat und der gekündigte Arbeitnehmer nicht verpflichtet ist, das aus der unwirksamen Kündigung resultierende finanzielle Risiko des Arbeitgebers so gering wie irgend möglich zu halten.

Die Darlegungs- und Beweislast für die Einwendung nach § 11 Nr. 2 KSchG trägt grundsätzlich der Arbeitgeber. Er hat im ersten Schritt konkret darzulegen, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden, sei es aufgrund von Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit, sei es aufgrund vom Arbeitgeber übermittelter Stellenangebote. Den Arbeitnehmer trifft insoweit unter Berücksichtigung der aus § 138 Abs. 1 und 2 ZPO folgenden Pflicht, sich zu den vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären, eine sekundäre Darlegungslast. Aufgrund derer muss er sich im Prozess zu den ihm von der Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschlägen und seinen hierauf folgenden Bemühungen näher erklären sowie darlegen, wie er sich mit vom Arbeitgeber überlassenen Stellenangeboten auseinandergesetzt und was er unternommen hat. Die Feststellungslast hinsichtlich der Frage, ob die Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit und ggf. sonstige Stellenangebote „zumutbare“ und im Fall einer Bewerbung verwirklichbare Erwerbschancen dargestellt haben, bleibt jedoch beim Arbeitgeber.

Kommt der Arbeitnehmer der in § 38 Abs. 1 SGB III geregelten Meldepflicht nach, veranlasst aber durch sein Verhalten zugleich, dass ihm die Agentur für Arbeit tatsächlich keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet, kann abweichend von obigen Grundsätzen in Anlehnung an den Rechtsgedanken der Bedingungsvereitelung (§ 162 Abs. 1 BGB) eine interessengerechte Abstufung der Darlegungs- und Beweislast erforderlich sein. Auch in einem solchen Fall ist indes schlüssiger Vortrag des Arbeitgebers zu konkreten und zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeiten erforderlich. Nur wenn er solchen im Annahmeverzugsprozess leistet, trägt der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre.

Dasselbe gilt, wenn feststeht, dass vom Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer zeitnah übermittelte Stellenangebote Dritter geeignete und zumutbare Arbeit beinhaltet haben, der Arbeitnehmer aber untätig geblieben ist und sich nicht - im zumutbaren Rahmen - auf derartige Stellen beworben hat. Denn allein der Arbeitnehmer hat es in der Hand, mit einer Bewerbung Klarheit darüber zu schaffen, ob ein Dritter ihm eine geeignete und zumutbare Arbeit angeboten und damit eine alternative Erwerbsmöglichkeit eröffnet hätte. Durch die unterlassene Bewerbung auf zumutbare Stellenangebote vereitelt der Arbeitnehmer somit den objektiven Nachweis darüber, ob und ab wann er von einem Dritten beschäftigt worden wäre. Dies rechtfertigt es, ihm im Weiteren die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, dass und aus welchen Gründen eine Bewerbung erfolglos geblieben wäre. Trägt er dazu nichts Substantiiertes vor, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, eine Bewerbung des gekündigten Arbeitnehmers auf eine ihm zumutbare Stelle bei einem Dritten hätte zur Erzielung von Zwischenverdienst iSd. § 11 Nr. 2 KSchG geführt, als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO).

Anders ist es allerdings, wenn sich der Arbeitgeber (auch) auf zumutbare Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Vermittlung durch die Agentur für Arbeit berufen will, den Arbeitnehmer aber nicht zeitnah im Kontext des Kündigungsschutzprozesses auf anderweitige freie Stellen hingewiesen hat. Dann muss er im Prozess auf Annahmeverzugsvergütung nicht nur konkrete Stellen benennen, die unter Berücksichtigung der Verdienstmöglichkeiten eine zumutbare Tätigkeitsmöglichkeit dargestellt hätten. Er trägt vielmehr auch die Darlegungs- und Beweislast für den Erfolg etwaiger Bewerbungen, weil der Arbeitnehmer keine Kenntnis von den vom Arbeitgeber als zumutbar angesehenen anderweitigen Stellen hatte und sich darauf nicht bewerben konnte.


BAG, 15.01.2025 - Az: 5 AZR 273/24

ECLI:DE:BAG:2025:150125.U.5AZR273.24.0

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