Nicht jede Kündigung ist zulässig. ➠ Lassen Sie sich beraten.Wird der
Arbeitnehmer ohne den ausreichenden Versuch eines
Interessenausgleichs oder nach § 2 Abs. 2 TV Pakt ohne den Abschluss eines Sozialtarifvertrages entlassen, ist der
Arbeitgeber (Air Berlin) auf Antrag des Arbeitnehmers nach § 83 Abs. 3 iVm. Abs. 1 TVPV zur Zahlung einer
Abfindung zu verurteilen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz tatsächlich verliert, was hier unstreitig ist.
Hinsichtlich der Höhe der Abfindung verweist § 83 Abs. 1 Halbsatz 2 TVPV auf § 10 KSchG. Dieser sieht je nach Lebensalter und Beschäftigungsdauer einen Rahmen von bis zu 12, 15 oder 18 Monatsverdiensten vor. Auch bei Entlassungen im Rahmen einer Insolvenz gelten diese Grenzen. Innerhalb dieses Rahmens hat die Bemessung der Abfindungshöhe unter Berücksichtigung des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit zu erfolgen. Bei der Ermessensentscheidung sind die Arbeitsmarktchancen und das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens zu würdigen. Der Sanktionscharakter der Abfindung führt dazu, dass der Abfindungsanspruch nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit oder individuellen Leistungsbereitschaft des Arbeitgebers abhängt. Das gilt auch in der Insolvenz.
Die Bemessung der Abfindung im Rahmen des Nachteilsausgleichs steht grundsätzlich im Beurteilungsspielraum des Berufungsgerichts. Es erscheint sachgerecht, in Anlehnung an die Regelung in § 1a Abs. 2 KSchG die Abfindung mit 0,5 Monatsverdiensten für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses festzusetzen und für jeden weiteren vollen Kalendermonat um 1/12 dieser Summe zu erhöhen. Die in § 1a Abs. 2 KSchG festgelegte Höhe des gesetzlichen Abfindungsanspruchs nach § 1a Abs. 1 KSchG kann wegen der hierin ausgedrückten gesetzgeberischen Wertung als Berechnungsgrundlage beim Nachteilsausgleich herangezogen werden. Auch das BAG ist in der Vergangenheit von einem Regelwert von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr ausgegangen (BAG, 07.11.2017 - Az:
1 AZR 186/16).
Eine
Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt.
Mit der Einstellung des Flugbetriebs am 27. Oktober 2017 waren noch keine unumkehrbaren Tatsachen zur Auflösung der betrieblichen Organisation geschaffen. Da die Air Berlin ohnehin nur Flugzeuge im Leasing eingesetzt hat, wäre es grundsätzlich möglich gewesen, erneut Flugzeuge im Leasing zu erwerben. Auch war nicht ersichtlich, dass die flugrechtlichen Erlaubnisse auf keinen Fall mehr zu bekommen gewesen wären. Am 27. Oktober 2017 waren auch Piloten und Bodenpersonal noch im Arbeitsverhältnis mit der Air Berlin. Mit der Entlassung von Bodenpersonal und Piloten wäre die Fortführung des eigenwirtschaftlichen Betriebes kaum noch möglich gewesen. Es wäre aber grundsätzlich möglich gewesen, beispielsweise mit einem geänderten Betriebszweck allein mit dem Kabinenpersonal den Betrieb fortzuführen, indem dieses anderen Fluggesellschaften zum Einsatz in deren Flugzeugen angeboten worden wäre. Insofern ist erst mit der Entlassung des Kabinenpersonals am 27. Januar 2018 bezogen auf das Kabinenpersonal der Betriebszweck endgültig aufgegeben worden.
Die Nachteilsausgleichsansprüche sind grundsätzlich in Form der Leistungsklage, also auf Zahlung der entsprechenden Summe, zu erheben. Wenn nach der erstmaligen Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Neumassegläubiger voll zu befriedigen und der Insolvenzverwalter deshalb wie hier am 30. April 2019 eine Neumasseunzulänglichkeit entsprechend § 208 InsO angezeigt hat und ein entsprechendes Vollstreckungsverbot im Sinne des § 210 InsO eintritt, ist nur noch die Feststellung des Anspruchs auf Nachteilsausgleich nach § 83 TVPV auszusprechen. Es handelt sich um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO.