Nicht jede Kündigung ist zulässig. ➠ Lassen Sie sich beraten.Der
Arbeitgeber durfte es in der pandemischen Lage des Frühjahrs 2021 untersagen, testwillige Kolleginnen und Kollegen gezielt von einem Corona-Schnelltest abzuhalten. Die Weisung, „gegenüber jeglichen Kollegen während der Dienstzeit jegliche Äußerungen zu unterlassen, die kundtun, dass Sars-Covid-19 keine ernstzunehmende Erkrankung darstellt...“, ist aber unwirksam. Eine auf diese Weisung gestützte
Abmahnung ist unwirksam.
Der Aushang eines DIN-A4-Blattes am Arbeitsplatz, auf dem sich ein
Arbeitnehmer in überzogener Weise kritisch über Beanstandungen durch seine Vorgesetzten äußert, ohne in Formalbeleidigung oder Schmähkritik zu verfallen, unterliegt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Im vorliegenden Fall geht die Pflicht zur Rücksichtnahme auf berechtigte betriebliche Interessen (§ 241 Abs. 2 BGB) gemäß Art. 5 Abs. 2 GG der Meinungsäußerungsfreiheit vor. Vor Ausspruch einer
Kündigung bedurfte es indessen einer
Abmahnung.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von zwei Abmahnungen.
Der am 01.07.1969 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.03.2013 bei dem beklagten Land NRW in der Post- und Botenstelle des Finanzamtes Oberhausen Nord beschäftigt. Die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetztes finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Für diese Behörde ist ein Personalrat gewählt worden. Ferner verfügt die Dienststelle über eine Gleichstellungsbeauftragte.
Am 19.04.2021 erhielt der Kläger von der Dienststellenleitung - nach telefonischer und schriftlicher Anhörung des Personalrats - zwei Abmahnungen. Beide Abmahnungen bezogen sich auf einen Vorfall am Mittwoch, den 14.04.2021, gegen 7:00 Uhr in der Post- und Botenstelle des Amtes. Die erste Abmahnung betraf die Missachtung von dienstlichen Weisungen. Der Kläger äußerte gegenüber seiner Kollegin, Frau H.-C., seinen Unwillen darüber, dass diese am 15.04.2021 erstmals an einem Bürgertest und Schnelltest im Hinblick auf eine Infektion mit COVID 19 teilnehmen wolle. Er befürchtete, bei einer eventuellen Quarantäne der Kollegin ebenfalls in Quarantäne geschickt zu werden. Die Abmahnung beanstandete, dass der Kläger mit seinen Äußerungen gegen die ausdrückliche dienstliche Weisung der stellvertretenden Geschäftsleiterin vom Vortage verstoßen habe, jegliche Beeinflussung von Kollegen zu unterlassen, die sich zu einem Schnelltest angemeldet hätten.
Die zweite Abmahnung vom 19.04.2021 betraf eine Störung des betrieblichen Friedens in der Dienststelle ebenfalls vom 14.04.2021 gegen 7.00 Uhr. Auf die Nachfrage seines schwerbehinderten, herzkranken Kollegen, der Risikopatient ist, ob der Kläger auch mit einer Corona-Infektion arbeiten kommen würde, äußerte dieser, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Die Abmahnung beanstandete, der Kläger habe damit angekündigt, auch mit einer Corona-Erkrankung zum Dienst zu erscheinen.
Am Nachmittag des 19.04.2021 fanden Arbeitskollegen an der (Corona-)Plexiglasabtrennung der klägerischen Arbeitsplatzes zum benachbarten Arbeitsplatz, auf der verschiedene Aushänge angebracht waren, ein gut sichtbares DIN-A4-Blatt vor. Darauf war in der oberen Hälfte mittig das ausgeschnittene und etwa bierdeckelgroße Bild eines an einem Galgen hängenden Strichmännchens (iF: Galgenmännchen) mit Kreuzen als Augen auf schwarzem Grund angebracht. Darüber war groß mit Edding-Stift geschrieben: „TOD DURCH ABMAHNUNG“. Rechts daneben stand: „KOLLEGE KURDE“ mit einem schwarzen Pfeil darunter, der auf das Galgenmännchen links davon wies. In der unteren Hälfte des Blattes befanden sich links zwei weitere, wesentlich kleinere Galgenmännchenbilder. Rechts neben dem oberen der beiden stand handschriftlich: „Mündliche Drohung mit Abmahnung: Herr F. (2018)“. Rechts neben dem unteren stand: „Mündliche Drohung mit Abmahnung: Frau N. (2020)“. Darunter war in großer Schrift mit Edding geschrieben: „19.4. LETS ROLL!“.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger die Ergänzung „19.4. LETS ROLL!“ nach Erhalt der Abmahnungen dort angebracht hat. Bei Herrn F. handelt es sich um den ehemaligen Dienststellenleiter des Finanzamtes. Frau N. ist die Ständige Vertreterin der Dienststellenleitung und somit Vorgesetzte bei Abwesenheit der Dienststellenleitung.
Das beklagte Land hörte die Personalvertretung zu einer fristlosen, außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 26.04.2021 unter Beifügung des Entwurfs eines achtseitigen Kündigungsschreibens an und bat zugleich hilfsweise um Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Die Personalvertretung gab zur außerordentlichen Kündigung keine Stellungnahme ab und stimmte der hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30.09.2021 am 28.04.2021 zu. Die Gleichstellungsbeauftragte hat mit Schreiben vom 27.04.2021 Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Sie gab zur außerordentlichen Kündigung keine Stellungnahme ab und stimmte der ordentliche Kündigung zu.
Daraufhin kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 26.04.2021, dem Kläger zugestellt am 30.04.2021, außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich zum 30.09.2021.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 10.05.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Er hat gemeint, die Kündigung sei weder fristlos noch fristgemäß gerechtfertigt. Das streitgegenständliche Papier habe schon seit August 2020 in seinem Büro gehangen. Er habe am 19.04.2021 nur handschriftlich den Zusatz „19.4. LETS ROLL!“ hinzugefügt. Dies bedeute im Fliegerjargon, dass man sich zur Wehr setze. Das Schild sei als Satirezeichnung gemeint gewesen. Eine andere Reaktionsmöglichkeit auf die übergebenen Abmahnungen habe er nicht gehabt. Nach Erhalt der Abmahnungen sei er arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Hinsichtlich der Abmahnung „Dienstliche Weisung“ vom 19.04.2021 habe er Frau H.-C. nur gebeten, die Bürotür geschlossen zu halten. Bezüglich der Abmahnung zum Thema „Betriebsfrieden“ habe er generell erklärt, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Dies sei nicht als Provokation gemeint gewesen.
Hierzu führte das Gericht aus:
Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 mangels vorausgegangener einschlägiger Abmahnung weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst. Die Abmahnungen vom 19.04.2021 sind rechtswidrig und daher aus der
Personalakte des Klägers zu entfernen.
Zum Weiterlesen bitte anmelden oder kostenlos und unverbindlich registrieren.