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Wenn der Arbeitgeber an der Arbeitsunfähigkeit zweifelt ...

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 9 Minuten

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Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, so muss dies dem Arbeitgeber und der Krankenkasse mittels ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen werden. In diesem Fall können Ansprüche auf Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz, Krankengeld aus der Krankenversicherung, Übergangsgeld, Verletztengeld oder Versorgungskrankengeld bestehen.

Manchmal zweifelt der Arbeitgeber jedoch an, dass der Betroffene tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt ist. Dies kann bei auffällig häufigen Kurzerkrankungen, bei Erkrankungen kurz vor oder nach dem Wochenende, Dauerbescheinigungen, rückwirkende Bescheinigungen aber auch dann der Fall sein, wenn der die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellende Arzt durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen auffällig geworden ist.

Manchmal ist es sogar noch viel banaler, weil der Arbeitnehmer durch eigenes Verhalten Zweifel sät (z.B. durch Social-Media Postings bei der Freizeitbetätigung oder anderweitiger Arbeit).

Wie beweist der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit?

Grundsätzlich gilt bei einer Arbeitsunfähigkeit, dass der Arbeitnehmer hierfür darlegungs- und beweispflichtig ist.

Grundsätzlich kommt einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu, sodass im Normalfall hierdurch der erforderliche Beweis erbracht ist (vgl. BAG, 08.09.2021 - Az: 5 AZR 149/21). Sofern eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ausgestellt wurde, entfällt die Vorlagepflicht des Arbeitnehmers und er muss sich lediglich unter Bekanntgabe der voraussichtlichen Dauer unverzüglich beim Arbeitgeber arbeitsunfähig melden.

Wie kann der Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entkräften?

Zur Entkräftung der mitgeteilten Arbeitsunfähigkeit muss der Arbeitgeber nicht den Gegenbeweis führen. Es reicht, wenn er den Beweiswert erschüttert.

Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt.

Die den Beweiswert erschütternden Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben.

Gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen (vgl. LAG Schleswig-Holstein, 02.05.2023 - Az: 2 Sa 203/22).

Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann grundsätzlich auch dadurch erschüttert werden, dass der Arbeitnehmer sich im Falle des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend - „postwendend“ - krank meldet bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreicht. Das gilt insbesondere dann, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist - auch durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen - abgedeckt wird (vgl. LAG Niedersachsen, 08.03.2023 - Az: 8 Sa 859/22; BAG, 08.09.2021 - Az: 5 AZR 149/21).

Meldet sich zunächst der Arbeitnehmer krank und erhält er erst sodann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung notwendigen Kausalzusammenhang.

Kann der Arbeitnehmer trotz Beweiserschütterung seine Arbeitsunfähigkeit beweisen?

Nachdem dem Arbeitgeber die Beweiserschütterung gelungen ist, ist es nun wieder Sache des Arbeitnehmers seine Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nun keine Bedeutung mehr hat, muss der Arbeitnehmer andere Tatsachen oder Beweise vorlegen, die den Schluss auf eine Arbeitsunfähigkeit zulassen. Dies erfordert einen substantiierten Vortrag zu vorliegenden Erkrankungen und gesundheitlichen Einschränkungen und den konkreten Auswirkungen. Wird sich auf Verhaltensmaßregeln der behandelnden Ärzte bezogen, so sind diese von der Schweigepflicht zu entbinden, damit diesen Angaben ein Beweiswert zukommt (vgl. BAG, 08.09.2021 - Az: 5 AZR 149/21).

Kann der medizinische Dienst hinzugezogen werden?

Handelt es sich um einen gesetzlich versicherten Arbeitnehmer, kann der Arbeitgeber verlangen, dass die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme durch den medizinischen Dienst zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Hierzu muss der Arbeitgeber keine nähere Begründung abgeben, diese ist jedoch ratsam - der Anspruch ergibt sich aus § 275 Abs. 1a S. 3 SGB V.

Sofern sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit bereits eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Untersuchungen ergeben, kann diese von der Beauftragung des medizinischen Dienstes absehen.

Die Prüfung durch die Krankenkasse muss unverzüglich nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit erfolgen.

Der Medizinische Dienst teilt das Ergebnis seiner Begutachtung der Krankenkasse und dem behandelnden Arzt mit. Besteht (noch) ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, erhält der Arbeitgeber durch die Krankenkasse eine Information über das Ergebnis der Begutachtung, sofern vom Ergebnis des behandelnden Arztes abgewichen wird.

Bei privat versicherten Arbeitnehmern ist dieser Weg nicht möglich. Auch die Einschaltung des Betriebsarztes ist nicht zulässig, die Prüfung einer Krankmeldung gehört nicht zu den Aufgaben des Betriebsarztes.

Kann der Arbeitnehmer zur Überführung überwacht werden?

So manch ein Arbeitgeber hat versucht, dem Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit nachzuweisen, indem Nachforschungen angestrebt wurden. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten, da die Privatsphäre des Arbeitnehmers zu achten ist.

Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig, wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht (BAG, 19.02.2015 - Az: 8 AZR 1007/13).

Eine vom Arbeitgeber veranlasste verdeckte Überwachungsmaßnahme zur Aufdeckung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers kann jedoch nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein (BAG, 29.06.2017 - Az: 2 AZR 597/16).

In diesem Zusammenhang gilt übrigens, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die durch die Beauftragung eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen hat, wenn die Beauftragung aufgrund eines konkreten Tatverdachts geschieht und der Arbeitnehmer entweder einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt wird oder zumindest der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht (BAG, 26.09.2013 - Az: 8 AZR 1026/12). Eine Ersatzpflicht scheidet jedoch zum Beispiel dann aus, wenn sich die Überwachung auf einen Zeitraum erstreckte, für den der Arbeitnehmer keine Ansprüche geltend gemacht hat (LAG Hamm, 20.07.2011 - Az: 4 Sa 322/11).
Stand: 01.11.2023 (aktualisiert am: 20.05.2025)
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