Der gegenüber dem Beklagten geltend gemachte Anspruch auf Rückerstattung der für den ursprünglich vereinbarten Gastschulaufenthalt in Höhe von 1.980,00 Euro geleisteten Anzahlung steht den Klägern nebst Nebenforderungen weder gem. §§ 346 Abs. 1, Abs. 2,
651u Abs. 1, Abs. 3,
651h Abs. 1 BGB noch aus einer anderen Anspruchsgrundlage zu.
Die Kammer teilt die Würdigung des Amtsgerichts, dass zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger Ende März 2020 nicht hinreichend absehbar war, dass wegen der Covid-19-Pandemie der für die Zeit ab Ende August 2020 geplante Gastschulaufenthalt ihres Sohnes in A (B) wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände nur unter erheblichen Beeinträchtigungen werde stattfinden können, § 651h Abs. 3 BGB. Auch ein Ausschluss der von der Beklagten einbehaltenen Entschädigung nach § 651u Abs. 3 BGB kommt in der gegebenen Konstellation nach dem Verständnis der Kammer nicht in Betracht. Ferner war der Vortrag des Beklagten auch ausreichend dafür, die gem. § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB einbehaltene Entschädigung als angemessen zu begründen.
Im Einzelnen:
Ausgehend von dem Vortrag der Parteien und den Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil lagen die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB zum maßgeblichen Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vom 30.03.2020 nach der Auffassung der Kammer (jedenfalls noch) nicht vor.
Dabei gilt gem. § 651h Abs. 3 S. 1 BGB, dass der
Reiseveranstalter dann keine
Entschädigung verlangen kann, wenn am Zielort oder in der unmittelbaren Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt hätten. Umstände sind in diesem Sinne unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Umfasst sind Risiken, die die persönliche Sicherheit des Reisenden betreffen. Diese können sich aus Katastrophen wie der
Coronavirus-Pandemie ergeben. Dabei genügt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Gefahr, eine gewisse Wahrscheinlichkeit kann auch ausreichend sein. Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit bedarf es hingegen nicht. Ein starkes Indiz für eine hinreichende Gefahrenlage ist eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Hoheitliche Eingriffe können als solche schon unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände sein und stellen dann ein weiteres Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung der geplanten Reiseleistungen dar. Auch die Berichterstattung in den Medien über Äußerungen von Regierungsverantwortlichen und Wissenschaftlern zur Infektionslage in den Zielländern ist für den Reisenden ein zulässiger Gesichtspunkt bei der Entscheidung über den Rücktritt. In Bezug auf die Corona-Krise verbietet sich jede schematische Betrachtung, maßgeblich sind vielmehr die Geschehnisse des konkreten Einzelfalles. Da die Beurteilung eine Prognoseentscheidung aus Sicht des Reisenden ist, hat die Beurteilung in einer ex-ante-Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu erfolgen. Da der Reisende seinen Entschluss zum Rücktritt nur unter den ihm in diesem Moment zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten fassen kann, kann es für die Wirksamkeit seiner Erklärung nach überwiegender Auffassung dabei nicht entscheidend sein, wie sich die Situation im Nachhinein tatsächlich entwickelt. Ergänzend dazu muss nach Auffassung der Kammer bei einem Gastschulaufenthalt - wie auch klägerseits angeführt - berücksichtigt werden, dass dieser nur dann sinnvoll und ohne erhebliche Einschränkungen durchgeführt werden kann, wenn der Besuch der Schule im Gastland und auch der beabsichtigte soziale Austausch ohne relevante gesundheitliche Risiken in jedenfalls eingeschränkter Form ermöglicht werden kann. Das wäre etwa dann problematisch, wenn im Gastland länger andauernde Schulschließungen und Kontaktbeschränkungen zu befürchten wären, wobei es wegen des besonderen Zwecks des Gastschulaufenthaltes insoweit auch nicht nur auf einen Vergleich der Pandemiesituation mit der Heimatregion ankommen kann.
Gemessen daran geht die Kammer im hier zu bewertenden Einzelfall - ausgehend von den Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil und unter Berücksichtigung insbesondere der zum Zeitpunkt der Kündigung nur befristeten Reisewarnung sowie des damals bis zum 30.06.2020 befristeten Einreiseverbotes - nicht davon aus, dass zum Kündigungszeitpunkt Ende März 2020 schon eine hinreichende Prognose zu erheblichen Beeinträchtigungen des für die Zeit ab Ende August 2020 geplanten Gastschulaufenthaltes mit der nötigen Wahrscheinlichkeit getroffen werden konnte. Ausgehend von der zum damaligen Zeitpunkt für die Zeit ab Ende August 2020 für A (B) noch unklaren Informationslage zu der weiteren Entwicklung der Coronavirus-Pandemie und der wegen dieser am geplanten Aufenthaltsort zu erwartenden Einschränkungen und Risiken, wäre vor einem Rücktritt hier zunächst noch weiter abzuwarten gewesen, wie sich die Lage - auch im Hinblick auf eine Verlängerung der behördlichen Warnungen und hoheitlichen Maßnahmen für den geplanten Aufenthaltszeitraum - weiter entwickelt. Wie sich die Situation am beabsichtigten Aufenthaltsort dann ab Ende August 2020 tatsächlich darstellte, ist für die gebotene ex-ante-Betrachtung nach Auffassung der Kammer ohne entscheidende Bedeutung. Maßgeblich ist, dass zum Zeitpunkt des Rücktrittes eine Prognose zu unvermeidbaren, den geplanten Gastschulaufenthalt erheblich beeinträchtigenden Umständen ausgehend von dem klägerischen Vortrag mit der nötigen Wahrscheinlichkeit (noch) nicht möglich war.
Soweit die Kläger sich darauf berufen, dass die auf § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 3 BGB gestützte Entschädigung des Beklagten bereits deshalb gem. § 651u Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei, weil dieser ihren Sohn nicht angemessen auf den Aufenthalt vorbereitet und insbesondere entgegen § 651u Abs. 3 Nr. 1 BGB noch nicht den Namen und die Anschrift der für den Gastschüler nach Ankunft bestimmten Gastfamilie mitgeteilt habe, legen sie ihrer Argumentation eine zu enge Auslegung der Norm zu Grunde.
§ 651u Abs. 3 BGB enthält die Regelung, dass im Falle des Rücktritts des Reisenden vor Reisebeginn § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 nur Anwendung findet, wenn der Reiseveranstalter den Reisenden auf den Aufenthalt angemessen vorbereitet und spätestens zwei Wochen vor Antritt der Reise jedenfalls über Folgendes informiert hat: (1.) Name und Anschrift der für den Gastschüler nach Ankunft bestimmten Gastfamilie und (2.) Name und Erreichbarkeit eines Ansprechpartners im Aufnahmeland, bei dem auch Abhilfe verlangt werden kann. Ausgehend von diesem Wortlaut ist den Klägern zunächst zuzugeben, dass § 651u Abs. 3 BGB die Anwendung der in § 651h Abs. 1 S. 3 BGB geregelten Entschädigung des Reiseveranstalters tatsächlich nur dann zulässt, wenn der Reiseveranstalter den Reisenden rechtzeitig gem. den Nummern 1 und 2 informiert hat. Nach dem Verständnis der Kammer kann daraus dann aber bei einem mehrere Monate vor Reiseantritt erklärten Rücktritt nicht abgeleitet werden, dass eine Entschädigung vom Reiseveranstalter nur gefordert werden kann, wenn zu diesem Zeitpunkt auch Name und Anschrift der Gastfamilie bereits mitgeteilt worden sind. Denn ein solches Normverständnis ließe außer Acht, dass diese Obliegenheit bereits nach dem Wortlaut der Norm („spätestens zwei Wochen“) zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht zu erfüllen gewesen wäre. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum einem Reiseveranstalter ausschließlich nach Mitteilung der in § 651 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BGB genannten Informationen ein Anspruch auf Entschädigung zustehen soll, obwohl bereits bis dahin weitere Vorbereitungsleistungen typischerweise erbracht worden sind und eine Mitteilung von Name und Anschrift der Gastfamilie auch nach dem Gesetz erst spätestens zwei Wochen vor Antritt der Reise erfolgen muss. § 651u Abs. 3 BGB kann danach nur dann Anwendung finden, wenn eine angemessene Vorbereitung des Reisenden zum Zeitpunkt des Rücktritts noch nicht stattgefunden hat, was naheliegend insbesondere dann der Fall ist, wenn der Reiseveranstalter den Reisenden bis zwei Wochen vor Reisebeginn über Gastfamilie und Ansprechpartner nicht informiert hat. Ob diese konkrete Obliegenheit tatsächlich verletzt wurde, kann indes erst dann beurteilt werden, wenn auch der Rücktritt in den zwei Wochen vor geplantem Reiseantritt erklärt wird. Für den Zeitraum davor kann hingegen nur die daneben geforderte „angemessene [V]orbereit[ung]“ maßgeblich sein.
Die klägerseits angeführte Nennung von Name und Anschrift der Gastfamilie konnte demnach zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung noch nicht gefordert werden, sodass insoweit auch eine den Entschädigungsanspruch ausschließende Obliegenheitsverletzung nicht in Betracht kommt. Bedenken gegen eine im Übrigen zum Rücktrittszeitpunkt angemessen erfolgte Vorbereitung im Sinne des § 651u Abs. 3 Hs. 1 BGB bestehen angesichts der im erstinstanzlichen Urteil - u.a. zu der bereits erfolgten und den Klägern bestätigten Platzierung sowie dem (letztlich digital angebotenen) Vorbereitungsseminar - getroffenen Feststellungen nicht, zumal klägerseits in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2021 ergänzend zum bis dahin gemachten Vorbringen in der Berufung klargestellt worden ist, dass die E-Mail des Beklagten mit der Schulbestätigung am 02.03.2020 tatsächlich auch bei ihnen eingegangen ist.
Gegen die Höhe und die Darlegung der vom Beklagten gem. § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB einbehaltenen Anzahlung von 1.980,00 Euro (10% des gesamten Reisepreises) bestehen keine Bedenken. Aufgrund des Rücktrittes der Kläger durfte der Beklagte gem. § 651h Abs. 1 S. 3 BGB eine angemessene Entschädigung verlangen. Gem. § 651h Abs. 2 BGB konnte er diese durch vorformulierte Vertragsbedingungen festlegen (hier Ziff. 5.1 der Teilnahmebedingungen), oder ausgehend vom Reisepreis abzüglich des Wertes der vom Reiseveranstalter ersparten Aufwendungen sowie abzüglich dessen, was er durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwirbt, bestimmen, wobei er auf Verlangen der Kläger verpflichtet ist, die Höhe der Entschädigung zu begründen. Diesen Anforderungen ist der Beklagte ausreichend nachgekommen. Dabei ist zunächst unbeachtlich, dass er mit den streitgegenständlichen 10 Prozent nur einen Teil der in Ziff. 5.1 nach Versand der Bestätigung/Rechnung sowie nach Eintreffen der vom Teilnehmer ausgefüllten Platzierungsunterlagen vorgesehenen 25 Prozent des Reisepreises einbehalten hat. Diese freiwillige Beschränkung wirkt ausschließlich zu Gunsten der Kläger und steht einer Wirksamkeit der Klausel und der dieser zu Grunde liegenden Berechnungen im Ergebnis nicht entgegen. Zudem hat der Beklagte bereits in erster Instanz angegeben, wann bei ihm welche Leistungsschritte anfallen und plausibel vorgetragen, dass der größte Teil seiner Kosten bereits im Vorfeld der Platzierung des Gastschülers entsteht. Da die Kläger diesen - auch vom Amtsgericht als unstreitig behandelten - Angaben erstinstanzlich nicht weiter entgegengetreten sind und der 10-prozentige Einbehalt in Anbetracht der bereits erfolgten Platzierung in der Schule des Gastlandes auch nicht überhöht erscheint, waren die Angaben zur Begründung der einbehaltenen Entschädigung ausreichend.