Nach Auffassung von Generalanwalt Bot muss ein Luftfahrtunternehmen Fluggäste betreuen, deren Flug aufgrund außergewöhnlicher Umstände wie der Schließung des Luftraums infolge des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull annulliert wurde.
Bei Annullierung eines Fluges ist das Luftfahrtunternehmen nach dem Unionsrecht den Fluggästen zu Unterstützungsleistungen und
Ausgleichszahlungen verpflichtet. Im Rahmen der Unterstützungspflicht, und um die unmittelbaren Bedürfnisse der Fluggäste zu befriedigen, hat das Luftfahrtunternehmen unter Berücksichtigung der Wartezeit unentgeltlich Erfrischungen und Mahlzeiten sowie gegebenenfalls die Hotelunterbringung, die Beförderung vom Flughafen zum Ort der Unterbringung und Mittel zur Kommunikation mit Dritten bereitzustellen. Das Luftfahrtunternehmen hat diese Pflicht selbst dann zu erfüllen, wenn die Annullierung des Fluges auf außergewöhnliche, d. h. solche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Demgegenüber kann sich das Beförderungsunternehmen seiner Ausgleichspflicht entziehen, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung des Fluges auf solche Umstände zurückgeht.
Als Folge des Ausbruchs des Vulkans Eyjafjallajökull in Island wurde zwischen dem 15. und 23. April 2010 der Luftraum des größten Teils von Nordeuropa – darunter der irische und der britische Luftraum – wegen des durch die Vulkanaschewolke hervorgerufenen Risikos geschlossen. In der Folge und bis zum 17. Mai 2010 wurde der Luftraum mehrerer Mitgliedstaaten, nach denen und von denen aus die Fluggesellschaft Ryanair Flüge durchführte, sporadisch und mit Unterbrechungen geschlossen.
Frau McDonagh gehörte zu den Fluggästen, deren für den 17. April 2010 vorgesehener Flug Faro–Dublin wegen des Vulkanausbruchs annulliert wurde. Erst am 22. April 2010 wurden die Flüge zwischen Irland und dem europäischen Kontinent wieder aufgenommen. Frau McDonagh konnte schließlich am 24. April 2010 nach Irland zurückkehren. Sie ist der Meinung, dass Ryanair ihr nicht die erforderliche Unterstützung geleistet habe und die Fluggesellschaft verpflichtet sei, ihr Ausgleichsleistungen oder Schadensersatz in Höhe von knapp 1 130 Euro zu zahlen, was ihren Kosten für Mahlzeiten, Getränke, Unterkunft und Beförderung entspreche.
Der mit dem Rechtsstreit befasste Dublin Metropolitan District Court (Irland) fragt den Gerichtshof im Kern danach, ob die auf einen Vulkanausbruch zurückzuführende Schließung des Luftraums unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ fällt, der das Luftfahrtunternehmen verpflichtet, die Fluggäste zu betreuen, oder ob sie zu einer Kategorie gehört, die über die außergewöhnlichen Umstände hinausgeht und zur Befreiung des Unternehmens von dieser Betreuungspflicht führen kann. Der Gerichtshof wird ferner um Antwort insbesondere auf die Frage ersucht, ob die Betreuungspflicht unter diesen Umständen zeitlich oder finanziell begrenzt werden muss.
Generalanwalt Yves Bot weist zunächst darauf hin, dass der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Unionsrecht nicht definiert ist. Seine Tragweite ist entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch, dem Zusammenhang, in dem er verwendet wird, und der mit der Regelung, zu der er gehört, verfolgten Ziele zu bestimmen. Im täglichen Sprachgebrauch bezeichnet dieser Begriff alle Umstände, auf die das Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss hat. Es handelt sich nämlich um ein Ereignis, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist und aufgrund seiner Natur oder Ursache von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist. Nach Auffassung des Generalanwalts müssen alle Ereignisse, die diese Kriterien erfüllen, von einem Begriff erfasst werden, ohne Raum für eine gesonderte Kategorie „besonders außergewöhnlicher“ Ereignisse zu lassen, die die völlige Befreiung des Luftfahrtunternehmens von seinen Verpflichtungen bewirken würde.
Für diese Beurteilung sprechen sowohl das mit dem einschlägigen Unionsrecht verfolgte Ziel – nämlich ein verbesserter Schutz der Fluggäste – als auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, für den die besonders empfindliche Situation der Fluggäste kennzeichnend ist, die wegen des Eintritts außergewöhnlicher Umstände am Flughafen festsitzen.
Aus genau diesem Grund – so der Generalanwalt – ist der Unionsgesetzgeber davon ausgegangen, dass, anders als die Ausgleichspflicht, die auf dem Luftfahrtunternehmen lastet – die nicht zu erfüllen ist, wenn es beweist, dass die Annullierung des Fluges wegen außergewöhnlicher Umstände erfolgt ist, die sich nicht hätten vermeiden lassen –, die Betreuungspflicht unabhängig davon, welches Ereignis die Annullierung bewirkt hat, und gleichgültig, ob das Luftfahrtunternehmen dieses Vorkommnis gegebenenfalls zu vertreten hat, fortbestehen muss. Insoweit ist die Betreuung der Fluggäste gerade in einem Fall besonders wichtig und vorrangig, in dem deren Flug wegen eines Vulkanausbruchs annulliert worden ist, der zur Schließung des Luftraums mehrerer Mitgliedstaaten für mehrere Tage geführt und bestimmte Fluggäste gezwungen hat, am Flughafen und sehr häufig weit weg von zuhause auszuharren und abzuwarten, bis dieser Luftraum wieder geöffnet wurde.
Der Generalanwalt gelangt daher zu dem Ergebnis, dass Umstände wie die Schließung des Luftraums als Folge eines Vulkanausbruchs außergewöhnliche Umstände im Sinne des Unionsrechts darstellen.
Im Übrigen weist er darauf hin, dass die europarechtlichen Vorschriften keine implizite zeitliche oder finanzielle Begrenzung der Pflicht zur Betreuung von Fluggästen enthält und dass sich die Betreuung beim Eintritt außergewöhnlicher Umstände, die lange anhalten, als besonders wichtig erweist. Gerade bei einer besonders langen Wartezeit infolge der Annullierung eines Fluges muss sichergestellt werden, dass der Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, Zugang zu den allernotwendigsten Erzeugnissen und Dienstleistungen finden kann, und zwar während der gesamten Wartezeit. Eine Begrenzung der Betreuungspflicht würde dazu führen, den europarechtlichen Vorschriften einen Teil ihrer praktischen Wirksamkeit zu nehmen, weil die betroffenen Fluggäste nach einigen Tagen ihrem Schicksal überlassen blieben.
Die Gültigkeit dieser Vorschriften kann u. a. hinsichtlich der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung durch diese Feststellung nicht in Frage gestellt werden. Die den Luftfahrtunternehmen obliegende Betreuungspflicht erscheint insbesondere deshalb nicht als unverhältnismäßig, da es diesen ja freisteht, die entstehenden Kosten auf die Preise der Flugscheine aufzuschlagen. Diese Praxis wurde von Ryanair im Übrigen bereits eingeführt, die seit April 2011 eine spezielle Abgabe verlangt, um die von ihr übernommenen Kosten für die Betreuung der Fluggäste zu finanzieren, deren Flug als Folge des Vulkanausbruchs in Island annulliert worden war.
Nach Auffassung des Generalanwalts verletzt die Betreuungspflicht auch nicht das allgemeine Diskriminierungsverbot, weil die einzelnen Beförderungsformen hinsichtlich der Bedingungen ihrer Benutzung nicht austauschbar sind. Die Lage der Unternehmen in den verschiedenen Beförderungssektoren ist daher nicht die gleiche. Im Übrigen befinden sich auf dem Gebiet der Luftbeförderung die Fluggäste, die Opfer einer Annullierung oder erheblichen Verspätung eines Fluges geworden sind, in einer objektiv anderen Situation als die Reisenden mit anderen Beförderungsmitteln im Fall gleichartiger Vorkommnisse.
Der Generalanwalt schlägt dem Gerichtshof daher vor, zu antworten, dass die europarechtlichen Vorschriften weder eine implizite Befreiung von der Pflicht zur Betreuung der Fluggäste, deren Flug infolge außergewöhnlicher Umstände annulliert wurde, noch eine implizite Begrenzung dieser Pflicht enthalten. Die Gültigkeit dieser Vorschriften kann durch diese Feststellung nicht in Frage gestellt werden.