Ab einem Blutalkoholgehalt von 1,1 Promille ist von absoluter Fahruntüchtigkeit auszugehen. Ein höherer Grenzwert ist abzulehnen, weil das von einer Kutsche im Straßenverkehr ausgehende Potenzial zur Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer dem von einem Pkw ausgehenden Risiko durchaus vergleichbar ist. Es ist zumindest deutlich höher als die von einem Fahrrad.
Im vorliegenden Fall war ein Pferdekutscher mit 1,98 Promille auf einer öffentlichen Straße aufgegriffen worden.
Hierzu führte das Gericht aus:
Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen muss ein Kutschführer im Straßenverkehr vielfältige Anforderungen erfüllen, weshalb der Sachverständige sogar eine Fahrausbildung für unerlässlich hält
Fahrfehler des Kutschers - wie Verlust des Gleichgewichts, zu locker geführte Leinen oder Fehleinschätzungen einer Verkehrssituation - könnten sich gefährlich auswirken, weil das Pferd - mit Ausnahme des immer dieselbe Strecke zurücklegenden Tieres - zu keiner angemessenen Eigenreaktion fähig ist, sondern sich auf seine Führung durch den Fahrer verlässt.
Im Hinblick auf den Umstand, dass das Pferd ein Fluchttier sei und jederzeit etwas Unverhofftes passieren kann, kommt der Reaktionsfähigkeit des Kutschers daher besondere Bedeutung zu. Das Maß der notwendigen Reaktionsfähigkeit ist grundsätzlich von der Rasse und dem Temperament der Pferde abhängig; je höher das Pferd „im Blut steht“, desto sensibler reagiert das Tier, was die Gefahr eines „Ausbrechens“ erhöht.
Der Fahrer ist gehalten, die Pferde - insbesondere ihre Ohren - während der Normalfahrt, bei der eine Geschwindigkeit von circa 8 km/h erreicht wird, und erst recht bei einer im Vergleich dazu schnelleren Trabfahrt ständig zu beobachten und ihr Verhalten zu reflektieren.
Sollte ein Tier ausbrechen, kann die Kutsche im vollen Galopp eine Geschwindigkeit von mehr als 40 km/h erreichen. Es ist in einer solchen Situation aufgrund des Fluchtinstinktes schwierig, die Pferde und die Kutsche zum Stehen zu bekommen; im Regelfall lassen sich die Tiere erst durch Hindernisse aufhalten. Der Gespannführer muss somit - anders als ein Radfahrer - jederzeit in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit reagieren und seine für die Führung der Pferde wichtige Stimme sowie die Leinen einsetzen zu können.
Somit hat ein Gespannfahrer eine weitaus schwierigere Aufgabe als der Radfahrer zu bewältigen, da er jederzeit in der Lage sein muss, auf das die Kutsche ziehende Pferd lenkend einzuwirken. Erschwerend kommt hinzu, dass sich das lebende Tier keinesfalls als so berechenbar erweist, wie dies - abgesehen von plötzlich auftretenden technischen Defekten - bei einem Auto oder einem Fahrrad der Fall ist.
Diese erhöhte Aufmerksamkeit und Einwirkungsfähigkeit ist nicht etwa erst bei einem „durchgehenden“ Pferd gefordert, sondern mit Blick auf die Schreckhaftigkeit von Pferden, die im Straßenverkehr nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen … etwa durch die Betriebsgeräusche von Kraftfahrzeugen oder zu dichtes Heranfahren noch deutlich erhöht sei, jederzeit erforderlich, um besonders heikle Verkehrssituationen rechtzeitig zu erkennen und darauf das gefährliche „Durchgehen“ des Tieres von vornherein zu vermeiden. Das steuernde Einwirken auf ein Pferd setzt demnach ständig die volle Konzentration des Kutschers voraus.
Es ist daher nicht erkennbar, dass die typischen alkoholbedingten Einbußen in der Leistungsfähigkeit, wie etwa die Verringerung der Aufmerksamkeit des Reaktionsvermögens, die Erhöhung der Risikobereitschaft bei gleichzeitiger Reduzierung des Risikobeurteilungsvermögens oder die Einengung des Sichtfeldes („Tunnelblick“), bei einem Kutscher für die Beeinträchtigung der Fähigkeit zum sicheren Führen des Gespanns in geringerem Ausmaß zum Tragen kämen, als bei anderen Fahrzeugführern.
Vor diesem Hintergrund sind die an einen Kutscher im Straßenverkehr für ein sicheres Führen seines Fahrzeugs zu stellenden Anforderungen nach Überzeugung des Senats jedenfalls nicht geringer zu bewerten, als diejenigen, die ein Kraftfahrer zu erfüllen hat.