Reiten Kinder oder Jugendliche auf einem Reiterhof, so gehört regelmäßig auch Stallarbeit dazu. Das Füttern, Misten und die allgemeine Pflege der Tiere sind für viele Pferdefreunde selbstverständlicher Teil ihres Hobbys. Insbesondere bei Reiterferien für Kinder und Jugendliche oder im Rahmen von
Reitbeteiligungen wird die Mithilfe bei der Stallarbeit häufig erwartet oder aus reiner Gefälligkeit erbracht.
Doch was geschieht, wenn bei diesen Tätigkeiten ein Unfall passiert? Dass hiermit aber auch Risiken einhergehen wird von vielen Erziehungsberechtigten übersehen und kann erhebliche finanzielle Auswirkungen nach sich ziehen. Denn viele Betroffene gehen fälschlicherweise davon aus, dass jede Form von „Arbeit“ im Stall automatisch versichert ist.
Gesetzlicher Unfallschutz besteht nur bei Arbeitsunfällen
Die
gesetzliche Unfallversicherung, deren Träger die Berufsgenossenschaften sind, tritt grundsätzlich nur für die Folgen von
Arbeitsunfällen ein. Ein Arbeitsunfall liegt gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII vor, wenn ein Versicherter infolge einer versicherten Tätigkeit einen Unfall erleidet. Der klassische Fall ist der
Arbeitnehmer, der während seiner vertraglich geschuldeten Arbeitszeit verunfallt. Wer also als Stallmitarbeiter fest angestellt ist und ein Gehalt bezieht, unterliegt diesem Schutz.
Problematisch werden jedoch die Fälle, in denen Personen ohne formellen
Arbeitsvertrag im Stall tätig werden. Dies betrifft Reitbeteiligungen, Helfer aus Gefälligkeit oder auch Feriengäste, die bei der Versorgung der Pferde mitanpacken. Hier stellt sich die entscheidende Frage: Handelt es sich bei der verrichteten Tätigkeit um eine rein private Freizeitgestaltung oder um eine versicherte, einer Beschäftigung ähnliche Tätigkeit? Die Abgrenzung ist oft schwierig und hat weitreichende Konsequenzen für den Versicherungsschutz.
Kein Versicherungsschutz bei Freitzeitgestaltung
Bei einem Unfall im Rahmen der Freizeitgestaltung tritt die gesetzliche Unfallversicherung nicht für den Schaden ein. Hier liegt schließlich kein Arbeitsunfall vor.
Eine wichtige Entscheidung zu dieser Thematik traf das Landessozialgericht Schleswig-Holstein (LSG Schleswig-Holstein, 13.12.2007 - Az:
L 1 U 56/06). Der Fall ist exemplarisch für viele Unfälle auf Reiterhöfen: Eine Jugendliche verbrachte dort Reiterferien mit ihrem eigenen Pferd und verunglückte, als sie Stroh für die Box ihres Pferdes und das einer Freundin holen wollte. Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Leistung ab, das Gericht bestätigte diese Entscheidung.
Obwohl das Holen von Stroh objektiv eine ernsthafte und wirtschaftlich wertvolle Tätigkeit ist, die auf dem Hof auch von Angestellten verrichtet wird, genügte dies nicht für einen Versicherungsschutz. Das Gericht stellte entscheidend auf die sogenannte Handlungstendenz der Verunfallten ab. Um diese zu ermitteln, wurden die Gesamtumstände der Reiterferien beleuchtet. Das Gericht führte aus, dass Jugendliche solche Ferien buchen, um ihre Freizeit in enger Beziehung zu ihrem Pferd und mit Gleichgesinnten zu verbringen. Der Umgang mit dem Tier beschränkt sich dabei nicht auf das Reiten, sondern umfasst ganz bewusst auch dessen Versorgung.
Im verhandelten Fall war der sogenannte „Stalldienst“ – also Füttern, Misten und Einstreuen – sogar ein obligatorischer und damit fester Bestandteil des gebuchten Ferienkurses. Die Mithilfe war somit Teil der bezahlten Freizeitgestaltung. Die Handlungen der Jugendlichen waren folglich nicht von der Tendenz geprägt, für den Reiterhof zu arbeiten, sondern den Zweck des eigenen Urlaubs zu verwirklichen. Das Gericht sah die Motivation der Klägerin als eigenwirtschaftlich an: Ihr Handeln war von der Sorge um das Wohl des eigenen Pferdes getragen („dass ihre Pferde nicht mistig stehen“), nicht vom Willen, eine Verpflichtung des Hofbetreibers zu erfüllen.
Darüber hinaus entsprach die Tätigkeit nicht einmal dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers. Die Jugendliche handelte außerhalb der betrieblichen Abläufe, da für den Sonntagmorgen eine andere Routine für das Einstreuen vorgesehen war. Aus Sicht des Reiterhofs bestand zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit für ihr Handeln. Dass sie auch Stroh für das Pferd einer anreisenden Freundin holte, änderte nichts an der Bewertung. Dies geschah aus freundschaftlichen Motiven und nicht im Interesse des Betriebs. Der gesetzliche Unfallschutz wurde daher klar verneint, weil die Tätigkeit im Kern eine selbstbestimmte Freizeitaktivität darstellte.
Versicherungsschutz bei „Wie-Beschäftigung“
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass es Fälle gibt, in denen Personen wie Arbeitnehmer für ein fremdes Unternehmen tätig werden, ohne in einem formellen Beschäftigungsverhältnis zu stehen. Für diese Konstellationen wurde der Tatbestand der sogenannten „Wie-Beschäftigung“ nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII geschaffen. Danach ist auch versichert, wer „wie ein Beschäftigter“ tätig wird.
Die Rechtsprechung hat hierfür klare Kriterien entwickelt. Eine „Wie-Beschäftigung“ liegt vor, wenn eine Person eine einem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert ausübt, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ihrer Art nach auch von Personen in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis verrichtet werden könnte. Wesentlich ist, dass die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung überwiegen und keine Sonderbeziehung (z. B. familiäre oder enge freundschaftliche Bindungen) der alleinige Grund für die Tätigkeit ist. Die Tätigkeit muss also eine fremdnützige Zweckbestimmung haben und darf nicht im Wesentlichen eigenen Angelegenheiten dienen.
Mit der Frage, unter welchen Umständen eine Gefälligkeit im Pferdestall als „Wie-Beschäftigung“ gelten kann hat sich das LSG Bayern auseinandergesetzt (LSG Bayern, 06.12.2022 - Az:
L 17 U 168/21). Eine Frau hatte sich bereiterklärt, während der zehntägigen Abwesenheit einer Pferdehalterin deren Pferd mehrmals pro Woche zu bewegen. Die beiden Frauen kannten sich zuvor nicht. Bei einem Spaziergang scheute das Pferd, die Frau stürzte und verletzte sich.
Das Gericht bejahte das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Rahmen einer „Wie-Beschäftigung“. Es stellte fest, dass die Tätigkeit objektiv dem fremden „Unternehmen“ der privaten Pferdehaltung diente und auch dem ausdrücklichen Willen der Halterin entsprach. Die Tätigkeit besaß einen wirtschaftlichen Wert, da die Halterin sich die Kosten für eine bezahlte Hilfskraft ersparte. Dass die Helferin nach dem Urlaub 50 Euro und eine Flasche Prosecco erhielt, unterstrich diesen Wert, wäre aber für die Annahme einer „Wie-Beschäftigung“ nicht zwingend erforderlich gewesen.
Entscheidend für das Gericht war die Arbeitnehmerähnlichkeit der Tätigkeit. Die Helferin handelte nicht eigenverantwortlich, sondern nach klaren Vorgaben der Halterin: Das Pferd sollte mit Trense und Hufschuhen ausgeführt und ausdrücklich nicht geritten werden. Diese Weisungsgebundenheit ist ein typisches Merkmal für ein Beschäftigungsverhältnis. Dass die Helferin ihre Zeit frei einteilen konnte, sprach nicht dagegen, da flexible Arbeitszeiten auch in regulären
Arbeitsverhältnissen üblich sind.
Die Beklagte hatte vorgetragen, die Klägerin habe aus reiner Freude am Umgang mit Pferden gehandelt. Das Gericht differenzierte hier jedoch zwischen dem subjektiven Motiv für eine Tätigkeit und der objektiven Handlungstendenz. Auch wenn die Helferin die Tätigkeit gerne ausübte, war ihre Handlung nach außen erkennbar darauf gerichtet, die Interessen der Pferdehalterin zu erfüllen, indem sie deren Anweisungen befolgte. Die fremdnützige Handlungstendenz war somit rechtlich wesentlich. Schließlich lag auch keine das Gepräge der Tätigkeit bestimmende Sonderbeziehung vor, da sich die Parteien fremd waren. Es handelte sich nicht um eine übliche Gefälligkeit unter Freunden oder Stallkollegen.
Worauf kommt es in der Praxis für den Versicherungsschutz an?
Für die juristische Beurteilung in der Praxis kommt es daher auf eine genaue Abwägung mehrerer Faktoren an. Entscheidend ist zunächst die Handlungstendenz, also die Frage, ob die Tätigkeit primär dem eigenen Interesse dient, wie etwa bei der Freizeitgestaltung, oder ob sie auf die Belange des Stallbetreibers oder Pferdehalters ausgerichtet ist. Ein weiteres wichtiges Indiz ist die Weisungsgebundenheit: Gibt es konkrete Vorgaben zur Art, zum Umfang und zur Ausführung der Tätigkeit? Auch der wirtschaftliche Wert der Hilfe spielt eine Rolle, insbesondere wenn der Helfer dem Unternehmer eine bezahlte Arbeitskraft erspart. Schließlich spielt auch die persönliche Beziehung der Beteiligten eine Rolle, um zu klären, ob es sich um eine reine Gefälligkeit im Rahmen einer engen Freundschaft oder um eine sachbezogene Hilfstätigkeit handelt.
Sicherheit mit privater Unfallversicherung schaffen
Wer sich im Reitsport engagiert und regelmäßig im Stall mithilft, sollte sich nicht darauf verlassen, im Falle eines Unfalls unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu fallen. Die Hürden für die Anerkennung einer „Wie-Beschäftigung“ sind hoch, und die Abgrenzung zur unversicherten Freizeitgestaltung ist fließend. Ein Unfall mit einem Pferd kann schnell zu schwerwiegenden und dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, die mit hohen Kosten für Behandlung, Rehabilitation und möglicherweise einem lebenslangen Versorgungsbedarf verbunden sind.
Es ist daher dringend anzuraten, für einen umfassenden privaten Versicherungsschutz zu sorgen. Eine private Unfallversicherung ist für jeden Reiter und Helfer im Stall unerlässlich. Sie leistet unabhängig davon, ob der Unfall bei der Arbeit, in der Freizeit oder im Rahmen einer Gefälligkeit passiert. Sie sichert die finanziellen Folgen von Invalidität ab und bietet je nach Vertrag weitere Leistungen wie Krankenhaustagegeld oder Genesungsgeld. Ergänzend ist eine private Haftpflichtversicherung, die das Risiko im Umgang mit fremden Pferden abdeckt, von großer Bedeutung, um vor Schadensersatzansprüchen Dritter geschützt zu sein.