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Sendechip für Betreuten - freiheitsentziehende Maßnahme?

Betreuungsrecht | Lesezeit: ca. 6 Minuten

Es ist bereits zweifelhaft, ob das Einlegen eines Sendechips in einen Schuh der Betroffenen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gem. § 1906 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 BGB bedarf.

Das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gilt nach dem Wortlaut der Vorschrift nur für die Fälle, in denen dem Betreuten „durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen worden soll„.

Ob Personenortungsanlagen als freiheitsentziehende Maßnahme in diesem Sinne einzustufen sind, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. In der Rechtsprechung verschiedener Amtsgerichte wird die Genehmigungsbedürftigkeit der Ausstattung des Betreuten mit einem Sendechip bejaht. Das AG Hannover führt in seiner Entscheidung vom 5.5.1992 (Az: 62 XVII L8) zur Begründung aus, dass bereits die Ausstattung mit einem Sender den Betroffenen unmittelbar in seinem Recht auf Freiheit einschränke. Die Anlage ermögliche es nämlich den Mitarbeiten des Heims, neben ihrer persönlichen Wahrnehmung, durch Empfang der Funksignale festzustellen, dass ein mit einem Sender ausgestatteter Bewohner einen bestimmten Bereich der Station verlassen hat. Das AG Bielefeld stellt in einem Beschluss vom 16.9.1996 (Az: 2 XVII B 32) die Zweckrichtung der Signalgebung in den Vordergrund, die darauf gerichtet ist, das Pflegepersonal in die Lage zu versetzen, den Betroffenen sofort nach Passieren der Außentür zur Rückkehr zu bewegen und in das Innere des Gebäudes zurückzubegleiten. Das AG Stuttgart-Bad Cannstadt räumt in der Entscheidung vom 26.11.1996 (Az: XVII 101/96) zwar ein, dass der Sender selbst die Bewegungsfreiheit seines Trägers nicht einschränke, sondern hierzu zusätzliche Maßnahmen des Heimes erforderlich seien. Hieraus ergebe sich jedoch nicht die Schlussfolgerung, dass deswegen lediglich die vom Heim getroffenen Vorkehrungen für den Fall des Alarms einer Prüfung nach § 1906 BGB zu unterziehen seien. Diese Betrachtungsweise würde einen zusammenhängenden Vorgang künstlich in zwei getrennte Teile spalten. Ohne den Sender seien vom Heim getroffene Vorkehrungen nicht denkbar. Der Sender mache ohne solche Vorkehrungen keinen Sinn. Daher sei beides im Zusammenhang zu betrachten. Es handele sich nicht um eine Maßnahme, die eine rechtlich bloß unbeachtliche Freiheitsbeschränkung darstelle. Im Alltag sei es auch nicht üblich, andere mit den technischen Hilfsmitteln zu überwachen, um ihren Ortswechsel zu unterbinden.

Dieser Beurteilung entgegen steht ein Großteil der veröffentlichten Literatur. Die Ausstattung mit einem Personenortungssystem bzw. einer Sendeanlage soll danach keine unterbringungsähnliche Maßnahme sein.

Der Senat neigt eher der zuletzt genannten Auffassung zu, nach der das Einlegen eines Sendechips in den Schuh der Betroffenen noch keine freiheitsentziehende Maßnahme i.S.v. § 1906 Abs. 4 BGB darstellt. Auszugehen ist hierbei zunächst vom Schutzzweck des Genehmigungsvorbehaltes, der darin liegt, die körperliche Bewegungs- und Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsbestimmungsfreiheit zu gewährleisten. Die Ausstattung der Betroffenen mit einer Sendeanlage, die es dem Pflegepersonal lediglich ermöglicht festzustellen, ob sie das Heim verlässt, stellt noch keine Freiheitsentziehung dar. Dieses Mittel beschränkt die Fortbewegungsfreiheit der Betreuten für sich gesehen nicht. Vielmehr hängt die Frage, ob die Freiheit entzogen wird, von der Reaktion der Einrichtung ab, wenn die Betroffene den Bereich, in dem sie sich aufhalten soll, verlässt. Entgegen der Ansicht des Amtsgericht Hannover ergibt sich eine freiheitsentziehende Wirkung der Maßnahme nicht allein dadurch, dass durch den Sender die Möglichkeit zur Feststellung des Aufenthaltsortes der Bewohner besteht. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Beaufsichtigungsmaßnahme, für deren Zulässigkeit die Zustimmung des Betreuers ausreicht. Der Senat verkennt nicht, dass möglicherweise die Verwendung eines Personenortungssystems auch darauf gerichtet sein kann, notfalls die Betreute durch Zwang am Verlassen des Hauses zu hindern. Um dem Schutzzweck des § 1906 BGB Rechnung zu tragen, genügt es jedoch, die möglicherweise erforderlich werdenden Zwangsmaßnahmen einer vormundschaftlichen Genehmigung zu unterstellen. Insofern besteht kein wesentlicher Unterschied dazu, ob ein Signal von einen Bewegungsmelder oder einer Lichtschranke, also ohne einen Sender ausgelöst wird.


OLG Brandenburg, 19.01.2006 - Az: 11 Wx 59/05

ECLI:DE:OLGBB:2006:0119.11WX59.05.0A

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