Die geschlossene
Unterbringung eines Minderjährigen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist auch bei vorliegenden Anzeichen für eine psychische Störung unverhältnismäßig, wenn bei dem Minderjährigen im Schwerpunkt pädagogische Defizite bestehen, die nur die Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung rechtfertigen. Das gilt auch bei Fehlen eines (regionalen) Angebots an geeigneten Jugendhilfeeinrichtungen.
Erfordert das vor Genehmigung einer Unterbringung stets einzuholende Sachverständigengutachten eine stationäre diagnostische Abklärung, kann das Familiengericht unter den Voraussetzungen des
§ 284 FamFG die Unterbringung des Minderjährigen zur Begutachtung anordnen.
Hierzu führte das Gericht aus:
Gemäß
§ 1631 b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts.
§ 1631 b BGB ist durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des
Kindeswohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 1188) dahin konkretisiert worden, dass die Unterbringung zum Wohl des Kindes, insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung, erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1631 b Abs. 1 Satz 2 BGB). Dadurch wird klargestellt, dass die geschlossene Unterbringung aus Gründen des Kindeswohls erforderlich und verhältnismäßig sein muss. Die Entscheidung des Gerichts hat zugleich dem Freiheitsrecht des Minderjährigen Rechnung zu tragen. Eine geschlossene Unterbringung kommt daher nur als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit in Betracht (vgl. auch Art. 37 lit. b der UN-Kinderrechtekonvention). Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, Gründe für eine geschlossene Unterbringung abschließend aufzuzählen, da diese Gründe zu vielschichtig sind.
§ 1631 b Abs. 1 BGB ermöglicht allgemein die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung eines betroffenen Kindes, ohne die Einrichtungsart festzulegen (vgl. BT-Drucks. 8/2788 S. 38). In Betracht kommen grundsätzlich Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Jugendhilfe. Im Rahmen der Jugendhilfe ist die mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung als Hilfe zur Erziehung (§§ 27, 34 SGB VIII) oder Hilfe zur Eingliederung möglich, was grundsätzlich eine Bewilligung der entsprechenden Jugendhilfeleistung und in diesem Zusammenhang die Aufnahmebereitschaft der jeweiligen Einrichtung voraussetzt. Demgegenüber sind Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter bestimmten Voraussetzungen zur Aufnahme verpflichtet (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Jugendhilfeeinrichtungen unterscheiden sich mit ihrem vorwiegend pädagogischen Ansatz sowohl in struktureller Hinsicht als auch bezüglich der Eingriffsintensität von der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie als medizinische Einrichtung zur Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von psychischen, psychosomatischen und neurologischen Störungen. Kommen mehrere Formen der geschlossenen Unterbringung in Betracht, muss die Erforderlichkeit der Unterbringung bezogen auf die konkret angeordnete Unterbringungsart festgestellt werden.
Die Genehmigung der Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie als Sonderform der psychiatrisch-medizinischen Behandlung setzt grundsätzlich eine entsprechende medizinische Indikation voraus. Liegt eine solche nicht vor, so wird es bereits an der Geeignetheit der Maßnahme fehlen und besteht für eine Unterbringung regelmäßig keine Grundlage. Erfordert das vor Genehmigung einer Unterbringung nach §§ 167 Abs. 1 Satz 1, 321 FamFG stets einzuholende Sachverständigengutachten zunächst eine stationäre diagnostische Abklärung, kann das Familiengericht gemäß §§ 167 Abs. 1 Satz 1, 322, 284 FamFG die Unterbringung des Minderjährigen zur Begutachtung anordnen.
Ohne vorliegende medizinische Indikation ist die Genehmigung der Unterbringung zur Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie rechtswidrig. Ist die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht zulässig, so ändert sich nichts dadurch, dass es (regional) an geeigneten und aufnahmebereiten Jugendhilfeeinrichtungen für eine freiheitsentziehende Unterbringung fehlt. Denn das Fehlen derartiger von den Trägern der Jugendhilfe im Rahmen ihrer gesetzlichen Gesamtverantwortung nach § 79 Abs. 1 SGB VIII bereitzustellenden Einrichtungen darf nicht dazu führen, dass Minderjährige in einer für ihre spezifischen Defizite unzureichend geeigneten Einrichtung geschlossen untergebracht werden. Auch einer Unterbringungsgenehmigung für eine Übergangsfrist, etwa um dem Sorgeberechtigten Zeit zu geben, für den Betroffenen eine Jugendhilfeeinrichtung zu finden, fehlt die Rechtsgrundlage.
Liegt bei dem Betroffenen zwar eine psychische Störung vor, rechtfertigt diese aufgrund ihres gegenüber zugleich vorliegenden pädagogischen Defiziten geringeren Schweregrades aber nicht die stationäre Therapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern allenfalls eine von ambulanter Therapie begleitete Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung, so ist auch dann die geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unzulässig. Selbst wenn in einem solchen Fall keine geeignete Jugendhilfeeinrichtung zur Verfügung steht und die Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gegenüber der Rückkehr in den elterlichen Haushalt sogar die für das Kindeswohl bessere Alternative darstellen würde, ist diese Form der Unterbringung mit Rücksicht auf den hohen Rang des Freiheitsrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG unverhältnismäßig (im engeren Sinne) und darf nicht genehmigt werden.