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Sozialauswahl bei Gemeinschaftsbetrieb

Arbeitsrecht | Lesezeit: ca. 42 Minuten

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Die Sozialauswahl ist bis zu einer etwaigen Auflösung des Gemeinschaftsbetriebs auf den gesamten Betrieb zu erstrecken, wenn mehrere Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb bilden.

Besteht der Gemeinschaftsbetrieb zum Kündigungszeitpunkt nicht mehr, so ist auch eine unternehmensübergreifende Sozialauswahl nicht mehr vorzunehmen.

Ein gleiches gilt für den Fall, daß im Zeitpunkt der Kündigung einer der Betriebe, die zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet haben, zwar noch nicht stillgelegt ist, auf Grund einer unternehmerischen Entscheidung, die bereits greifbare Formen angenommen hat, aber feststeht, dass er bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers stillgelegt sein wird.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung durch die Beklagte und in diesem Zusammenhang vorrangig über die Frage, ob die Beklagte einen Gemeinschaftsbetrieb mit der S GmbH und der P GmbH unterhalten und eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige abgegeben hat.

Der zum Zeitpunkt der Kündigung 45 Jahre alte und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger begann bei der Beklagten am 11. April 1990 ein Arbeitsverhältnis als Maurer/Putzer in Vollzeit. Die Beklagte betrieb eine Baufirma und beschäftigte im Februar 2005 insgesamt 22 Arbeitnehmer, ein Betriebsrat besteht nicht. Sie wird von der Geschäftsführerin J. und dem Geschäftsführer St. vertreten, die gleichzeitig auch die alleinigen Gesellschafter der Beklagten sowie Geschäftsführer der P GmbH sind (ursprünglich Beklagte zu 3). Im Jahr 2005 übernahm der Geschäftsführer St. auch die Geschäftsführung der S GmbH (ursprünglich Beklagte zu 2). Alle drei Firmen haben ihren Geschäftssitz in demselben Gebäude. Die S GmbH betreibt ebenfalls einen Baubetrieb, während die P GmbH Dienstleistungen im Bereich Kurierdienste, Transporte, Entsorgung und Abriss-/Abbruch anbietet. Arbeitnehmer der Beklagten wurden teilweise auf Bauvorhaben der S GmbH und umgekehrt eingesetzt.

Am 20. Januar 2005 beschlossen die Gesellschafter der Beklagten eine „Neuorientierung“ des Unternehmens mit dem Unternehmensgegenstand Ankauf von Altbauobjekten zum Zwecke einer hochwertigen Sanierung mit dem Ziel der Vermietung und Veräußerung. Lediglich die Bauleitung/Projektsteuerung sollte bei der Beklagten verbleiben. Die Bauleistungen für die Sanierungsarbeiten sollten ausschließlich an Subunternehmer vergeben werden. Gleichzeitig beschlossen die Gesellschafter, zukünftig keine gewerblichen Arbeitnehmer mehr zu beschäftigen, alle - damals - 15 gewerblichen Arbeitnehmer sowie drei oder vier Sachbearbeiter ab dem 31. Januar 2005 mit der jeweiligen ordentlichen Kündigungsfrist zu kündigen und lediglich einen Mitarbeiter für einen langfristigen Auftrag bei der Deutschen Bahn bis zum 31. Dezember 2005 weiter zu beschäftigen. Die Erforderlichkeit einer Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur sollte geprüft werden.

Am 11. Februar 2005 erstattete die Beklagte eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit über geplante Entlassungen. Ausweislich des Aktenvermerks der Agentur für Arbeit vom 3. März 2005 fehlten Angaben über die Entlassungstermine und waren in der Anzeige unterschiedliche Angaben über die Anzahl der Beschäftigten und der zu Entlassenden enthalten.

Mit Schreiben vom 24. Februar 2005, dem Kläger am 28. Februar 2005 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. August 2005. Gleichzeitig kündigte sie allen weiteren bei ihr beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmern mit unterschiedlichen Kündigungsfristen. Arbeitnehmer mit längeren Kündigungsfristen wurden teilweise bis zum Ablauf ihrer Kündigungsfrist auf Baustellen der S GmbH eingesetzt. Zwei Mitarbeiter (Sc und K) haben nach Ablauf ihrer Kündigungsfrist weitergearbeitet.

Am 3. März 2005 ergänzte die Beklagte die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit. Mit Schreiben vom selben Tag teilte die Agentur für Arbeit Berlin Nord der Beklagten folgendes mit:

„... Nach Ihren Angaben in der vollständigen Anzeige sind in der Regel 22 Arbeitnehmer beschäftigt.

Hiervon sollen mit Ablauf des 31. 03. 2005 5 Arbeitnehmer, mit Ablauf des 30. 04. 2005 1 Arbeitnehmer, mit Ablauf des 30. 06. 2005 4 Arbeitnehmer, mit Ablauf des 31. 07. 2005 2 Arbeitnehmer und mit Ablauf des 31.08.2005 6 Arbeitnehmer entlassen werden.

Gemäß § 17 Absatz 1 des KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. ...

Die Entlassungen für Ihren Betrieb sind daher nicht anzeigepflichtig im Sinne der Bestimmung des § 17 KSchG.“

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage gegen die Beklagte erhoben. Soweit er diese später auf die S GmbH und die P GmbH erweitert hat, hat er die entsprechenden Anträge zurückgenommen.

Der Kläger bestreitet, dass die Beklagte die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, zukünftig nur noch als Bauträger zu arbeiten. Hiergegen spreche, dass sich die Beklagte ausweislich des Postausgangsbuchs für neue Bauvorhaben beworben habe. Außerdem habe die unternehmerische Entscheidung bis zum Zeitpunkt der Kündigung keine greifbaren Formen angenommen.

Die Beklagte unterhalte mit der S GmbH und der P GmbH einen Gemeinschaftsbetrieb. Für einen einheitlichen Leitungsapparat spreche bereits die Personenidentität in der Geschäftsführung. Die Arbeitnehmer seien auf den Baustellen unterschiedslos den Weisungen der Vorarbeiter der Beklagten und der S GmbH unterworfen worden, eine organisatorische Trennung habe nicht stattgefunden. So habe es in den Jahren 1994 bis 2005 mindestens 23 gemeinsame Baustellen von insgesamt 50 Bauvorhaben gegeben. Das Postausgangsbuch werde außerdem für alle drei Beklagten gemeinsam geführt. Dieser Gemeinschaftsbetrieb sei zwischenzeitlich auch nicht aufgelöst worden. Eine solche Auflösung komme nur im Falle der Betriebsstillegung in Betracht, die nicht vorliege. Da jedenfalls zum Zeitpunkt der Kündigung der Gemeinschaftsbetrieb noch fortbestanden habe, hätte die Beklagte die Sozialauswahl auf die Arbeitnehmer der S GmbH und der P GmbH erstrecken müssen. Bei der S GmbH würden mit ihm vergleichbare Maurer mit geringerem sozialen Besitzstand beschäftigt.

Die Kündigung sei darüber hinaus wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige unwirksam. Die Beklagte sei im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet gewesen, vor Ausspruch der Kündigungen eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Eine solche habe die Beklagte erst am 3. März 2005 und somit zu spät erstattet. Auf Vertrauensschutz könne sie sich nicht berufen, weil die Kündigungen zeitlich nach der Verkündung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ausgesprochen worden seien.

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