Da ein offenkundig schlechter Straßenzustand grundsätzlich keine überraschende Gefahr darstellt, fehlt es bei erkennbaren Schlaglöchern oder Unebenheiten an einer haftungsbegründenden Verkehrssicherungspflichtverletzung. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld besteht in solchen Fällen nicht.
Ein Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzungen infolge eines Sturzes auf einer beschädigten Verkehrsfläche setzt eine Verletzung der öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht voraus. Grundlage solcher Ansprüche ist in Schleswig-Holstein § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG sowie § 10 Abs. 1, Abs. 4 Straßen- und Wegegesetz Schleswig-Holstein (StrWG SH). Danach gehören zu den Amtspflichten auch der Bau, die Unterhaltung und die Überwachung der Verkehrssicherheit öffentlicher Straßen. Die Straßenverkehrssicherungspflicht ist ein Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht und dient dem Schutz der Verkehrsteilnehmer vor atypischen, nicht erkennbaren Gefahren.
Die Verkehrssicherungspflicht verlangt keine absolute Gefahrlosigkeit. Erforderlich ist lediglich, dass der Verkehrssicherungspflichtige in objektiv zumutbarer Weise alle Gefahren beseitigt oder vor ihnen warnt, die für einen sorgfältigen Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind. Der Maßstab richtet sich nach dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche, ihrer Verkehrsbedeutung und der berechtigten Sicherheitserwartung der Verkehrsteilnehmer.
Ein schlechtes Erscheinungsbild einer Straße begründet für sich genommen keine Haftung. Haftungsbegründend ist nur eine Gefahrenlage, die selbst für aufmerksame Verkehrsteilnehmer überraschend und nicht rechtzeitig erkennbar ist. Ein erkennbar mangelhafter Straßenzustand warnt regelmäßig vor sich selbst und entbindet den Benutzer nicht von der Pflicht, sich den erkennbaren Umständen anzupassen. Die Straßenverkehrssicherungspflicht bezweckt nicht, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen zu verlagern.
Hinsichtlich der Erheblichkeit von Straßenunebenheiten bestehen keine starren Grenzen. Maßgeblich sind Art und Nutzung der Verkehrsfläche. Eine Reparaturpflicht wird bei Schlaglöchern auf Fahrbahnen üblicherweise erst bei einer Tiefe von mindestens 15 cm angenommen. Ein Zustand mit 5 bis 8 cm Tiefe gilt regelmäßig noch als hinnehmbar, da mit derartigen Unebenheiten auch auf vielbefahrenen Straßen gerechnet werden muss (vgl. OLG Schleswig, 14.11.2023 - Az: 7 U 114/23). Im Radverkehrsbereich wurde ein Schlagloch von 5 cm Tiefe ebenfalls als zumutbar eingestuft (vgl. OLG Schleswig, 04.08.2017 - Az:
7 U 122/16). Für Fußgängerzonen oder Bordsteinbereiche kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Erkennbarkeit und den Ort der Benutzung.
Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liegt nicht vor, wenn der mangelhafte Zustand des Straßenrands deutlich sichtbar ist. Bei unebenen, brüchigen oder erkennbar beschädigten Seitenstreifen besteht für Verkehrsteilnehmer eine erhöhte Eigenverantwortung, sich auf die Bodenverhältnisse einzustellen und Vorsicht walten zu lassen. Sichtbare Vertiefungen oder mit Wasser gefüllte Mulden stellen in solchen Fällen keine unerwartete Gefahr dar. Verkehrsteilnehmer dürfen bei erkennbar unebenen Oberflächen nicht darauf vertrauen, dass eine gefahrlose Nutzung ohne vorherige Prüfung möglich ist (vgl. LG Köln, 07.08.2007 - Az:
5 O 126/07).
Zudem kann bei einem Sturz infolge eines offenkundig schlechten Straßenzustands regelmäßig ein erhebliches Mitverschulden anzunehmen sein (§ 254 Abs. 1 BGB). Ein umsichtiger Verkehrsteilnehmer muss sich beim Aussteigen aus einem Fahrzeug, insbesondere bei Dunkelheit oder Nässe, durch einen kurzen Kontrollblick oder ein vorsichtiges Auftreten vergewissern, dass der Untergrund hinreichend sicher ist.