Ein Rechtsstreit mit dem Finanzamt wird oftmals als belastend, langwierig und kostenintensiv wahrgenommen. Doch das Prozessrecht kennt auch im Bereich der Finanzgerichtsbarkeit einen alternativen Weg zur Beilegung von Konflikten: das Güterichterverfahren. Obwohl diese Möglichkeit im Zivilprozess bereits bekannter ist, fristet sie im finanzgerichtlichen Verfahren oft noch ein Schattendasein – zu Unrecht, denn sie bietet für Kläger und Finanzverwaltung erhebliche Vorteile.
Welche gesetzlichen Grundlage gelten?
Die Möglichkeit, ein Güterichterverfahren durchzuführen, ist in der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht eigenständig und detailliert geregelt. Stattdessen bedient sich der Gesetzgeber eines Verweises auf die Zivilprozessordnung (ZPO). Der § 155 FGO ordnet an, dass die Vorschriften der ZPO über die Mediation und das sonstige Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung entsprechend anzuwenden sind. Konkret wird damit auf den § 278a ZPO Bezug genommen. Damit hat der Gesetzgeber die Tür für eine Form der richterlichen Mediation auch in Steuerstreitigkeiten geöffnet.
Diese gesetzliche Regelung ermöglicht es den Finanzgerichten, den Beteiligten eines Rechtsstreits eine alternative Form der Konfliktlösung anzubieten. Die Gerichte können den Parteien vorschlagen, den Rechtsstreit im Wege einer Güteverhandlung vor einem speziell dafür bestimmten Richter, dem sogenannten Güterichter, beizulegen. Diese Möglichkeit besteht in allen Phasen des Verfahrens, solange noch keine endgültige Entscheidung getroffen wurde.
Der Güterichter: Vermittler, kein Entscheider
Ein grundlegendes und entscheidendes Merkmal des Güterichterverfahrens liegt in der besonderen Rolle des Güterichters selbst. Gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 278 Abs. 5 ZPO ist der Güterichter nicht zur Entscheidung des Rechtsstreits befugt. Er fällt kein Urteil und erlässt auch keine anderen verbindlichen Anordnungen, die den Streitfall materiell entscheiden. Seine Aufgabe ist es nicht, Recht zu sprechen, sondern den Parteien als neutraler und allparteilicher Vermittler zur Seite zu stehen.
Der Güterichter ist ein erfahrener Richter, der jedoch nicht dem Spruchkörper (Senat) angehört, der im Falle eines Scheiterns der Güteverhandlung über die Klage entscheiden würde. Diese Trennung stellt sicher, dass die Offenheit und die Kompromissbereitschaft, die in einem Güterichterverfahren gezeigt werden, nicht zu Nachteilen im streitigen Verfahren führen können. Die Beteiligten können freier verhandeln, da sie nicht befürchten müssen, dass ihre Äußerungen später vom entscheidenden Richter gegen sie verwendet werden. Der Güterichter unterstützt die Parteien dabei, die Hintergründe ihres Konflikts zu beleuchten, die jeweiligen Interessen und Bedürfnisse zu verstehen und auf dieser Basis eine gemeinsame, zukunftsfähige Lösung zu erarbeiten.
Methodische Freiheit zur optimalen Konfliktlösung
Ein weiterer wesentlicher Vorteil des Güterichterverfahrens ist die methodische Flexibilität. Der Güterichter ist nicht an die strengen verfahrensrechtlichen Vorschriften der Finanzgerichtsordnung gebunden. Er kann sich aller denkbaren Methoden der Konfliktbeilegung bedienen, die er für geeignet hält. In der Praxis kommt hierbei vor allem die Mediation zur Anwendung, bei der der Güterichter das Gespräch strukturiert und die Kommunikation zwischen den Parteien fördert. Er kann aber auch Elemente der Moderation, der Schlichtung oder eines strukturierten Verhandlungsprozesses einsetzen.
Diese Freiheit ermöglicht es, den Rahmen der Verhandlung an die spezifischen Bedürfnisse des Einzelfalls anzupassen. Es können beispielsweise auch Einzelgespräche mit den Parteien geführt werden, um vertrauliche Informationen oder Verhandlungsgrenzen zu erörtern. Besonders bedeutsam ist die Möglichkeit, auch über den eigentlichen Streitgegenstand des Klageverfahrens hinauszugehen. Oftmals ist der konkrete Steuerbescheid nur der Anlass für einen tiefer liegenden oder umfassenderen Konflikt zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Finanzamt. Im Güterichterverfahren können auch diese Aspekte thematisiert und in eine umfassende Lösung einbezogen werden, was in einem streitigen Verfahren, das streng an den Klageantrag gebunden ist, nicht möglich wäre.
Ablauf des Verfahrens in der Praxis
Ein Güterichterverfahren kann nicht gegen den Willen eines Beteiligten angeordnet werden. Es basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. In der Regel schlägt der zuständige Senat des Finanzgerichts den Parteien die Durchführung eines solchen Verfahrens vor, wenn er den Eindruck gewinnt, dass der Fall für eine gütliche Einigung zugänglich ist. Aber auch die Beteiligten selbst, also der Kläger oder das beklagte Finanzamt, können jederzeit die Anregung zur Durchführung eines Güterichterverfahrens an das Gericht richten.
Stimmen alle Beteiligten zu, verweist der zuständige Senat den Rechtsstreit durch einen formellen Beschluss an den Güterichter. Mit diesem Verweisungsbeschluss wird das streitige Klageverfahren zum Ruhen gebracht. Dies bedeutet, dass Fristen unterbrochen werden und keine weiteren prozessualen Schritte im Klageverfahren unternommen werden, solange das Güterichterverfahren andauert. Die Parteien können sich somit voll und ganz auf den Einigungsversuch konzentrieren. Der Güterichter setzt dann in Abstimmung mit den Parteien einen Termin für die Güteverhandlung an. Diese findet in einer informellen und vertraulichen Atmosphäre statt, die sich bewusst von der oft starren und formellen mündlichen Verhandlung unterscheidet.
Vertraulichkeit im Güterichterverfahren
Die Vertraulichkeit ist das Herzstück des Güterichterverfahrens. Alles, was im Rahmen der Güteverhandlung besprochen wird – seien es Sachverhaltsinformationen, rechtliche Einschätzungen, Kompromissvorschläge oder persönliche Motive – ist vertraulich. Der Güterichter ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Er darf keine Informationen aus dem Güterichterverfahren an den entscheidenden Senat oder an Dritte weitergeben. Diese Regelung ist wichtig, um eine offene und ehrliche Kommunikation zu ermöglichen. Die Parteien können sicher sein, dass ihre Zugeständnisse und Argumente den „geschützten Raum“ der Güteverhandlung nicht verlassen. Dies senkt die Hemmschwelle, auch unkonventionelle Lösungsansätze zu diskutieren und die wahren Interessen hinter den juristischen Positionen offenzulegen.
Abschluss des Verfahrens: Einigung oder Fortführung des Rechtsstreits
Das Güterichterverfahren kann zwei Ausgänge haben. Im Idealfall erarbeiten die Beteiligten mit Unterstützung des Güterichters eine einvernehmliche Lösung ihres Konflikts. Diese Einigung wird protokolliert und erlangt dadurch rechtliche Verbindlichkeit. In der Regel wird das Klageverfahren auf dieser Grundlage beendet, beispielsweise durch einen gerichtlichen Vergleich oder durch eine übereinstimmende Erledigungserklärung, oft verbunden mit einer entsprechenden Änderung des angefochtenen Steuerbescheids durch das Finanzamt. Die selbst erarbeitete Lösung führt in der Regel zu einer hohen Akzeptanz und befriedet den Konflikt nachhaltig.
Sollte es wider Erwarten nicht zu einer Einigung kommen, teilt der Güterichter dies dem zuständigen Senat mit, ohne dabei Gründe für das Scheitern zu nennen. Das ruhende Klageverfahren wird dann automatisch wieder aufgenommen und ohne Nachteile für eine der Parteien fortgesetzt. Der Fall geht zurück an den entscheidenden Senat, der das Verfahren so weiterführt, als hätte es die Güteverhandlung nie gegeben. Durch die strikte Vertraulichkeit ist sichergestellt, dass das Gericht unvoreingenommen in die streitige Verhandlung und Entscheidung geht.
Kosten und Nutzen im des Güterichterverfahrens
Ein oft entscheidender Punkt für die Wahl des Verfahrens sind die Kosten. Hier bietet das Güterichterverfahren einen erheblichen Vorteil: Für die Durchführung des Güterichterverfahrens selbst fallen keine zusätzlichen Gerichtsgebühren an. Die Kosten des Rechtsstreits richten sich weiterhin nach dem regulären Gerichts- und Kostengesetz. Gelingt eine Einigung, können die Kosten oft sogar reduziert werden, da ein langwieriges streitiges Verfahren mit möglicherweise mehreren Instanzen vermieden wird. Anwaltskosten fallen für die Vertretung im Güterichterverfahren zwar an, doch durch die in der Regel schnellere und effizientere Erledigung kann auch hier im Vergleich zu einem vollumfänglich durchgeführten Klageverfahren eine Ersparnis eintreten. Der größte Nutzen liegt jedoch oft im Immateriellen: der Beendigung eines nervenaufreibenden Streits, der Wiederherstellung einer funktionierenden Kommunikationsebene mit der Finanzverwaltung und der Gewinnung von Rechtssicherheit.