Die Antragsteller wenden sich gegen § 7 Abs. 1 S. 2 der Siebten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 7. SARS-CoV-2-EindV) vom 30.06.2020 (GVBl. S. 321).
Sie beantragen sinngemäß, § 7 Abs. 1 Satz 2 der Siebten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 7. SARS-CoV-2-EindV) vom 30.06.2020 (GVBl. S. 321) im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, dass die Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV ihre Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt – LVerf – vom 16.07.1992 (GVBl. S. 600), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 20.03.2020 (GVBl. S. 64) auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (allgemeine Handlungsfreiheit) und aus Art. 15 Abs. 1 LVerf auf Freizügigkeit der Person verletze.
Hierzu tragen sie vor, die Landesregierung habe in den seit dem 17.03.2020 erlassenen Verordnungen zunächst auf eine Maskenpflicht verzichtet und sich darauf beschränkt, die Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung dringend zu empfehlen. Erst nachdem die Zahl der Neuinfektionen in Sachsen-Anhalt bereits kontinuierlich gefallen sei, habe die Landesregierung mit der Verordnung zur Änderung der Vierten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt vom 21.04.2020 (GVBl. S. 205) erstmals die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personennahverkehr und in Ladengeschäften eingeführt. Diese Verpflichtung sei in den folgenden Verordnungen über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt beibehalten worden.
Die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung sei formell und materiell verfassungswidrig.
Als Rechtsgrundlage der Siebten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung habe die Landesregierung im Einleitungssatz der Verordnung § 32 S. 1, § 54 S. 1 IfSG (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen – Infektionsschutzgesetz) benannt.
Nach § 28 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 1 IfSG könne die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten notwendig ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder ein Ausscheider war. Diese Voraussetzung treffe auf den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung des Landes nicht zu.
Nach § 28 Abs. 1 S. 1 Halbsatz 2 IfSG könne die zuständige Behörde Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach dieser Regelung wären grundsätzlich alle Bürger erfasst, die sich in Sachsen-Anhalt aufhalten, da die Landesregierung die Maskenpflicht hierauf stütze. Es sei jedoch verfassungsrechtlich mehr als bedenklich, dass eine Generalklausel, die von Personen spreche, hinsichtlich der Beschränkung des Freizügigkeitsrechts die gesamte Bevölkerung erfassen solle und dies gerechtfertigt sei. Insofern sei das verfassungsrechtlich gebotene Bestimmtheitserfordernis grundrechtseinschränkender Maßnahmen nicht gewahrt.
Die Landesregierung sei auch dann, wenn der Gesetzgeber die Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes bewusst so weit gefasst habe, jedenfalls nicht legitimiert, als Exekutive im Wege der Verordnung eine solch umfangreiche und die gesamte Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt erfassende grundrechtseinschränkende Maßnahme weiterhin und seit über vier Monaten ohne Beteiligung der Legislative, die das Volk als Souverän vertrete, zu treffen. Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichteten vielmehr den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgebenden Regelungen im Wesentlichen selbst zu treffen und diese Entscheidungen nicht der Exekutive zu überlassen.
Die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung sei die siebente Rechtsverordnung der Landesregierung innerhalb von vier Monaten und die dritte Verordnung innerhalb von drei Monaten, die eine Maskenpflicht vorsehe, ohne dass das Landesparlament beteiligt gewesen sei. Dadurch werde die von Art. 79 Abs. 1 S. 2 LVerf normierte Bestimmung des Inhalts, Zwecks und Ausmaßes einer erteilten Ermächtigung durch Rechtsverordnung seit langem und umfangreich rechtswidrig überschritten.
Nach den Prinzipien des Gefahrenabwehrrechts dürften Personen, die für eine Gefahr nicht verantwortlich seien, grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden. Die Antragsteller und der ganz weit überwiegende Teil der Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt seien nicht krank, krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder als Ausscheider von infektiösen Stoffen festgestellt und deshalb nicht Störer im Sinne des Infektionsschutzgesetzes. Selbst wenn man unter Berücksichtigung einer Dunkelziffer von 2.000 infizierten Personen – mithin einem Bevölkerungsanteil von 0,09 % – ausgehen wollte, ergäbe sich, dass 99,91 % der Bevölkerung des Landes Sachsen-Anhalt Nichtstörer seien.
Schon bei Beginn der Corona-Krise sei klar gewesen, dass von diesem Virus und der durch ihn ausgelösten Erkrankung weit überwiegend besondere Personengruppen, nämlich die als vulnerabel (verwundbar, verletzbar) bezeichneten Personen – Kranke, Vorgeschädigte, alte Menschen – von Krankheitssymptomen, ggf. notwendiger intensivmedizinischer Betreuung und eventuell auch dem Tod betroffen sein würden. Die Landesregierung habe es versäumt, die vulnerablen Gruppen der Bevölkerung von Anfang an einem besonderen Schutz, nämlich einem besonderen Regiment der Hygiene und anderer Schutzanforderungen zu unterstellen. Ein spürbares Infektionsgeschehen sei nur in völlig anderen Situationen zu erwarten als in denen, die die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung regelt.
Die Verletzung des Grundrechts auf Freizügigkeit aus Art. 15 Abs. 1 LVerf ergebe sich daraus, dass § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV den Antragstellern den Aufenthalt und der Einkauf in einem Ladengeschäft entgegen den zuvor geltenden normalen Bedingungen durch eine staatliche Regelung ohne Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung untersage. Der Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit sei nicht gerechtfertigt, da er nicht auf eine datenbasierte Prognose zum Infektionsgeschehen gedeckt sei.
Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei eingeführt worden, als das Infektionsgeschehen bereits seit längerem durch kontinuierlich sinkende Zahlen der Neuinfizierten gekennzeichnet gewesen sei. Die Zahl der Neuinfizierten habe auch weit unter der (bundesweit als Empfehlung geltenden) Orientierungszahl von 50 Neuinfizierten je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen gelegen, ebenso unter der in Sachsen-Anhalt vorgesehenen geringeren Grenze von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. Auch könne man insoweit nicht darauf abstellen, dass die Auswirkungen der Öffnung des Landes für Einreisen zu touristischen Zwecken nicht abschätzbar seien, denn diese Öffnung (und andere Lockerungsmaßnahmen) hätten zum Zeitpunkt der Einführung der Maskenpflicht bereits mehr als 14 Tage zurückgelegen. Es stelle sich daher die Frage, welche Änderung der epidemischen Lage ab dem 21.04.2020 eingetreten sei, die die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung rechtfertige. Die Landesregierung müsse sich fragen lassen, welche Daten sie ihrer Entscheidung zur Einführung der Maskenpflicht zugrunde gelegt habe.
Die Anordnung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei unverhältnismäßig. Nach – wissenschaftlich nicht unbestrittener – Einschätzung solle das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ein geeignetes Mittel sein, um Infektionen, die von einem infizierten Maskenträger ausgehen können, gegenüber Nichtinfizierten zu verhindern. Von den bekannten genesenen Personen und von mindestens 2,2 Millionen bisher als nicht infiziert bekannten Einwohnern des Landes gehe bereits kein Infektionsrisiko aus. Deren Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung sei daher ein ungeeignetes Mittel. Jedenfalls sei es unverhältnismäßig, einer um das Viertausendfache größeren Personenzahl eine Pflicht aufzuerlegen, die eigentlich nur der kleineren Zahl von (infizierten) Personen aufzuerlegen wäre.
Die Verletzung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 LVerf ergebe sich daraus, dass die Antragsteller zu einem Verhalten gezwungen würden, zu dem sie ansonsten – d. h. ohne § 7 der 7. SARS-CoV-2-EindV – keine Veranlassung hätten. Auch diese Einschränkung sei aus den angeführten Gründen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.
In diesem Zusammenhang sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die in den letzten Wochen punktuell aufgetretenen Ausbrüche gezeigt hätten, dass das Infektionsgeschehen bei solchen punktuell auftretenden Ereignissen mit gezielten Maßnahmen (lokal begrenzte Quarantänemaßnahmen und regionale Beschränkungen) innerhalb von zwei oder drei Wochen wieder soweit eingedämmt werden könne, dass eine „Entwarnung“ möglich sei. Die tatsächliche Gefahr sei deshalb bereits seit Mitte April 2020 und auch noch aktuell so gering, dass sich angeordnete Maßnahme, in Einzelhandelsgeschäften eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, nicht rechtfertigen lasse.
Dies gelte umso mehr, als die Beachtung der Maskenpflicht staatlicherseits nicht überwacht werde und die praktische Handhabung der Mund-Nasen-Bedeckung in der Praxis vielfach nicht den Hygieneregeln entspreche, weil die Mund-Nasen-Bedeckung z. B. mehrfach verwendet werde oder bei ihrem Gebrauch die Nase nicht verdeckt werde.
Auch für die befürchtete Überlastung der Klinikkapazitäten bzw. Kapazitäten des Gesundheitssystems gebe es keine belastbaren Daten.
Der Anordnungsgrund für die begehrte einstweilige Anordnung ergebe sich schließlich daraus, dass es den Antragstellern nicht zumutbar sei, seit drei Monaten und noch weiterhin mit einer Regelung konfrontiert zu sein, die grundrechtswidrig sei und sie in nicht gerechtfertigter Weise in ihren Grundrechten verletze. Die Abwägung zwischen dem angestrebten Schutz einer unbekannten Anzahl von Personen einerseits und den Grundrechten auf Freizügigkeit, Handlungsfreiheit und freie Entfaltung der Person der Antragsteller andererseits könne trotz des hohen Stellenwertes, der der Unverletzlichkeit des Körpers und der Gesundheit zukomme, nur zugunsten der Antragsteller ausfallen. Dafür spreche neben den bereits angeführten Erwägungen insbesondere auch der Umstand, dass der sog. Reproduktionsfaktor (R-Zahl) schon seit längerem weit unter 1,0 liege, d. h. eine mit dem Virus infizierte Person infiziere ihrerseits durchschnittlich deutlich weniger als eine weitere Person. Es bestehe daher keine – erst recht keine erhöhte – Gefahr oder überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass ohne Maskenpflicht eine unüberschaubar große Anzahl von Menschen in kurzer Zeit infiziert werden könnte. Auch seien die Belastungen zu bedenken, die mit einem stundenlangen Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung während der Arbeit verbunden seien, deren gesundheitliche Auswirkungen nicht abschätzbar seien.
Die Antragstellerin zu 6) beantragte mit Schriftsatz vom 25.05.2020 bei dem Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt gemäß § 47 Abs. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, § 2 Abs. 2 S. 1, § 3 Abs. 2 S. 1, § 7 Abs. 1 S. 2 der 5. SARS-CoV-2-EindV vorläufig außer Vollzug zu setzen. Dieser Antrag wurde nach dem Inkrafttreten der Sechsten Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Sachsen-Anhalt (Sechste SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – 6. SARS-CoV-2-EindV) vom 26.05.2020 (GVBl. S. 256) auf die wortidentischen Regelungen in § 2 Abs. 2 S. 1, § 7 Abs. 1 S. 2 der 6. SARS-CoV-2-EindV und auf den im wesentlichen inhaltsgleichen § 3 Abs. 2 S. 1 der 6. SARS-CoV-2-EindV umgestellt.
Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt lehnte den Antrag mit Beschluss vom 11.06.2020 – Az:
3 R 102/20 – ab. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Eindämmungsverordnungen fänden in § 32 S. 1 IfSG eine hinreichende gesetzliche Grundlage und verstießen insbesondere nicht gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz. Die Maskenpflicht sei eine geeignete Maßnahme, um Neuinfektionen möglichst zu verhindern, um damit den sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes – GG – ergebenden staatlichen Schutzauftrag für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potentiell sehr großen Zahl von Menschen zu erfüllen. Dabei sei der auch im Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen seien, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sei. Nach der Risikobewertung des Robert-Koch-Institutes (RKI) sei die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland derzeit insgesamt als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch einzuschätzen. Der mit der Anordnung der Maskenpflicht verbundene Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit sei angesichts der überragend wichtigen Gemeinwohlbelange wie des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Bevölkerung verhältnismäßig.
Die Entscheidungsbefugnis der Kammer folgt aus § 50b Abs. 2 des Gesetzes über das Landesverfassungsgericht (Landesverfassungsgerichtsgesetz) – LVerfGG – vom 23.08.1993 (GVBl. S. 441), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.06.2018 (GVBl. S. 162).
Gemäß § 31 Abs. 1 LVerfGG kann das Landesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist – unbeschadet der Befugnis des Landesverfassungsgerichts zum Erlass einstweiliger Anordnungen von Amts wegen – zulässig.
a. Das zur Statthaftigkeit des Antrags erforderliche Hauptsacheverfahren ist ein Verfassungsbeschwerdeverfahren nach Art. 75 Nr. 8 LVerf und § 2 Nr. 7a, § 47 Abs. 1 LVerfGG. Darin entscheidet das Landesverfassungsgericht über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch ein Landesgesetz oder einen sonstigen Akt der öffentlichen Gewalt des Landes gegenwärtig unmittelbar in einem seiner in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt verbürgten Grundrechte, grundrechtsgleichen Rechte oder staatsbürgerlichen Rechte verletzt zu sein.
aa. Die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung ist ein sonstiger Akt der öffentlichen Gewalt und als solcher – zusammen mit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts über eine noch zu beantragende verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO, mit der der Rechtsweg jedenfalls hinsichtlich der im wesentlichen gleichen Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 der 6. SARS-CoV-2-EindV, nach weiterer Umstellung auf die an deren Stelle getretene 7. SARS-CoV-2-EindV auch hiergegen ausgeschöpft sein wird – ein zulässiger Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde.
bb. Der Antrag auf eine einstweilige Anordnung kann bereits vor Anhängigkeit der Verfassungsbeschwerde gestellt werden. Er kann auch vor Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache gestellt werden, sofern die Möglichkeiten des Eilrechtsschutzes durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 47 Abs. 6 VwGO ihrerseits im Sinne der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ausgeschöpft sind (s. u. c.).
cc. Hauptsacheanträge im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht nach § 47 VwGO sind aus dem Vortrag der Antragsteller nicht ersichtlich. Sie können gemäß § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO noch innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Siebten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung, praktisch freilich nur bis zu ihrem früheren Außerkrafttreten, eine Normenkontrolle beantragen und gegen eine abweisende Entscheidung Verfassungsbeschwerde erheben. Unter welchen Bedingungen sie auch ohne vorausgehende verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle unmittelbar gegen die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung Verfassungsbeschwerde erheben und schon im Vorgriff darauf eine einstweilige Anordnung beantragen können, ist eine Frage der Subsidiarität (s. u. c.).
b. Die Antragsteller sind antragsbefugt.
aa. Auf die Behauptung, ihr Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 15 LVerf sei verletzt, können sie die Antragsbefugnis allerdings nicht stützen. Nach Art. 15 Abs. 1 LVerf genießen alle Deutschen in Sachsen-Anhalt Freizügigkeit. Freizügigkeit bedeutet das Recht des Zugangs und Aufenthalts, d. h. das Recht, ungehindert an jedem Ort innerhalb von Sachsen-Anhalt Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, auch zu diesem Zweck nach Sachsen-Anhalt einzureisen. Dieses Recht wird durch die Verpflichtung, in geschlossenen Räumen von Ladengeschäften eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen, nicht eingeschränkt. Der vorübergehende Aufenthalt als Besucher oder Kunde in Ladengeschäften trägt nicht die Merkmale des Aufenthalts von einer gewissen Dauer, Bedeutung und räumlichen Reichweite, der Gegenstand des Schutzes durch das Grundrecht der Freizügigkeit ist. Daher ist eine Verletzung dieses Grundrechts durch § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV von vornherein unter keinem denkbaren Gesichtspunkt möglich und kann von den Antragstellern nicht geltend gemacht werden im Sinne der Antragsbefugnis gemäß § 47 Abs. 1 LVerfGG.
bb. Die Antragsteller können aber geltend machen, durch die Anwendung des § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV selbst, unmittelbar und gegenwärtig in ihrem Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 LVerf verletzt zu sein. Die angegriffene Vorschrift verpflichtet alle Besucher von Ladengeschäften, Messen, Ausstellungen, Spezial- und Jahrmärkten, in geschlossenen Räumen eine Mund-Nasen-Bedeckung gemäß § 1 Abs. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV zu tragen, sofern sie nicht unter die dort geregelten Ausnahmen fallen. Die Erfüllung dieser Pflicht ist die Bedingung dafür, die geschlossenen Räume von Ladengeschäften und der anderen genannten Einrichtungen betreten zu können. Damit greift § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV in die Allgemeine Handlungsfreiheit ein. Der Eingriff ist zwar abstrakt-generell gefasst, wirkt aber unmittelbar, also ohne einen vermittelnden Zwischenakt auf das grundrechtlich geschützte Interesse ein, ohne Mund-Nasen-Bedeckung die geschlossenen Räume der genannten Einrichtungen zu betreten. Der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz ist nicht erst gegeben, wenn die Verpflichtung in einem Einzelfall durch einen Akt der öffentlichen Gewalt oder auf dem in § 7 Abs. 4 der 7. SARS-CoV-2-EindV vorgesehenen Weg des privaten Hausverbots, zu dem die Hausrechtsinhaber verpflichtet sind, durchgesetzt wird. Vielmehr deckt sich die unmittelbare Betroffenheit insoweit mit der Antragsberechtigung nach § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO, die dementsprechend auch den gemäß § 47 Abs. 3 LVerfGG zu erschöpfenden Rechtsweg bestimmt. Die Antragsteller gehören selbst zum Kreis der so betroffenen Grundrechtsträger.
c. Der Grundsatz der Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Verfahrens schließt die Zulässigkeit des Antrags vorliegend nicht aus.
aa. Der Grundsatz der Subsidiarität gilt auch für das Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 31 LVerfGG. Demnach muss sich der Antragsteller auch bei ihn unmittelbar – ohne weiteren Vollzugsakt – betreffenden Normen vor der Einleitung eines Verfahrens nach § 31 LVerfGG grundsätzlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bemühen, zunächst die Fachgerichte mit der von ihm beanstandeten Norm zu befassen.
bb. Für das Begehren, die Anwendung der Siebten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung im Wege des Eilrechtsschutzes auszusetzen, besteht die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung im Rahmen der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 10 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung und des Bundesdisziplinargesetzes – AG VwGO LSA – vom 28.01.1992 (GVBl. S. 36), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.02.2017 (GVBl. S. 14).
cc. Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO hat die Antragstellerin zu 6) gegen die Sechste SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung gerichtet, nicht gegen die an deren Stelle getretene und hier gegenständliche Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung. Dement-sprechend hat der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 11.06.2020 – Az:
3 R 102/20 –, mit dem der Antrag auf eine einstweilige Anordnung abgelehnt wurde, die Anwendung der Sechsten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung zum Gegenstand. Die angegriffenen Vorschriften sind aber im Hinblick auf den geltend gemachten Grundrechtseingriff in § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV inhaltsgleich. Lediglich der Anwendungsbereich der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung hat sich geändert, indem er der Erweiterung der Öffnung für den Publikumsverkehr auch von Messen, Ausstellungen, Spezial- und Jahrmärkten angepasst wurde. Die Subsidiarität des verfassungsgerichtlichen Verfahrens verlangt nicht, dass die Antragstellerin zu 6) nach Erhebung eines Normenkontrollantrags gegen die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung nochmals beim Oberverwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung beantragt, bevor sie den Eilrechtsschutz beim Landesverfassungsgericht sucht.
dd. Die Antragsteller zu 1) bis 5) beantragen die einstweilige Anordnung im Vorgriff auf Verfassungsbeschwerden, die sie entweder nach erfolglosem Abschluss eines weiteren verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO oder ohne ein weiteres solches Verfahren unmittelbar gegen die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung richten können.
Der Grundsatz, dass jeder Beschwerdeführer in eigener Person den Rechtsweg erschöpft und von allen weiteren Möglichkeiten zur Abhilfe Gebrauch gemacht haben muss, bevor er zulässig das Landesverfassungsgericht anrufen kann, gilt nicht in Fällen, in denen solche Möglichkeiten keine effektive Abhilfe versprechen. Dies kann sich etwa daraus ergeben, dass eine gefestigte jüngere und einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung keinen Raum für die Erwartung lässt, dass das im konkreten Fall anzurufende Gericht eine von dieser Rechtsprechung abweichende Entscheidung fällen wird.
So liegt es hier im Hinblick auf den Eilrechtsschutz in einem verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren vor dem allein zuständigen Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt gemäß § 47 VwGO. In seinem Beschluss vom 11.06.2020 – 3 R 102/20 –, mit dem der Antrag der Antragstellerin zu 6) auf eine einstweilige Anordnung abgelehnt wurde, hat sich das Oberverwaltungsgericht in allen grundrechtserheblichen Fragen in Bezug auf das Begehren einer vorläufigen Aussetzung der Anwendung der Sechsten, jetzt Siebten SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung festgelegt. Gesichtspunkte, die besonders auf die Antragstellerin zu 6) und ihr Vorbringen bezogen wären und für die Antragsteller zu 1) bis 5) zu einer abweichenden Entscheidung führen könnten, sind nicht ersichtlich.
Es liegt in der Natur der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO, dass die erheblichen Rechtsfragen für alle Adressaten der angegriffenen Norm unabhängig von der Person des Antragstellers einheitlich zu beurteilen sind. Nur wenn der Erfolg eines Normenkontrollantrags daran scheitert, dass der Antragsteller durch die Anwendung der Norm nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt ist oder in absehbarer Zeit verletzt wird, wie § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO es voraussetzt, lässt sich daraus nicht unbedingt auf die Erfolgsaussichten der Anträge anderer Antragsteller schließen. Das ist bei der auf Antrag der Antragstellerin zu 6) getroffenen Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 11.06.2020 nicht der Fall. Ansonsten aber wirkt die in der Entscheidung getroffene objektiv-rechtliche Feststellung über die Gültigkeit oder Ungültigkeit der angegriffenen Norm über das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und der normgebenden Körperschaft hinaus. So ist gemäß § 47 Abs. 5 S. 1 VwGO die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, in der es von der Ungültigkeit der angegriffenen Rechtsvorschrift überzeugt ist und sie deshalb für unwirksam erklärt, allgemeinverbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Deshalb ist im umgekehrten Fall grundsätzlich nicht zu erwarten, dass eine einmal bestätigte Rechtsvorschrift auf den weiteren Antrag eines anderen Antragstellers hin vom selben Gericht für ungültig erklärt wird, wenn sich nicht irgendein für die objektiv-rechtliche Beurteilung maßgeblicher Umstand inzwischen zumindest möglicherweise geändert hat.
Für das Begehren, die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung im Wege des Eilrechtsschutzes nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Anwendung zu setzen, verspräche nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 11.06.2020 über den entsprechenden Antrag der Antragstellerin zu 6) ein weiterer Antrag der Antragsteller zu 1) bis 5) offensichtlich keinen Erfolg. Demgemäß tritt das verfassungsgerichtliche Verfahren über dieses Begehren nicht wegen Subsidiarität hinter eine solche Wiederholung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zurück.
2. Der Antrag ist unbegründet. Die beantragte vorläufige Außervollzugsetzung des § 7 Abs. 1 Satz 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV im Wege der einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl nicht dringend geboten.
a. Dies ergibt sich allerdings nicht aus einer offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit der in der Hauptsache zu erhebenden Verfassungsbeschwerde. Zweifel an der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde sind nicht veranlasst (vgl. oben unter 1.). Auch die Begründetheit einer Verfassungsbeschwerde kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
aa. Zwar bieten die materiell-rechtlichen Maßstäbe für die Rechtfertigung des mit § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV gegebenen Eingriffs in das Grundrecht der Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 LVerf kaum Ansatzpunkte dafür, die vergleichsweise geringfügige Beeinträchtigung des Interesses am Betreten geschlossener Räume im Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 S. 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV ohne Mund-Nase-Bedeckung gegenüber der Eindämmung eines drohenden exponentiellen pandemischen Infektionsgeschehens mit erheblichen Schäden an Leben und Gesundheit vieler Menschen in einer anhaltenden Situation der Ungewissheit über Infektionswege, Infektionsraten und zahlreiche weitere Parameter als unverhältnismäßig zu beurteilen.
bb. Aber die verfassungsgerichtliche Beurteilung, ob die formellrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung und ihre gesetzliche Grundlage erfüllt werden, ist offen. Der Vorbehalt einer parlamentsgesetzlichen Entscheidung über alle wesentlichen Maßgaben für Grundrechtseingriffe setzt der Regelung von Grundrechtseingriffen durch Verordnung Grenzen. Durch Verordnung können keine Grundrechtseingriffe vorgesehen werden, die nicht nach Inhalt, Zweck und Ausmaß in der gesetzlichen Verordnungsermächtigung selbst hinreichend bestimmt sind. Ob und mit welcher Reichweite § 32 S. 1 IfSG, auf den die Siebte SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung insoweit gestützt ist, in Verbindung mit § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG, auf den § 32 S. 1 IfSG verweist, mit den dort geregelten Maßnahmen gegenüber „Personen“ auch an die Allgemeinheit gerichtete Gebote und Verbote im Verordnungswege trägt, solange nicht der Landesgesetzgeber durch eine konkretisierende Regelung die mit dem Vorbehalt des Gesetzes geforderte parlamentarische Legitimation gemäß Art. 80 Abs. 4 GG sichert, bedarf eingehender Prüfung in einem Hauptsacheverfahren. Ebenso muss hier offenbleiben, welche regelungstechnischen Anforderungen das Rechtsstaatsprinzip an die Klarheit des Regelungskonzepts im Kontext eines Grundrechtseingriffs stellt.
b. Bei demgemäß nicht offensichtlich unzulässiger oder unbegründeter Hauptsache ist eine Anordnung dringend geboten, wenn die Nachteile, die ohne einstweilige Anordnung bei späterem Erfolg des Antrags in der Hauptsache entstünden, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch die einstweilige Anordnung bei späterer Erfolglosigkeit des Antrags in der Hauptsache entstünden.
Ergeht die einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich eine Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache später als erfolgreich, wäre § 7 Abs. 1 Satz 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV bis dahin angewendet worden und hätte – unter der gesetzten Annahme – die Allgemeine Handlungsfreiheit durch eine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in geschlossenen Räumen in seinem Anwendungsbereich verletzt. Dieser Nachteil wäre vergleichsweise geringen Umfangs und ohne weitergehende Folgen auf den Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache beschränkt.
Erginge die einstweilige Anordnung, ohne dass später eine Verfassungsbeschwerde zur Nichtigerklärung des § 7 Abs. 1 Satz 2 der 7. SARS-CoV-2-EindV führt, wäre die mit der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beabsichtigte und unter der gesetzten Annahme auch in gewissem Umfang erreichbare eindämmende Wirkung auf das Infektionsgeschehen ausgesetzt. Der Nachteil bestände dann darin, dass zumindest die Gefahr einer höheren Infektionsrate hinzunehmen wäre, ein entsprechender, eigentlich vermeidbarer Beitrag zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 nicht vermieden würde und in dem Maß, in dem sich dadurch die Infektionszahlen erhöhten, mehr Krankheits- und Todesfälle aufträten, dies wiederum mit einer potentiell entsprechenden Beanspruchung der Reserven für die Belastung der Gesundheits-Infrastruktur.
Diese möglichen Nachteile für den Infektionsschutz und seine Schutzgüter wiegen erheblich schwerer als die ihnen gegenüberstehenden Nachteile für die Allgemeine Handlungsfreiheit. Umso weniger ist die vorläufige Aussetzung des Verordnungsvollzugs durch eine einstweilige Anordnung geboten.