Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO zu beurteilende Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage (Az: 7 A 707/20) gegen die sofort vollziehbare Allgemeinverfügung des Antragsgegners „zur Beschränkung von sozialen Kontakten im öffentlichen Bereich angesichts der Corona-Epidemie und zum Schutz der Bevölkerung vor der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet des Landkreises Friesland“ vom 18. März 2020, mit welcher insbesondere die Nutzung einer Nebenwohnung im Landkreis Friesland untersagt wird, anzuordnen, über den der Berichterstatter nach Übertragung durch die Kammer (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Ansehung der „Leitentscheidung“ der Kammer vom 27. März 2020 (Az:
7 B 721/20) als Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage im Falle des vorliegend aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG folgenden gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Für den Erfolg eines Antrags nach § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO ist in materieller Hinsicht entscheidend, ob das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Allgemeinverfügung zu bewerten ist. Im Rahmen dieser gerichtlichen Abwägung der widerstreitenden Interessen sind die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. Hier spricht Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahme. Nach dieser materiell-akzessorischen Prüfung ist der Antrag abzulehnen (dazu 1.)
Lässt sich die Rechtmäßigkeit im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eindeutig beurteilen, bedarf es schließlich einer allgemeinen Interessenabwägung im Sinne einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen gegenüberzustellen, die einerseits eintreten, wenn dem Antrag stattgegeben wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweist bzw. die andererseits eintreten, wenn der Antrag abgelehnt wird, der Bescheid sich aber später im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist. Da das Gericht auf Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnisse und der Kürze der für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit eine abschließende rechtliche Bewertung der in Form der Allgemeinverfügung gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 35 Satz 2 VwVfG getroffenen Anordnung in hinreichender Tiefe und Schärfe erst im Hauptsacheverfahren vorzunehmen vermag, nimmt es ergänzend hier auch diese Güterabwägung vor, nach welcher der Eilantrag ebenfalls ohne Erfolg bleiben muss (dazu 2.).
1.
Die angegriffene Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 lässt sich voraussichtlich auf die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG stützen. Hiernach trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen insbesondere für den Fall, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
Bei der sich gegenwärtig weltweit verbreitenden Erkrankung COVID-19, die durch den Coronavirus (SARS-CoV-2) verursacht wird, handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Nr. 3 IfSG. Eine Übertragung der Erkrankung erfolgt in der Bevölkerung hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Theoretisch denkbar und wohl auch möglich sind daneben andere Übertragungswege und –arten, z.B. eine Schmierinfektion oder eine Ansteckung über die Bindehaut der Augen.
Im Gebiet des Antragsgegners mussten in der Vergangenheit bereits Kranke festgestellt werden. Am 29. März 2020 wurden für das gesamte Gebiet des Antragsgegners 10 Corona-Infektionen bestätigt. In Niedersachsen gibt es derzeit 3.732 bestätigte Infektionen, bundesweit sind es 57.298. Dies lässt das Gericht hinreichend sein, um von der Pflicht des Antragsgegners zum Einschreiten auszugehen.
Die zuständige Behörde ist zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen grundsätzlich verpflichtet – ein behördliches Ermessen besteht ausschließlich mit Blick auf die Auswahl der gebotenen Maßnahmen gegen die Verbreitung übertragbarer Krankheiten. Das Auswahlermessen erfährt hierbei wiederum dadurch eine Beschränkung, dass die gewählte Maßnahme ausweislich des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG „notwendig“ und somit zur Verhinderung einer (fortschreitenden) Verbreitung der Krankheit geboten sein muss. Im Übrigen sind dem Ermessen – ganz allgemein und so auch hier – durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Grenzen gesetzt.
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der durch die angegriffene Allgemeinverfügung angeordneten Nutzungsuntersagung von Nebenwohnungen im Gebiet des Antragsgegners ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, nach welchem um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Für eine Übertragung dieses Grundsatzes auf den Bereich des Infektionsschutzrechts spricht neben der Zielsetzung, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), auch die Tatsache, dass einzelne Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und den Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit unterschiedlich gefährlich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.
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