Wir lösen Ihr Rechtsproblem! Stellen Sie uns jetzt Ihre Fragen.Bewertung: - bereits 393.246 Anfragen

Untersagung des Betriebs von Fitnessstudios in Innenräumen

Corona-Virus | Lesezeit: ca. 12 Minuten

Mit ihrem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO verfolgt die Antragstellerin sinngemäß das Ziel, den Vollzug von § 11 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) vom 5. Mai 2020 (2126-1-8-G, BayMBl. 2020 Nr. 240) in der Fassung vom 20 Mai 2020 (2126-1-8-G; BayMBl. Nr. 287) einstweilen auszusetzen, soweit der Betrieb von Fitnessstudios in Innenräumen ausnahmslos untersagt wird.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich bei den als II. und III. bezeichneten Anträgen der Antragstellerin bei einer am Rechtsschutzziel orientieren Auslegung um einen Antrag handelt. Ziel des Normenkontrolleilantrags ist es dem Wortlaut nach, die vorläufige Außervollzugsetzung des § 11 4. BayIfSMV zu erreichen, soweit der Betrieb der Fitnesstudios der Antragstellerin im Innenbereich ausnahmslos (im Hlfsantrag II weitergehend differenziert) untersagt wird. Da das Gericht nach § 47 Abs. 6 VwGO Normen im Falle einer Stattgabe nur insgesamt außer Vollzug setzen kann und ihm nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung keine Rechtssetzungsbefugnis zusteht, richtet sich der Eilantrag nach mit § 47 Abs. 6 VwGO in Einklang stehender Auslegung (§ 88 VwGO) auf eine Außervollzugsetzung des § 11 4. BayIfSMV bis zu einer Entscheidung über den gleichzeitig erhobeben Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 VwGO in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen nach Auffassung des Senats nach Vornahme einer Folgenabwägung im Ergebnis nicht vor.

1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn - wie hier - die in der Hauptsache angegriffenen Normen in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthalten oder begründen, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung ? trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache ? dringend geboten ist.

2. Nach diesen Maßstäben geht der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens für den Normenkontrollantrag von offenen Erfolgsaussichten aus (a.). Aufgrund der vorzunehmenden Folgenabwägung erscheint eine Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm jedenfalls nicht dringend geboten (b.)

a. Bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten sieht sich der Senat mit einer Vielzahl komplexer fachlicher und rechtlicher Fragen konfrontiert, die einer abschließenden Klärung in einem Eilverfahren nicht zugänglich sind. Es handelt sich bei der Corona-Pandemie um ein seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland erstmalig auftretendes Ereignis, das derzeit mit bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen gehandhabt wird, die auf eine Pandemie dieser Größenordnung nicht zugeschnitten sind. Es wird deshalb in einem Hauptsacheverfahren zu klären sein, ob die aufgrund der 4. BayIfSMV getroffenen Maßnahmen letztlich mit den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts vereinbar sind, da erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein aufgrund §§ 28, 32 IfSG durch die Exekutive erfolgen. Weiterhin bleibt der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob - und wenn ja, in welchem Umfang - dem Verordnungsgeber ein Beurteilungsspielraum bei der Entscheidung zusteht, in welchen Schritten und nach welchen Kriterien er die aus Gründen der Unterbrechung von Infektionsketten geschlossenen Wirtschaftsbereiche wieder öffnet und inwieweit ein solcher gegebenenfalls gerichtlich überprüfbar ist. Ungeklärt ist bislang insbesondere, ob der Begriff der „notwendigen Schutzmaßnahmen“ i.S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ein Ermessen des Verordnungsgebers eröffnen könnte, das auch andere als rein infektionsschutzrechtliche Kriterien bei der Lockerung der Maßnahmen umfasst und seine Grenze in der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen findet.

Diese Fragen sind für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens streitentscheidend, weil sich bei summarischer Prüfung Anhaltspunkte für Grundrechtsverletzungen der Antragstellerin in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG ergeben. Dies gilt im Hinblick auf die Frage, ob von Einrichtungen wie den der Antragstellerin tatsächlich wie vom Antragsgegner behauptet - auch bei eingeschränktem Betrieb unter Beachtung eines Hygienekonzepts - größere Infektionsgefahren ausgehen als von den nach der 4. BayIfSMV zulässigerweise wiedereröffneten Gastronomiebetrieben. Desweiteren ist fraglich, ob die uneingeschränkte Zuordnung der Fitnessstudios in die (nicht homogene) „Gruppe“ der Freizeiteinrichtungen des § 11 4. BayIfSMV mit der Regelungswirkung der ausnahmslosen Betriebsuntersagung im Hinblick auf Sportstätten nach § 9 4. BayIfSMV und Dienstleistungsbetriebe nach § 12 Abs. 3 4. BayIfSMV in Einklang mit Art. 3 Abs. 1 GG steht, da Fitnesstudios nicht ausschließlich zur Freizeitgestaltung genutzt werden, sondern auch zur Gesunderhaltung, als Sportstätte und auch aus medizinischen Gründen im Bereich des Rehabilitationssports und der Physiotherapie.

b. Unter Bezugnahme auf die dargestellte Rechtsprechung ergibt eine Folgenabwägung zwischen den betroffenen Schutzgütern der freien wirtschaftlichen Betätigung aus Art. 12 Abs. 1 GG und dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG mit dem Schutzgut Leben und Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in der gegenwärtigen pandemischen Lage, dass die von der Antragstellerin dargelegten wirtschaftlichen Einbußen hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit einer Vielzahl von Menschen zurücktreten müssen.

Das pandemische Geschehen dauert weiter an. Nach dem aktuellen Situationsbericht des RKI vom 28. Mai 2020 handelt es sich weltweit und in Deutschland weiterhin um eine „sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation“. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an.

In dieser Situation ergibt eine Folgenabwägung, dass die zu erwartenden Folgen einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Norm - insbesondere die mögliche Eröffnung weiterer Infektionsketten - schwerer ins Gewicht fallen als die Folgen ihres einstweilig weiteren Vollzugs, zumal die Wiedereröffnung eines eingeschränkten Betriebes unter Beachtung eines allgemeinen Hygienekonzepts nach den Ankündigungen des Antragsgegners bereits ab dem 8. Juni 2020 wieder möglich sein wird.

In die Folgenabwägung ist auch miteinzubeziehen, dass in Vollzug der 4. BayIfSMV der Betrieb von Fitnessstudios außerhalb der Studioräume im Freien angelehnt an die Kriterien des § 9 4. BayIfSMV zugelassen wird. Desweiteren geht der Senat davon aus, dass der Antragsgegner beim Vollzug der Verordnung dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung trägt, insbesondere Anwendungen in Fitnessstudios aufgrund ärztlicher Verordnung (physiotherapeutische Behandlungen und RehaSport nach § 12 Abs. 3 4. BayIfSMV) einheitlich behandelt.


VGH Bayern, 29.05.2020 - Az: 20 NE 20.1165

Wir lösen Ihr Rechtsproblem! AnwaltOnline - empfohlen von der Wirtschaftswoche

Fragen kostet nichts: Schildern Sie uns Ihr Problem – wir erstellen ein individuelles Rechtsberatungsangebot für Sie.
  Anfrage ohne Risiko    vertraulich    schnell 

So bewerten Mandanten unsere Rechtsberatung

Durchschnitt (4,85 von 5,00 - 1.239 Bewertungen) - Bereits 393.246 Beratungsanfragen

Sehr weitergeholfen und auch im Nachgang noch mal geantwortet und weiter geholfen.
Vielen Dank.

Verifizierter Mandant

Wow, innerhalb eines Tages eine Antwort bekommen. Ich habe nicht viel erwartet und dann kam eine richtig ausführliche Antwort. Damit kann ich erstmal ...

Erik, Oranienburg