Bei der Frage der Verletzung einer Nebenpflicht aus dem Heimvertrag oder der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist maßgeblich auf die Zielrichtung der
Unterbringung des Betroffenen in der Einrichtung abzustellen.
Den Mitarbeitern einer stationären Betreuungseinrichtung ist grundsätzlich ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Frage der Verlegung eines Betreuten in eine geschlossene Einrichtung und bei sonstigen Sicherungsmaßnahmen einzuräumen. Im Rahmen dessen hat grundsätzlich eine umfassende Abwägung der betroffenen Rechtsgüter stattzufinden. Den Interessen der Betroffenen und Dritter an der Vermeidung von Gefahren und Schädigungen sind gegenüberzustellen:
- die Erreichung der bei dem Betroffenen angestrebten therapeutischen und medizinischen Ziele,
- das Interesse des Betroffenen an größtmöglicher Autonomie und
- der Grundsatz der Unterbringung unter normalen Lebensverhältnissen möglichst weitgehend angenäherten Bedingungen.
Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:
Mit Grundurteil vom 11. Juli 2014 hat das Landgericht der Klage dem Grunde nach stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Klägerinnen gegen den Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs. 1 SGB X i.V.m. den §§ 611, 276 BGB haben, da der Beklagte als Betreiber der Pflegeeinrichtung „W. E.“ zwar nicht seine durch die angestellten Pflegekräfte wahrzunehmende Aufsichtspflicht gegenüber der Geschädigten, Frau K. L., jedoch seine Verkehrssicherungspflicht in Hinblick auf die Ausstattung des im Zimmer der Versicherten befindlichen Fensters im 1. Stock verletzt habe.
Entgegen der Ansicht der Kläger habe der Beklagte seine durch die bei ihm angestellten Pflegekräfte wahrzunehmende Aufsichtspflicht gegenüber der Geschädigten nicht dadurch verletzt, dass Frau L. nicht zu dem Toilettengang, der unmittelbar vor dem Fenstersturz stattgefunden habe, begleitet worden sei. Insoweit sei zunächst die Zielrichtung der Unterbringung der Versicherten in der Pflegeeinrichtung zu berücksichtigen, wonach durch Betreuung und heilpädagogische Förderung die Hilfe zur Selbsthilfe sowohl im privaten Bereich als auch bei der Teilnahme am öffentlichen Leben und damit die Eigenständigkeit im lebenspraktischen Bereich und die Sozialkompetenz gefördert werden solle. Dies beinhalte, dass die Heimbewohner unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Behinderungsgrades zur Eigenständigkeit angeleitet werden sollen. Bei dem hier dem Fenstersturz unmittelbar vorausgehenden Toilettengang habe das Personal des Beklagten davon ausgehen dürfen, dass die Versicherte diesen allein und ohne Beaufsichtigung werde durchführen können.
Zu sehen sei aber, dass aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten der Versicherten und deren immer wieder gezeigten Weglauftendenzen eine Verkehrssicherungspflicht dahingehend bestanden habe, das im Zimmer der Versicherten befindliche Fenster so abzusichern, dass es sich nicht vollständig habe öffnen lassen. Ein Heimträger sei grundsätzlich verpflichtet, den Aufenthalt in seiner Einrichtung so zu gestalten, dass jede vermeidbare Gefährdung eines Bewohners ausgeschlossen sei, wozu auch der Schutz der Bewohner vor Selbstgefährdung zu zählen sei, soweit sie erkennbar zu einer vernünftigen Einsicht und zu einem entsprechenden Verhalten nicht in der Lage seien. Aufgrund des zum Unfallzeitpunkt vorliegenden Gutachtens zur Pflegebedürftigkeit der Versicherten sei daher das im Zimmer der Versicherten befindliche Fenster so abzusichern gewesen, dass es nicht vollständig von der Versicherten habe geöffnet werden können. Aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich ergeben, dass der Zustand der Versicherten sich im Jahre 2008 gravierend zu deren Nachteil verändert habe. Zwar habe nicht von einer konkreten Suizidgefährdung der Versicherten ausgegangen werden müssen. Es habe sich aber ergeben, dass diese mitunter die Gefährlichkeit ihres eigenen Handelns nicht sicher einzuschätzen vermochte habe.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt.
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