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Amtshaftungsanspruch: Schmerzensgeld für rechtswidrige Fixierungen während einer Unterbringung?

Betreuungsrecht | Lesezeit: ca. 24 Minuten

Voraussetzung der Amtshaftung ist, dass ein Beamter im haftungsrechtlichen Sinne in Ausübung eines ihm anvertrauten Amtes schuldhaft eine ihm obliegende Amtspflicht verletzt und so einen Schaden verursacht hat, für den - bei nur fahrlässigem Handeln des Beamten - der Geschädigte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

Der Entscheidung lag der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld für nach ihrer Auffassung rechtswidrige Fixierungen während gerichtlich angeordneter Unterbringungen im Juli und September 2016.

Die im fraglichen Zeitraum unter gerichtlich angeordneter Betreuung stehende Klägerin war aufgrund gerichtlicher Unterbringungsanordnung vom 16. Juli bis zum 8. August 2016 in der psychiatrischen Klinik des …in P… untergebracht. Ausweislich der Eintragungen um 10:44 Uhr und 12:25 Uhr in der ärztlichen Dokumentation vom 28. Juli 2016 wurde die Klägerin an diesem Tag auf ärztliche Anordnung zum Zwecke des Transports auf eine andere Station fixiert und medikamentös beruhigt, nachdem die Klägerin laut wurde und schrie und die Situation weiter eskalierte. Auf der aufnehmenden Station wurde sie unmittelbar nach ihrer Übernahme defixiert. Aufgrund weiterer gerichtlicher Unterbringungsanordnung war die Klägerin ab dem 5. September 2016 in derselben psychiatrischen Klinik untergebracht. Sie wurde am 5. September 2016 um 10:00 Uhr auf ärztliche Anordnung Vier-Punkt-fixiert. Bei den ärztlichen Überprüfungen um 12:00 Uhr und 14:00 Uhr schlief die Klägerin tief, um 15:00 Uhr wurde sie defixiert. Am 8. September 2016 wurde sie von 17:00 Uhr bis 18:30 Uhr erneut Vier-Punkt-fixiert.

Die Betreuung wurde im Juli 2017 aufgehoben; die Klägerin erhielt die von ihrem Betreuer bis dahin geführte Akte.

Die Klägerin hat am 30. Dezember 2020 den Erlass eines Mahnbescheides über 10.000 € wegen „Schadenersatz aus Unfall/Vorfall vom 30.12.20“ beantragt, der am 11. Januar 2021 zugestellt worden ist. Die am 16. März 2021 zugestellte Anspruchsbegründung hebt auf Vorfälle aus den Jahren 2013 und 2014 sowie am 27. Juli 2016 ab. Der Schriftsatz vom 24. August 2021, der erstmals auf die genannten Vorfälle vom 28. Juli und aus dem September 2016 abstellt, ist der Beklagten im Termin vom 25. August 2021 zugegangen.

Das Landgericht hat die Klage durch Versäumnisurteil gegen die Klägerin vom 25. August 2021 abgewiesen und dieses auf ihren Einspruch hin mit der angegriffenen Entscheidung aufrechterhalten. Zur Begründung heißt es in dem Urteil, auf dessen tatsächlichen Feststellungen im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird: Der Anspruch sei jedenfalls verjährt, so dass es auf das Vorliegen seiner Voraussetzungen nicht ankomme. Es könne dahinstehen, ob sich die Klägerin das Wissen oder die grob fahrlässige Unkenntnis ihres Betreuers im Jahr 2016 zurechnen lassen müsse. Sie habe jedenfalls im Jahr 2017 Kenntnis vom Inhalt der Betreuungsakte erlangt und im Jahr 2020 keine ausreichende verjährungshemmende Handlung vorgenommen. Der noch in 2020 beantragte Mahnbescheid individualisiere den Anspruch nicht genügend. Die Anspruchsbegründung sei erst nach dem Ablauf der Verjährung eingereicht worden und könne nicht gemäß § 167 ZPO auf den Zeitpunkt des Mahnbescheidantrags zurückbezogen werden. Entsprechend sei die Klageänderung im August 2021 erst nach Verjährungseintritt erfolgt. Dem Beklagten sei es nicht nach Treu und Glauben verwehrt, sich hierauf zu berufen.

Das am 29. April 2022 verkündete Urteil ist der Klägerin am 2. Mai 2022 zugestellt worden, die am 23. Mai 2022 Berufung eingelegt hat. Ihrem Antrag vom 1. Juli 2022 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 2. August 2022 hat der Vorsitzende entsprochen. Die Begründung ist an diesem Tag eingegangen.

Die Klägerin ist der Auffassung, Verjährung sei nicht eingetreten. Sie leide seit 1995 an einer erst im Jahr 2004 diagnostizierten komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Sie sei durchgehend in psychotherapeutischer bzw. psychiatrischer Behandlung, seit 2006 auch regelmäßig stationär. Die Erkrankung gehe mit schweren Wahrnehmungsstörungen einher, die es ihr unmöglich gemacht hätten, die einzelnen bei ihr durchgeführten Fixierungen zeitlich einzuordnen und anzugeben. Ihre schwere psychische Erkrankung habe noch 2016 psychogene Amnesien mit sich gebracht, das heißt Verdrängungen unangenehmer Erinnerungen bei abnormen Erlebnisreaktionen. Diese Störung halte bis heute an. Sie habe sich daher im Mai 2017 nicht an den konkreten Behandlungsverlauf im Juli und September 2016 erinnern können. Das sei ihr erstmals – dunkel und bruchstückhaft – im September 2019 möglich gewesen.

Die gerichtlichen Beschlüsse zur Unterbringung seien ihr stets nur durch Verlesen bekannt gegeben worden und schriftlich nur ihrem Betreuer und dem Verfahrenspfleger zugestellt worden. Fixierungen hätten sich erst aus der Patientenakte ergeben, die sie im Oktober 2019 angefordert aber erst im Februar 2020 erhalten habe. Erst hieraus sei zudem deutlich geworden, dass die Fixierungen nicht richterlich genehmigt worden seien und die Ärzte schuldhaft gehandelt hätten. Diese Informationen seien aber zur Erhebung einer Klage erforderlich gewesen. Ihrem Betreuer seien die Fixierungen nicht bekannt gewesen. Im Übrigen überspanne das Landgericht die Anforderungen an die Individualisierung der Angaben zum Anspruch im Mahnbescheid.

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil. Die zunächst behaupteten Fixierungen hätten, wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, nicht stattgefunden. Für die maßgebliche Frage der Verjährung sei entscheidend allein die Kenntnis der Klägerin von den anspruchsbegründenden Umständen, wozu weder die Rechtswidrigkeit noch das Verschulden des Schädigers gehörten. Diese Kenntnis habe sie spätestens im Jahr 2017 erlangt. Denn mit der Einsicht in die Betreuungsakte habe sie den schadensstiftenden Hergang jedenfalls in seinen Grundzügen erfahren, was genüge. Die Klägerin habe die vermeintlichen Fixierungen im Jahr 2016 selbst erfahren. Es möge sein, dass sie die einzelnen Vorgänge aufgrund ihrer psychischen Verfasstheit nicht mehr im Einzelnen zeitlich einordnen habe können. Eine Amnesie habe bei ihr aber nicht vorgelegen. Sie trage selbst vor, dass sie im Oktober 2019 angegeben habe, in den zurückliegenden Jahren mehrfach fixiert worden zu sein. Der für sie bestellte Betreuer hätte Klage erheben können. Im Jahr 2017 habe sie zudem Einsicht in die Betreuungsakte genommen und so Kenntnis davon erlangt, dass es keine richterliche Genehmigung der zeitlich genau bestimmten Fixierungen gegeben habe. In jedem Fall wäre ihr grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen, nachdem sie noch in 2017 schon die Befürchtung hatte, während der Unterbringungen fixiert worden zu sein. Das Wissen ihres Betreuers sei ihr zuzurechnen. Der Mahnbescheid habe die Verjährung schon wegen der ungenügenden Angaben zur Individualisierung nicht gehemmt. Im Übrigen seien die erfolgten Fixierungen rechtmäßig gewesen.

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