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Kein EU-Krankenversicherungsschutz im nordzypriotischen Landesteil

Sozialrecht | Lesezeit: ca. 6 Minuten

Nach § 13 Abs. 4 und 5 SGB V besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung für im Ausland erbrachte Krankenhausleistungen nur, wenn die Behandlung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem EWR-Vertragsstaat oder der Schweiz erfolgt. Maßgeblich ist dabei, dass das Recht der Europäischen Union im jeweiligen Gebiet tatsächlich Anwendung findet.

Die Auslegung des Begriffs „Mitgliedstaat“ orientiert sich nicht allein an der völkerrechtlichen Zuordnung eines Gebiets, sondern an der tatsächlichen Geltung des Unionsrechts. Grundlage dieser Bestimmung ist das Protokoll Nr. 10 zur Beitrittsakte der Republik Zypern zur EU. Danach ist die Anwendung des gemeinschaftlichen Besitzstands (acquis communautaire) im nordzypriotischen Landesteil ausgesetzt, solange die Regierung der Republik Zypern dort keine tatsächliche Kontrolle ausübt. Der Besitzstand umfasst sämtliche Rechtsakte, die für EU-Mitgliedstaaten verbindlich sind. Mangels Geltung des Unionsrechts ist der Nordteil der Insel damit kein „Mitgliedstaat“ im Sinne des § 13 Abs. 4 und 5 SGB V.

Der Begriff des „Mitgliedstaats“ nach deutschem Recht erfordert daher, dass die unionsrechtlichen Vorschriften auf dem jeweiligen Territorium tatsächlich durchsetzbar sind. Eine rein territoriale Betrachtung, wonach bereits die völkerrechtliche Zugehörigkeit zu einem EU-Staat genügen würde, widerspricht der Systematik und der Entstehungsgeschichte des § 13 SGB V. Die Änderung der Vorschrift im Jahr 2011, mit der die frühere Formulierung „Geltungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft“ durch den Verweis auf die „Mitgliedstaaten der Europäischen Union“ ersetzt wurde, sollte keine inhaltliche Ausweitung, sondern eine Anpassung an den geographischen Geltungsbereich der Koordinierungsverordnungen der EU darstellen.

Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 5 SGB V setzt ferner eine vorherige Zustimmung der Krankenkasse voraus, die teleologisch auf Fälle beschränkt ist, in denen Versicherte gezielt zu einer Behandlung in einen anderen EU-Mitgliedstaat reisen. Wird jemand während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem Mitgliedstaat unvorhergesehen behandlungsbedürftig, kann ausnahmsweise eine nachträgliche Genehmigung ausreichend sein, sofern die Krankenkasse diese bei rechtzeitiger Antragstellung hätte erteilen müssen (vgl. BSG, 30.06.2009 - Az: B 1 KR 22/08 R). Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn die versicherte Person handlungsfähig war und es unterließ, die Krankenkasse zeitnah zu informieren.

Auch nach § 18 SGB V besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung, wenn die notwendige medizinische Versorgung nicht ausschließlich im nordzypriotischen Landesteil möglich war. Weitere Anspruchsgrundlagen aus dem SGB V scheiden aus, da § 13 Abs. 3 SGB V hinter den spezielleren Regelungen der Absätze 4 und 5 zurücktritt.

Europarechtliche Vorschriften, insbesondere Art. 25 Abs. 5 und 6 der VO (EG) 987/2009 sowie Art. 7 der RL 2011/24/EU, sind im nordzypriotischen Gebiet nicht anwendbar. Aufgrund der Suspendierung des EU-Rechts gemäß Protokoll Nr. 10 greifen auch die Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) 883/2004 und 987/2009) nicht. Diese dienen ausschließlich der Absicherung medizinischer Leistungen innerhalb der Mitgliedstaaten und bezwecken nicht die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung oder die Überwindung territorialer Teilungen.

Die Suspendierung des Unionsrechts in Nordzypern steht im Einklang mit dem Primärrecht der EU. Eine Auslegung, wonach das Unionsrecht trotz der faktischen Nichtanwendbarkeit im nördlichen Teil Zyperns Geltung beanspruchen könnte, widerspräche der Beitrittsakte und ihrer Zielsetzung. Daher können auch weder nationale noch europarechtliche Vorschriften einen Kostenerstattungsanspruch für in Nordzypern erbrachte Krankenhausleistungen begründen.

Ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV war nicht erforderlich, da die Rechtslage durch das Protokoll Nr. 10 eindeutig vorgegeben ist. Somit besteht kein Anspruch auf Kostenerstattung nach nationalem oder europäischem Recht für eine in Nordzypern erbrachte medizinische Behandlung.


LSG Schleswig-Holstein, 29.07.2025 - Az: L 10 KR 143/22

ECLI:DE:LSGSH:2025:0729.L10KR143.22.00

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